Dormagen Aus Bayer-Kaufhaus wurde Tanzfabrik

Dormagen · Eine wechselvolle, 60-jährige Geschichte hat das außen so schmucklose Gebäude an der Pommernallee in Dormagen erlebt. Heute ist eine trendige "Tanzfabrik" dort Hausherrin und nutzt den industriellen Charme.

 Von außen ist die "Tanzfabrik" ein schmuckloses Gebäude.

Von außen ist die "Tanzfabrik" ein schmuckloses Gebäude.

Foto: kds

Dort, wo er heute die Menschen das Tanzen lehrt, stand Jochen Jüttner einst als kleiner Steppke mit großen Augen vor der Ladentheke. "Im Bayer-Kaufhaus gab es damals praktisch alles, was man brauchte, wie bei Kaisers oder Edeka", erinnert er sich. Im Zuge des Wohnungsbaus westlich der Innenstadt hatte "der Bayer" seinen Mitarbeitern einen Nahversorger direkt vor die Tür gesetzt. Als das Werk seinen Abverkauf später in einen Flachbau nahe der heutigen Römer-Therme verlegt, zieht die Metzgerei Kotulla ein an der Pommernallee 1. Willi Kotulla, klein von Wuchs, dafür ungeheuer pfiffig, war ein echtes Original; ein Mann, der vielen Dormagenern bis heute in Erinnerung geblieben ist. Das Geschäftsgebäude an der Pommernallee 1, Ecke Bahnhofstraße, gut sichtbar entlang der Einflugschneise zur Innenstadt: Es hat in seiner rund 60-jährigen Geschichte vermutlich mehr unterschiedliche Nutzungen gesehen als jedes andere in der Stadt.

Geschäftsmann Egon Huntgeburth - heute noch Besitzer der Immobilie - will dort in den 1970ern Luxuskarossen mit der Wildkatze im Logo an den Mann bringen, zieht dann mit seinem BMW-Autohaus ins Gewerbegebiet Top West. Ganz unterschiedliche Pächter folgen: Das Sonnenstudio "California Sun", eine Videothek, zuletzt dann Filialist Matratzen Concord. Ob diese wechselvolle Geschichte mit dem Einzug der "Tanzfabrik" im Jahr 2014 beendet ist? "Wir planen langfristig an diesem Standort, sonst hätten wir nicht so viel investiert und in Eigenleistung gemacht", bekräftigt Jochen Jüttner.

 Bei Tageslicht das Tanzbein schwingen - das ist in Tanzschulen eher die Ausnahme, in der "Tanzfabrik" nicht.

Bei Tageslicht das Tanzbein schwingen - das ist in Tanzschulen eher die Ausnahme, in der "Tanzfabrik" nicht.

Foto: LBer

Wir, das sind Jüttner und sein Mitgesellschafter Alexander Klein. Viel, damit ist eine sechsstellige Summe gemeint, die es brauchte, um dem schnöden Verkaufsraum nebst angrenzendem Lager jenen industriellen Charme zu geben, der letztlich zum Namen "Tanzfabrik" führte. "Das war kein Plan, sondern entstand beim Umbau", erzählt Jüttner. Der begann am Pfingstwochenende 2014: Zwischendecken mussten raus, unter denen noch die Starkstromleitungen des Sonnenstudios lagen. Heute schaut man auf die braun getünchten Deckenbalken, die umrahmt werden von offen liegenden Lüftungsrohren und Kabelbahnen. Die Wände sind nur verputzt, über schlichten weißen Bartischen mit futuristischen Hockern hängen Industrielampen. Restaurierte Bunkerleuchten erhellen die Theke vor einer in ampelmännchengrün gestrichenen Wand. Kein Innenarchitekt, die Chefs selbst waren hier am Werk - mit dem Wunsch, es anders zu machen als der große Rest. Das heißt, "kein Mahagoni, kein Messing", lacht Jüttner. Denn das sei der Standard bei Tanzschulen aus den 1970er und 1980er Jahren. Der Teppichboden kam raus, 350 Quadratmeter schwimmend verlegtes Parkett rein, darunter eine fünf Zentimeter dicke Korkschicht: Sie federt, was gelenkschonend für die Tänzer ist. Der 180 Quadratmeter große Tanzsaal lässt sich teilen und ist von zwei Seiten verglast. Tanzen bei Tageslicht, auch das könne nicht jeder bieten.

Jochen Jüttner war 18 Jahre lang Tanzlehrer bei der Tanzschule Graab, heute Reißer, in der Rathausgalerie. Vom Schritt in die Selbstständigkeit ist er überzeugt, genauso davon, "dass eine Stadt wie Dormagen mit dem Einzugskreis nach Köln und Neuss zwei Tanzschulen gut verkraften kann". Jüttner selbst hat aktiv getanzt und dann den Trainerschein gemacht, so wie das gesamte zwölfköpfige Lehrer-Team der Tanzfabrik. Neben Standard und Latein werden auch HipHop, Zumba, Kinderkurse und Sitztanz für Senioren unterrichtet. Über Kooperationen mit Bürgerstiftung und Hospizbewegung ist die Tanzfabrik im gesellschaftlichen Netzwerk der Stadt verknüpft.

"Man muss sich seine Nische suchen und mit Leben füllen", sagt Jochen Jüttner. Und das klingt so, als habe das Geschäftsgebäude an der Pommernallee 1 nach sechs Jahrzehnten endlich seine wahre Bestimmung gefunden.

(NGZ)
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