Begeisterung auf Rädern Wenn Autokorsos zur Gefahr werden

Düsseldorf (RP/RPO). Bei Autokorsos kollidierten zuletzt Fahrzeuge, wurden Fußball-Fans aus ihren Cabrios geschleudert. Mit jedem Sieg in Südafrika werden die heimischen Korsos ausgelassener und gefährlicher. Warum die Fans nicht zu bremsen sind und was erlaubt ist und was nicht, erfahren sie hier.

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Foto: RPO, Judith Conrady

Der Rausch nach dem 4:1-Sieg gegen England hatte teils gefährliche Folgen: In Mönchengladbach kollidierten am Sonntag beim Autokorso vier Wagen. Acht Personen wurden verletzt, darunter drei Kinder. In Mülheim verletzten sich zwei Jugendliche schwer, als sie aus einem Cabrio geschleudert wurden. In Bielefeld fuhr ein Geländewagen auf einen Kleinwagen. Ein Fußgänger wurde zwischen den Fahrzeugen eingeklemmt. In Halle bewarfen Fans ein Auto mit Böllern und zogen den Fahrer aus dem Wagen. In Bremerhaven fielen sogar Schüsse: Ein Projektil erwischte einen 19-jährigen Autokorsoteilnehmer, als er sich aus dem Fenster seines Wagens lehnte. Deutschland im Ausnahmezustand.

Ausdruck von Rebellion

Ein Autokorso war nie nur Freudenfest, sondern auch Ausdruck einer Rebellion. Vor allem Männer zwischen 20 und 40 Jahren rollen stundenlang um die Blocks, feiern immer ausgelassener, erklärt der Duisburger Verkehrsforscher Michael Schreckenberg. Es geht um Jubel und Begeisterung: "Die Straße wird Teil des Lebensraums und der Freude", sagt ADAC-Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino. Der Autokorso — ein einziges Volksfest und großer Karneval.

Sehen und gesehen werden, darum geht es auch beim Kolonnefahren. Auf erhöhtem Untersatz genüsslich an den Massen vorbeiziehen, sich ihnen wieder und wieder präsentieren: Darin sehen manche sogar den Ursprung des Autokorsos. Seit der Renaissance ließen Herrscher nach militärischen Siegen Triumphwagen bauen, die am Volk vorbeifuhren. Ähnliches passierte am Ende des Zweiten Weltkrieges oder als die ersten Astronauten vom Mond zurückkehrten. Und 1954 fuhren die Spieler nach der Fußball-WM im offenen Käfer Korso. Das Volk stand am Rand und jubelte den Helden zu. Bis es selbst in die Wagen stieg.

Genau genommen waren es die Einwanderer. Italiener und Türken, die nach Deutschland gekommen waren und ihre Hochzeiten mit Autokorsos zelebrierten, veranstalteten sie irgendwann auch nach Fußballspielen. Auf streng reglementierten Bundesstraßen taten sie das, was dort als verboten galt: mehrmaliges Hin- und Herfahren, unmotiviertes Hupen, zu geringe Sicherheitsabstände.

Respektlosigkeit

Der Autokorso holte nicht nur die südländische Lebensart ins durchreglementierte Deutschland, er war eine vor sich hin rollende, trötende Bekundung der Respektlosigkeit. Wem die Straße gehört, dem gehört die Macht, oder, wie Globalisierungsgegner riefen: Reclaim the Streets! (Holt euch die Straße zurück!). "Es geht darum, die Zugehörigkeit zu einer aufsteigenden Klasse zu demonstrieren", sagt Michael Schreckenberg. Zentrales Element dieser Demonstration ist die Fahne. Nicht der Autotyp, nicht die Farbe, nicht der Preis, nur auf die Fahne kommt es an, sagt Schreckenberg. "Sie zeigt, dass man dazu gehört."

In der Krise wächst dieses Bedürfnis. Längst hat das Phänomen Autokorso die Dörfer erreicht. "Jeder will daran teilhaben", sagt Ulrich Chiellino, Verkehrspsychologe. Und je weiter die deutsche Elf kommt, umso mehr wird sich der Wunsch verstärken, auch tausende Kilometer von Südafrika entfernt "das Gefühl zu haben, dabei gewesen zu sein — und selbst zum Symbolträger zu werden".

Vernunft bleibt auf der Strecke

Bei aller Euphorie über den Sieg werfen Fans gerne alle ansonsten selbstverständlichen Vorsichtsmaßnahmen über Bord. Unangeschnallt und aus dem Fenster oder Schiebedach lehnend schwenken die Mitfahrer ihre Fahnen und Schals aus dem Auto. Das kann vor allem bei Unfallen zu schweren Verletzungen führen.

Als Fahrer sollte man jedoch darauf achten, dass alle Insassen angeschnallt sind. "Denn wenn den Mitfahrern etwas passiert, haftet der Fahrer in der Regel er für den Schaden", wie Katrin Rüter vom Deutschen Versicherungsverband (GDV) erklärt. Natürlich komme es auch auf die Situation im Einzelfall an, dennoch werde zunächst der Kraftfahrer zur Verantwortung herangezogen.

Nach Empfehlungen des Automobilclubs von Deutschland (AvD) sollte der Fahrer auch beim Autokorso einen ausreichenden Sicherheitsabstand zum Vordermann einhalten, um Auffahrunfälle zu vermeiden. Kommt es aufgrund eines zu geringen Abstandes zu einem Unfall, kann dies unter anderem mit einem Verwarngeld von 35 Euro geahndet werden.

(RP/RPO/leb/uwi/fmh)
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