Fahranfänger mit 65 Jahren Wenn Oma plötzlich wieder ans Steuer muss

Bonn/München · Die Situation ist ebenso tragisch wie verzwickt: Der Mann, der bis ins hohe Alter Auto fuhr, ist unerwartet gestorben. Und seine Frau, die seit 30 Jahren nicht mehr am Steuer saß, ist auf das Auto angewiesen. Wer kann ihr beim Wiedereinstieg helfen?

Mehr als drei Viertel der über 65-Jährigen in Deutschland haben einen Führerschein, ein Drittel fährt fast täglich mit dem Auto. Was aber, wenn jemand jahrzehntelang nur auf dem Beifahrersitz saß und plötzlich wieder ans Steuer muss? "Suchen Sie einen Fahrlehrer des Vertrauens und sprechen Sie auch mit dem Hausarzt, wie es gesundheitlich aussieht", empfiehlt Sven Rademacher vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR).

Ulrich Chiellino vom ADAC rät, im Freundes- oder Familienkreis zu fragen, ob jemand beim Wiedereinstieg helfen möchte. "Auto fahren lernt man nur durch Auto fahren", sagt der Verkehrspsychologe. Und nichts spräche dagegen, "in ruhigen Zeiten und nicht gerade bei Schnee" mit Freunden oder Verwandten Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zurückzugewinnen. Wenn Ältere sich aber etwa durch die Anwesenheit ihrer Kinder unter Druck gesetzt fühlten oder diese nicht durch ihre Unsicherheit verängstigen wollen, sei es sinnvoll, Hilfe bei Experten zu suchen.

Fahr-Fitness-Check und Auffrischkurse

Neben dem Gang zum Fahrlehrer können sich Ratsuchende zum Beispiel auch an Automobilclubs wenden. So bietet etwa der ADAC speziell für diese Gruppe einen Fahr-Fitness-Check an. Dabei komme der Fahrtrainer zu den Wiedereinsteigern, so dass diese sich im eigenen Auto oder dem der Kinder erstmals wieder hinters Steuer setzen können, statt in einem völlig fremden Fahrzeug, erklärt Chiellino.

Viele Fahrschulen haben sich inzwischen auf ältere Wiedereinsteiger eingestellt und bieten neben Fahrstunden zum Beispiel auch Auffrischkurse zu Verkehrsregeln an, berichtet Dieter Quentin von der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände (BVF). Gefragt seien auch Kurse zu neuer Technik, um betagtere Fahrzeuglenker und andere mit Fahrerassistenzsystemen vertraut zu machen. Ängste und Wünsche der Kunden würden in Fahrschulen meist individuell berücksichtigt.

Pflichtstunden auf der Autobahn

So gebe es Menschen, die Angst vor Autobahnen hätten, berichtet Quentin - auch solche mit Fahrpraxis. Denn wer das Auto lange Zeit nur für Fahrten zum Einkaufen oder andere Kurztrips genutzt habe, dem fehle schlicht die Erfahrung im schnellen Fernstraßenverkehr. Autobahnpflichtstunden für Fahrschüler wurden laut Quentin übrigens erst in den 70er Jahren eingeführt. "Noch früher war es sogar verboten, mit Fahrschülern auf die Autobahn zu fahren."

Die Sorge, im Alter von 70 Jahren von 17-jährigen Fahrschülern umringt zu sein, zerstreut Quentin. "In den Fahrschulen sitzen nicht nur ganz junge Leute" - gerade in Großstädten werde der Führerschein von vielen erst später gemacht. Überdies nähmen Führerscheinbesitzer beim Wiedereinstieg nach langer Abstinenz selten Theoriestunden.

Wiedereinsteiger sind übrigens nicht nur Senioren: Aus seiner eigenen Fahrschule kennt Quentin auch den Fall des Anfangdreißigers, der früh den Führerschein gemacht hat, dann kaum gefahren ist, und plötzlich beruflich auf das Auto angewiesen ist. Auch solche Menschen nehmen Fahrstunden, allerdings sei dieser Personenkreis insgesamt "eher im Promillebereich anzusiedeln", schätzt der Experte.

Autofahren verlernt man nicht

Was aber, wenn die älteren Autolenker glauben, alles vergessen zu haben, und daher fürchten, dass sie der Fahrschulbesuch den Führerschein kosten könne? "Es gibt keine Handhabe für den Fahrlehrer zu sagen, jetzt ist der Lappen weg", betont DVR-Sprecher Rademacher. Auch Dieter Quentin beruhigt: "Bei den meisten geht es nur um die Überwindung der Angst oder des inneren Schweinehunds." Oft seien die Automatismen ganz schnell wieder da. Dass man Autofahren ebenso wenig verlerne wie Schwimmen oder Fahrradfahren, sei grundsätzlich richtig. "Nach zehn Stunden sind die meisten wieder fit."

Alle befragten Experten empfehlen Führerscheinbesitzern jedoch, es möglichst gar nicht soweit kommen zu lassen. "Wir raten allen ohne eigenes Auto, zwischendurch immer mal wieder zu fahren, um nicht ganz aus der Übung zu kommen", sagt DVR-Vertreter Rademacher.

Mit Verantwortungsbewusstsein sicher unterwegs

Speziell für ältere Verkehrsteilnehmer hat der DVR das Programm "sicher mobil" entwickelt. Es richtet sich nicht nur an Pkw-Fahrer, sondern beispielsweise auch an Radler, Fußgänger und Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs. Dabei werden laut Rademacher neben Themen wie Leistungsfähigkeit und Gesundheit vor allem individuelle Probleme der Teilnehmer angesprochen, etwa Sicht und Wetter oder der Gepäcktransport in verschiedenen Verkehrsmitteln. In der Fläche werde dieses Programm von anderen Institutionen angeboten wie Verkehrswacht oder Automobilclubs. Nähere Informationen dazu gibt es im Internet.

Dieses Angebot kann auch für alle wichtig werden, die nach dem Gang zum Arzt oder Fahrlehrer doch feststellen, dass sie sich nicht mehr fit genug zum Fahren fühlen. Denn auch wenn niemand die Senioren zwingt, ihre - oft noch graue - Lizenz abzugeben, appellieren Verkehrsexperten in diesem Fall an das Verantwortungsbewusstsein der Betroffenen. "Niemand sollte sich ans Steuer setzten, wenn andere gefährdet werden können - obwohl wir wissen, dass gerade auf dem Land individuelle Mobilität eine Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist", sagt DVR-Vertreter Rademacher.

(dpa/anch/csi)
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