Notlaufeigenschaften Der langsame Abschied vom Reserverad

Köln/München (rpo). Zu Beginn der automobilen Geschichte hatte man zunächst mehrere Reserveräder an Bord. Irgendwann gab es dann nur noch eines, später ein Notrad und bald sollen die Reserveräder im Kofferraum ganz verschwinden. Bei neuen Modellen fehlt die Mulde im Kofferraum schon ganz, die Reifen müssen sich in Notfällen selbst helfen.

So läuft ein Reifenwechsel
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So läuft ein Reifenwechsel

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Foto: RPO

Zu den ersten Großserienautos, bei denen auf das Reserverad beziehungsweise Pannen-Sets verzichtet wird, gehören der 1er und der neue 3er von BMW. Der 1er wurde konsequent ohne Reserverad-Wanne konstruiert. Beim 3er gibt es ab Werk ebenfalls kein Reserverad mehr. Besitzer finden hier laut BMW-Sprecher Rudolf Probst in München ein Nassfach zum Verstauen feuchter Gegenstände. Wer will, kann darin auch ein Reserverad unterbringen, muss es jedoch extra kaufen.

Die einzigen Fahrzeuge ohne Reserverad sind diese BMWs aber nicht. "Schon der Z8 und der Z4 von BMW wurden ohne Reserveradwanne konstruiert, in einigen Ferraris sowie dem neuen 911 von Porsche ist das auch so", sagt Holger Rehberg, Leiter technisches Training bei dem Reifenhersteller Goodyear in Köln. "Ich glaube, dass es in zehn Jahren in neuen Modellen keine Reserveradwannen mehr gibt."

Mehr Volumen für den Kofferraum

Eine Einschätzung, die Automobil-Forscher Prof. Ferdinand Dudenhöffer von der Fachhochschule Gelsenkirchen teilt: "Es ist vorstellbar, dass man in einigen Jahren auf das Reserverad verzichtet." Dass die genannten Fahrzeuge nur der Anfang sind, dürfte auf jeden Fall als sicher gelten. "Unsere Strategie ist, das Reserverad dort wegzulassen, wo es Sinn macht", erläutert Rudolf Probst. Denn die "Radlosigkeit" gibt Autobauern neue Möglichkeiten.

"Das Weglassen der Reserveradwanne bietet den Konstrukteuren mehr gestalterische Freiheit", sagt Helmut Klein vom ADAC-Technikzentrum in Landsberg am Lech. So nutzte BMW laut Probst den zusätzlichen Platz im 1er BMW für das Kofferraumvolumen. Hinzu kommen Gewichtseinsparungen, die bei den immer schwerer werdenden Autos wichtig sind. Laut Klein wäre einige Mühe bei der Konstruktion nötig, um die 12 bis 20 Kilogramm Gewicht eines Rades einzusparen.

Möglich wird all dies durch den Einsatz speziell konstruierter Reifen mit Notlaufeigenschaften, kurz auch Runflat-Reifen. Sie erlauben bei Luftverlust die Weiterfahrt über längere Strecken. "Ein herkömmlicher Reifen geht bei Luftverlust dadurch kaputt, dass sich die Seitenwände übereinander falten und beim Fahren aneinander scheuern", beschreibt Rehberg das Problem.

Mechanisch nicht platt

Bei den Runflat-Reifen begegnet man der Gefahr mit einer speziellen Konstruktion: So setzt Goodyear bei seinen Runflat-Reifen auf spezielle Stützeinlagen zur Verstärkung der Seitenwände. "Die Reifen werden so mechanisch nicht mehr richtig platt", sagt Rehberg.

Continental in Hannover hat gleich zwei unterschiedliche Systeme für pannensichere Reifen im Angebot. Zum einen ein vergleichbares System wie Goodyear, das vor allem für sportlichere Fahrzeuge mit niedrigeren Reifenquerschnitten gedacht ist. "Daneben gibt es bei uns noch den Support-Ring", so Continental-Sprecher Klaus Engelhart. Hier wird direkt auf der Felge ein zusätzlicher Metallring montiert, auf dem sich der Reifen bei Luftverlust abstützen kann. "Der Support-Ring wird im Maybach als Extra angeboten."

In der Regel versprechen die Hersteller von Reifen mit Notlaufeigenschaften, dass eine Weiterfahrt über 100, wenn nicht mehrere hundert Kilometer möglich ist. Der ADAC in München ist dem Versprechen auf den Grund gegangen, und hat ein Fahrzeug mit simulierten Reifenschaden auf die Strecke geschickt. "Unterm Strich waren die Ergebnisse recht positiv", fasst Helmut Klein zusammen.

Kein Wechsel am Straßenrand

Laut Klein ist das Prinzip in mehrfacher Hinsicht durchdacht: "Es beseitigt auch das Problem eines nicht ungefährlichen Reifenwechsels am Straßenrand." Hinzu kommt, dass im Normalfall ein Reifenschaden zwar selten auftritt, das Reserverad dann aber oft schon Jahre unbeachtet in seinem Fach gelegen hat - Zustand und auch die Luftfüllung sind dann nicht immer in Ordnung.

Nachteile haben aber auch die Runflat-Reifen. Sie gelten im Vergleich zu herkömmlichen Pneus als etwas weniger komfortabel, weil die stabilen Seiten nicht so gut federn. Außerdem sind sie schwerer: "Als wir anfingen, hatten solche Reifen 25 Prozent mehr Gewicht", erinnert sich Holger Rehberg. "Heute sind wir bei 15 Prozent angekommen." Zwar sind Runflat-Reifen etwa 20 Prozent teurer als konventionelle Modelle. Diese Mehrkosten sind aber immer noch geringer als die Kosten für ein komplettes Reserverad.

(gms)
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