Bundesarbeitsgericht entscheidet Darf der Chef nach einer Krankmeldung überwachen lassen?

Erfurt/Münster · Heikler Fall vor dem Bundesarbeitsgericht: Der Chef eines Betriebs in Münster ließ seine Sekretärin durch einen Detektiv observieren, nachdem die sich krankgemeldet hatte. Der Profi-Schnüffler filmte die Frau über mehrere Tage; unter anderem wie sie einen Hund begrüßt, an einem Fußweg steht und in einen Waschsalon geht. Jetzt geht es um Schmerzensgeld und die Frage: Wie viel Kontrolle ist erlaubt?

Die Sekretärin des Metallbetriebs in Münster meldet sich krank. Der Chef zweifelt an ihrer Arbeitsunfähigkeit und lässt sie heimlich von einem Detektiv beobachten. Über die Rechtmäßigkeit solcher Observierungen hat jetzt das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Fall (8 AZR 1007/13).

Was will die Klägerin?

Die Frau, die inzwischen nicht mehr in dem Betrieb in Münster arbeitet, hat ihren früheren Arbeitgeber auf Schmerzensgeld verklagt. Sie hält einen Betrag in Höhe von 10.500 Euro für angemessen. Diese Summe entspricht drei ihrer monatlichen Bruttogehälter.

Wie begründet sie ihre Forderung?

Die Sekretärin hält die Beauftragung der Detektei durch ihren einstigen Chef weder für angemessen noch für gerechtfertigt. Sie sieht in den heimlichen Filmaufnahmen einen schwerwiegenden Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht. Zudem habe sie später immer wieder befürchtet, beobachtet zu werden und sich daher in psychische Behandlung begeben müssen.

Wie haben die Vorinstanzen entschieden?

Das Arbeitsgericht erkannte ihr kein Geld zu, da die Aufnahmen nach Ansicht der Richter im öffentlichen Raum erfolgten und nicht ihre Privat- oder Intimsphäre verletzten. Das Landesarbeitsgericht Hamm erklärte die Aufnahmen für rechtswidrig und sah darin die Grenze zur Entschädigungspflicht überschritten. Die zweite Instanz sprach ihr allerdings nur 1000 Euro Schmerzensgeld zu.

Wie verbreitet ist die Detektiv-Überwachung von Arbeitnehmern?

Das Ausspionieren von Arbeitnehmern kommt nach Aussagen von Arbeitsrechtlern und Gewerkschaftern in der Praxis häufiger vor. Etwa beim Verdacht auf vorgetäuschte Krankheit, Alkoholsucht oder zur Kontrolle von Außendienstmitarbeitern schicken Unternehmen Detektive in die Spur, meint der Nürnberger Fachanwalt für Arbeitsrecht, Wolfgang Manske. Und Kerstin Jerchel, Juristin bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, weiß: "Arbeitgeber zahlen eine Menge Geld dafür".

Was sagt die bisherige Rechtsprechung dazu?

Sie setzt der Überwachung von Arbeitnehmern hohe Hürden. Die Videokontrolle von Einzelnen im Betrieb etwa kann nur aufgrund eines konkreten Verdachts einer Straftat erfolgen. Zudem muss die Überwachung verhältnismäßig sein und darf nur als letztmögliches Mittel in Betracht kommen. Dazu gibt es bereits mehrere, auch höchstrichterliche Entscheidungen. Zum Einsatz von Detektiven urteilten die obersten Arbeitsrichter 2013, dass so überführte Blaumacher unter Umständen auch die Detektivkosten vom Arbeitgeber übernehmen müssen.

Welche Bedeutung hat das jetzige Urteil?

Die Erfurter Richter haben sich nun damit auseinanderzusetzen, welchen Schutz die Privatsphäre von Arbeitnehmern genießt. Dabei geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen Detektive überhaupt zur Observation von Mitarbeitern eingesetzt werden und ob diese tatsächlich dann auch heimlich filmen dürfen. Arbeitsrechtler erhoffen sich außerdem ein Wort zu den Sanktionen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

Wie werden derzeit unzulässige Überwachungen geahndet?

"Es fehlt bislang eine klare, abschreckende Geldstrafe für Arbeitgeber", kritisiert Arbeitsrechtler Manske. Die Höhe des Schmerzensgeldes bei unerlaubten Observierungen liegt im Ermessen der Gerichte. Die von Richtern zugesprochenen Entschädigungen pendeln zwischen 650 und 7000 Euro. Die Gewerkschaft Verdi fordert bereits seit längerem ein eigenständiges Gesetz zum Arbeitnehmerdatenschutz, mit dem sich zugleich unrechtmäßige Überwachungen hinreichend ahnden lassen.

(lnw)
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