Moderne Motor-Kutsche Zeitreise mit Navigationssystem

Düsseldorf (RP). Ein fränkischer Unternehmer war die Raserei der modernen, hochgezüchteten Automobile leid. Er ließ die gute, alte Motorkutsche wieder aufleben. Seitdem tuckern Urlauber mit zwölf PS durch die Landschaft und erlauben sich den Luxus der neuen Langsamkeit.

Kutsche mit Navigationssystem
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Foto: Aagland Manufaktur

Der Schlüssel zur Zeitreise in die automobile Historie schlummert in einem edlen Holzkästchen. Wer ihn in einem am Boden eingesetzten Schloss platziert und leicht nach rechts dreht, erlebt Ungewöhnliches: Ein 12-PS-Motörchen beginnt zu bibbern. Jetzt den Schalthebel auf "vorwärts" stellen, zaghaft Gas geben und die Zügel entschlossen in Geradeaus-Position bringen. Und los geht's mit einem der schönsten Vehikel, das die deutsche Kraftfahrzeugszene zu bieten hat: mit der zweisitzigen Motorkutsche "Duc", Kennzeichen BT AA 940, Heimatstandort Pottenstein in der Fränkischen Schweiz.

"Hut ist eigentlich Pflicht", sagt Roland Belz, der auf dem Beifahrersitz die Fahrübungen des Probanden verfolgt. Schließlich handele es sich hier um die Nachschau exklusiver Ausflüge Anfang des 19. Jahrhunderts. Damals saßen die Herrschaften im einspännigen "Duc" , erfreuten sich des Pferdegetrappels und drückten auf Kopfsteinpflaster auf die Hupe. Jetzt rollt der Oldie-Nachbau über Asphalt, hängt am Gas eines Dieselaggregats, setzt den Blinker, wenn der linke Fuß die dafür entsprechende Trittfläche getroffen hat und gibt beim Stoß mit der Hacke in die Holzteile einen warnenden Laut.

Zwei Stangen als Steuer

Das Tollste an dieser Renaissance der Motorkutsche ist das Steuer, alias Zügel. Es besteht aus zwei mit edlem, hellbraunem Leder überzogenen Stangen mit handlicher Griffschlaufe, die die Vorderachse im Zaum halten. Die Lenkung in den Griff zu bekommen, buchstäblich, erfordert Einfühlungsvermögen. Genauso wie die Dosierung von Gas: "Zwischen sieben und zehn Kilometer pro Stunden verbreitet sich Wohlgefühl", sagt Roland Belz, Propagandist der Fortbewegung im Schritttempo. In der Tat, während der Fahrt nicht nur Blumen zu pflücken, sondern auch noch die Zahl der Blütenblätter bestimmen zu können, das hat was.

Als "Luxus der Langsamkeit" bezeichnet der fränkische Unternehmer Roland Belz, der sein Geld mit der Vermarktung von recyclebarem Kunststoff verdient, das Ergebnis eines spektakulären Hobbys. Normalerweise zügelt der gemütlich-humorige 56-jährige Schlossbesitzer die Pferde vor seinem tierischen Gespann, in diesem Nachbau steckt er sie unter die Motorhaube. Und lässt sie, für Honorar, mit Touristen durch Wald und Flur seiner fränkischen Heimat zockeln. Ein GPS-Navigationssystem liefert die schönsten Routen für die Reisen wie vor 100 Jahren.

Mit Navigationssytem

Gestartet wurde im Januar 2003. Da gründete Belz auf seinem Schloss Kühlenfels in der zwischen Bayreuth und Nürnberg gelegenen Kleinstadt Pottenstein die "Aagland Manufaktur". Er wollte eine mechanische Kutsche nach historischen Vorlagen bauen. Mit sechs experimentierfreudigen Experten ging's ans Werk: Einem Kfz-Meister, einem Auto-Elektriker, einem Schreiner, einem Mechaniker-Meister, einem Kunstschmied und einem Goldschmied, der die Zierteile in Messing poliert, einige auch vergoldet.

In der Schlosswerkstatt entstanden zwei Typen: der "Duc", eine zweisitzige Version und "Mylord", die viersitzige Variante. Beide mit faltbarem Verdeck, denn diese Modelle gelten als Urtypen des Cabrios. Die bisher hergestellten drei Exemplare der Neuauflage sind in den Zulassungspapieren als "Pkw offen" eingetragen.

"Das Schwierigste waren Lenkung und Getriebe", berichtet Kutschenbauer Belz von den technischen Knobeleien. Es galt, den "Zügeln" eine Servounterstützung mitzugeben und den Antrieb für hölzerne Hinterräder mit 110 Zentimeter Durchmesser zu regeln. Den Dreizylinder-Motor fand das Tüftler-Team in Baumaschinen, einige tausend Einzelteile wurden von Hand gefertigt.

Seit Mitte Juli können Touristen mit den modernen Oldies die Fränkische Schweiz erkunden. Im Januar werden sie zur Mandelblüte auf Mallorca zuckeln. Dann haben sie beim Auftauchen hier zu Lande schon viele Fahrtest mit folgender Belz-Beobachtung bestanden: "Wildfremde Leute am Straßenrand zeigen eine bis dahin nicht gekannte Freundlichkeit."

(Rheinische Post)
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