Wenn der Fahrstil den Tarif bestimmt

Wer zu schnell fährt, muss mehr bezahlen – wer sich an die Verkehrsregeln hält, kann sparen: So könnte die Zukunft in der Kfz-Versicherung aussehen. Doch Tarife, bei denen der Jahresbeitrag auch vom Fahrverhalten abhängt, sind umstritten.

Die technischen Voraussetzungen sind gegeben: Bordcomputer und GPS im Auto könnten die erforderlichen Daten für neue Kfz-Versicherungstarife liefern, die auch vom individuellen Fahrstil abhängen. Doch noch zögern die Versicherer. Verbraucher- und Datenschützer sehen viele unbeantwortete Fragen.

Peter Grieble, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, sieht Vor- und Nachteile solcher Tarife. Heute werde zum Beispiel das Unfallgeschehen des vergangenen Jahres herangezogen, um die Prämie des kommenden zu bemessen. Und im Rahmen der Typklasseneinstufung bezahlen alle, die keinen Schadensfall hatten, es mit einer teureren Prämie mit, wenn Besitzer desselben Autotyps häufig in Unfälle verwickelt sind. Das wäre bei Kfz-Policen, die auch vom individuellen Fahrverhalten abhängen, anders.

Aus Verbrauchersicht pocht Grieble bei solchen Systemen vor allem auf Transparenz: "Es muss klar ersichtlich sein, was alles aufgezeichnet wird und nach welchen Kriterien es zur Berechnung der Prämie herangezogen wird." Außerdem müsse wissenschaftlich erwiesen sein, dass das, was die Prämie erhöht, auch erwiesenermaßen schlechtes Fahrverhalten ist. "Ist ein sportlicher Start an der Ampel tatsächlich verkehrsgefährdend? Und wenn ja, wie sehr?"

Die Idee nutzungsabhängiger Tarife sei nicht neu, habe sich aber bisher nicht durchgesetzt, sagt Stephan Schweda vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Ein Grund: In Deutschland würden in der Kfz-Versicherung ohnehin sehr viele Merkmale zur Risikoeinstufung – und damit zur Bemessung des Jahresbeitrags – herangezogen. Schweda ist kein Versicherer in Deutschland mit einem solchen Tarif für Verbraucher bekannt. Er hält es aber für möglich, dass sich bald einzelne Unternehmen mit Angeboten von der Konkurrenz absetzen.

Eine im Juli veröffentlichte Befragung des Marktforschers YouGov ergab, dass vier von zehn Autofahrern sich einen Umstieg auf einen nutzungsabhängigen Tarif vorstellen können. Und laut einer Studie des Beratungsunternehmens Towers Watson vom September interessieren sich sechs von zehn Deutschen für solche Tarife. Der Vorteil laut Towers Watson: Jedem Fahrer kann ein Tarif passend zu seinem Fahrstil angeboten werden, also etwa gemäß seinem Brems-, Beschleunigungs- und Kurvenverhalten. Der Studie zufolge kann das ein Weg sein, Fahrer zu vorsichtigerem Fahrverhalten anzuhalten: Fast zwei Drittel der Befürworter des Modells in Deutschland würden verhaltener fahren und etwa den Mindestabstand besser einhalten.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar sieht die genaue Erhebung und Dokumentation des Fahrverhaltens kritisch. "Wer einen derartigen Tarif wählt, muss sich darauf einlassen, dass eine Vielzahl von Daten erhoben, gespeichert und ausgewertet wird." Mit diesen Daten könnten zurückgelegte Strecken oder ein Fehlverhalten des Fahrers lückenlos rekonstruiert werden.

Problematisch sei auch, dass viele Autos von mehreren Nutzern gefahren werden und Fahrer und Halter nicht immer identisch sind. "Wenn die Möglichkeit der Rekonstruktion dem Versicherungsnehmer sogar über ein Internet-Portal oder eine Smartphone-App eingeräumt wird, ergeben sich zusätzliche Überwachungsgefahren." Ist der Halter der Arbeitgeber, könne er zum Beispiel detailliert den Aufenthaltsort von Außendienstmitarbeitern überwachen. Außerdem sieht Schaar die Gefahr, dass Daten – einmal gespeichert – im Rahmen von straf- oder steuerrechtlichen Ermittlungen herausgegeben werden.

Der ADAC macht sich dafür stark, dass Autofahrer stets frei entscheiden können, ob sie solche Tarife abschließen. Es sollen ihnen also auch andere zur Verfügung stehen. Für Versicherte sei entscheidend, dass sie die Hoheit über ihre Daten behalten und vorab wissen, welche persönlichen Daten erhoben und verwendet werden.

(RP)
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