Wenn der Roboter Pause hat

Autos werden von Robotern zusammengesetzt und ver-schweißt. Doch ohne geschulte Mitarbeiter würde kein Auto über die Straßen rollen. Handarbeit ist nach wie vor notwendig.

Mark Court zieht eine feine Linie über das Blech. Akkurat, ohne zu zittern. Nach ein paar Zentimetern setzt der 51-Jährige den Pinsel mit den Eichhörnchenschwanz-Borsten ruhig ab, konzentriert sich und zeichnet weiter. Echte Handarbeit ist im modernen Automobilbau eher selten. Bei Rolls-Royce ist sie selbstverständlich – etwa bei der sogenannten Coachline, der Linie auf dem Seitenblech der britischen Luxusmodelle. Dafür benötigt der Profi in Goodwood vier Stunden. Luxus braucht eben seine Zeit, für das Modell Phantom veranschlagen die Briten rund 600 Arbeitsstunden. Zum Vergleich: Der Kleinwagen Ford Fiesta ist in weniger als 15 Stunden fertig.

"Bei der Automobilproduktion wird ein möglichst hoher Automatisierungsgrad angestrebt. Nur so lassen sich bestimmte Herstellungsverfahren kostenreduzierend einsetzen", sagt Prof. Frank Herrmann vom Institut für Fahrzeugtechnik der Fachhochschule Köln. Alles, was man schnell produzieren könne, sei günstiger als reines Handwerk. Im Karosseriebau liegt der Automatisierungsgrad heute bei über 90 Prozent.

Auch bei preiswerten Autos setzen die Hersteller auf die Hände ihrer Mitarbeiter. Trotz des verbreiteten Einsatzes von Robotern müssen Menschen die Maschinen bedienen, warten und die Fahrzeuge am Ende der Produktionsstraße kontrollieren. "Allerdings ist Handwerk generell zeit- und personalintensiv und damit teuer", sagt Herrmann.

Wenig automatisiert läuft zum Beispiel die Qualitätskontrolle ab. Dort untersuchen Mitarbeiter unter anderem Lack, Türpassung sowie Spaltmaße und beheben die Fehler sofort. Ein Roboter wäre hier überfordert: Er könnte zwar die Fehler erkennen, aber nicht autonom beseitigen.

"Wenn die Produktionsprozesse gut laufen, gibt es wenig Nacharbeit durch Mitarbeiter, also unbeabsichtigte Handarbeit", erklärt Herrmann. "Die ohnehin schon hohe Qualität in der automatisierten Produktion wird sich in Zukunft weiter steigern lassen, so dass eine abschließende Kontrolle und damit eine Nacharbeit eines Tages vielleicht nicht mehr nötig sein wird", schätzt der Experte. Bei BMW gibt es im Karosseriebau noch einige manuelle Operationen. Schweißer versehen die Karosserien mit Punkten an Stellen, an die ein Roboter nicht herankommt. Das Abschleifen der Bleche erledigt ein Karosseriebauer genauer als eine Maschine. Auch bei Ford wird nur an Stellen automatisiert, an denen es wirklich sinnvoll ist. Bei ergonomisch schwierigen oder sehr anstrengenden Arbeitsschritten ziehen die Entwickler die Maschinen vor.

Beim Seat Leon, der weitgehend baugleich mit dem VW Golf ist, erledigen etwa 1500 Industrieroboter den Rohbau. Handarbeit gibt es bei den Kompaktmodellen nur noch beim sogenannten Finish, der Oberflächenendbehandlung, und bei Einstellarbeiten an den Blechanbauteilen. "Nicht automatisierbar sind die prüfenden Blicke, das Sehen und Fühlen des Mitarbeiters hinsichtlich der Gesamtharmonie des Fahrzeuges bezüglich Qualität, Anmutung, Haptik und Liebe zum Detail", erklärt VW-Sprecher Christoph Adomat.

Porsche setzt wie fast alle anderen Hersteller bei der Karosseriefertigung aus Prozess-, Sicherheits- und Ergonomiegründen auf Roboter. Die Montage von Anbauteilen wie Vorder- und Heckdeckel erfolgen aber manuell, ebenso wie die Oberflächenqualitätskontrolle. Auch für die Innenraumverarbeitung – etwa speziell das Nähen und Beziehen von Lederzuschnitten für das Armaturenbrett – brauchen die Schwaben ausgebildetes Personal.

Wenig Automatisierung und echtes Handwerk gibt es laut Prof. Herrmann nur bei Fahrzeugen mit niedrigen Stückzahlen wie Prototypen, Motorsport-Modellen oder individualisierten Autos, die von der standardisierten Produktion abweichen. Das hat oft weniger mit der Qualität zu tun als mit den Kosten. Handarbeit ist überall dort günstiger, wo wenig produziert wird. Bei hohen Stückzahlen mit kurzer Taktung rentieren sich teure, automatisierte Werkzeuge.

Bei den firmeneigenen Veredelungsabteilungen wie der BMWM GmbH, Designo (Mercedes) oder der Volkswagen R GmbH dominiert die Handarbeit. So werden in der Mercedes eigenen Polsterei Sitzbezüge und Stickereien auf Kundenwunsch gefertigt. Farben, Material, Logos oder auch Fußball-Wappen kann der Kunde sich selbst aussuchen.

Beim Rolls-Royce Phantom verschweißen Mitarbeiter immer noch die C-Säule der Karosserie per Hand. Allerdings entstehen von dem Flaggschiff der Briten auch nur rund 800 Exemplare pro Jahr. Sowohl die Nahtlänge als auch die Dünne der Bleche verlangen den Mitarbeitern viel Erfahrung ab, ebenso wie das Bördeln der Seitenränder. Es dauert etwa zehn Tage, bis eine Karosse fertig ist. Erst danach darf Mark Court ans edle Blech. Sein Handwerk hat der Rolls-Royce-Zeichner vorher übrigens an anderen Blechen erlernt – er war Maler für Kneipenschilder.

(DPA-TMN)
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