Deutlich mehr Fehlzeiten im Job Immer mehr nehmen Aufputschmittel

Berlin · Ständig erreichbar, immer mehr Aufgaben und Druck aus der Chef-Etage - der Stress in der Arbeitswelt lässt viele in die Sucht abstürzen. Vor allem Jüngeren nutzen zunehmend Medikamente, um sich für den Job fit zu machen. Eine Studie der AOK schlägt nun Alarm.

Die wichtigsten Fakten aus dem Sucht - und Drogenbericht 2013
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Foto: dpa

Gehirndoping durch leistungssteigernde Mittel im Job kommt immer mehr in Mode - vor allem bei jüngeren Beschäftigten.
Und die Betroffenen sind wegen des Konsums im Schnitt dreimal so lange krankgeschrieben wie Arbeitnehmer, die aus anderen Gründen arbeitsunfähig sind. Die meisten Fehltage durch Süchte verursachen aber nach wie vor die traditionellen Suchtmittel: Alkohol und Tabak.

Immer öfter werden Beschäftigte deswegen krankgeschrieben, Die Zahl der Fehltage stieg im Zehnjahresvergleich um 17 Prozent. Die Erkenntnisse weisen auf einen Teufelskreis aus Stress und Sucht hin.

Am Donnerstag legte die AOK in Berlin einen neuen Fehlzeiten-Report mit teils besorgniserregenden Zahlen vor: Stress und Überlastung lassen in Deutschland immer mehr Arbeitnehmer zu Drogen greifen. Demnach stieg die Zahl der Fehltage, die auf die Einnahme von Suchtmitteln zurückzuführen waren, weiter an. Im vergangenen Jahr waren es 2,42 Millionen Tage, zehn Jahre zuvor waren es noch 2,07 Millionen Krankheitstage.

Festgestellt haben die Entwicklung die Mitarbeiter des des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. Hauptursachen für den Trend zum Ausfall durch Sucht der Alkoholkonsum und das Rauchen. Fast 44 Prozent aller suchtbedingten Fälle von Arbeitsunfähigkeit sind demnach auf Alkohol zurückzuführen. "Die Sucht ruiniert nicht nur die Gesundheit der Betroffenen", erklärte AOK-Vorstand Uwe Deh. Sie habe auch massive Folgen für die Wirtschaft. "Allein die Kosten von Alkohol- und Tabaksucht belasten die deutsche Wirtschaft jährlich mit etwa 60,25 Milliarden Euro", hob Deh hervor.

Viele greifen bei Stress zu Aufputschmitteln

Beschäftigte greifen nach Ansicht von Experten aber auch öfter zu leistungssteigernden Mitteln. Zur Bewältigung beruflicher Stresssituationen hätten nach der Befragung immerhin fünf Prozent der Arbeitnehmer in den vergangen zwölf Monaten Medikamente wie beispielsweise Psychopharmaka oder Amphetamine eingenommen, erklärte Deh. Die Dunkelziffer dürfte noch erheblich größer sein, zeigte sich der AOK-Vorstand überzeugt. Studien zeigten, "dass viele Menschen bereit sind, bei hoher Arbeitsbelastung stimulierende Mittel einzunehmen."

Für die Studie wurden über 2000 Erwerbstätige zwischen 16 und 65 Jahren befragt. Sie sollten Auskunft geben über ihre Belastungen am Arbeitsplatz sowie den Umgang mit ihrer Gesundheit. Es zeigte sich, dass 5,3 Prozent der Befragten täglich Alkohol konsumieren. Der Anteil der Männer liegt dabei mit 8,9 Prozent fast viereinhalbmal über dem der Frauen (2 Prozent). Bemerkenswert ist der Befund, dass Gebildete eher regelmäßig zur Flasche griffen: Mit dem Bildungsstand steigt die Wahrscheinlichkeit eines regelmäßigen Alkoholkonsums.

Der Trend geht vor allem bei Jüngeren zum Aufputschmittel

Beim Tabakkonsum stellt sich die Lage genau anders herum dar. Je höher der Bildungsstand ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit zu rauchen. Etwa ein Drittel aller Beschäftigten raucht gelegentlich oder regelmäßig. Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es nicht, dafür aber einen starken Bezug zum Alter. So nimmt der Anteil der Raucher mit steigendem Lebensalter ab.

Neben den Klassikern Alkohol und Nikotin sind in den vergangenen Jahren zunehmend Medikamente auf dem Vormarsch. "Um berufliche Stresssituationen zu bewältigen, haben nach unserer Befragung immerhin fünf Prozent der Arbeitnehmer in den letzten zwölf Monaten Medikamente wie beispielsweise Psychopharmaka oder Amphetamine zur Leistungssteigerung bei der Arbeit eingenommen", sagte Helmut Schröder, einer der AOK-Wissenschaftler.

Die Fehltage aus diesem Missbrauch sind - mit zuletzt 30 000 - zwar noch überschaubar, sie haben sich aber seit 2002 fast vervierfacht. Der Report-Mitherausgeber Helmut Schröder sprach von einer "deutlichen Dynamik". Das Suchtpotenziel sowie die körperlichen und psychischen Folgeschäden dieser Stimulanzien würden vor allem von Jüngeren unterschätzt. Zudem geht er von einer erheblichen Dunkelziffer aus.

Stress und Sucht

Aus Sicht der AOK-Mediziner spiegelt sich in den Fehlzeiten-Trends ein unheilvolles Zusammenspiel aus Stress und Sucht. Zunehmender Leistungsdruck, die Verdichtung der Arbeit oder die Erwartung, dass Beschäftigte ständig erreichbar sind und schnell reagieren - all das lasse Menschen Verhaltensweisen entwickeln, die zu Abhängigkeit und Sucht führen.

Entsprechend fordern sie von der Politik, zukünftig mehr den Präventionsgedanken am Arbeitsplatz zu fördern. Erfahrungen haben die Experten bereits gesammelt. " Wichtig ist, dass im Kopf unserer Beschäftigten der Kurs 'Null Promille am Arbeitsplatz' gehalten wird", sagte Georg Heidel, Präventionsexperte von der BSR.

Am gestrigen Mittwoch hatte bereits die Techniker Krankenkasse (TK) mitgeteilt, dass alkoholbedingte Ausfälle in den letzten Jahren enorm zugenommen hätten. Laut den jüngsten TK-Daten gab es bundesweit im vergangenen Jahr 1,8 Millionen alkoholbedingte Fehltage. Diese Zahl ergebe sich, wenn man die rund 236 000 Krankheitstage durch Alkohol bei der TK bundesweit hochrechne.

Andere Studien ergeben ein ähnliches Bild

Die TK machte auf den Diagnoseschlüssel "F10 - psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol" aufmerksam. Die Ärzte hätten zuletzt für fast 5000 TK-Versicherte diesen Befund erstellt. Sie litten unter Alkoholabhängigkeit, Entzugssyndrom und psychotischen Störungen. Im Schnitt seien die Betroffenen über sieben Wochen krankgeschrieben.

Auch die Krankenkasse Barmer GEK hatte sich mit dem Thema befasst. Ein Gesundheitsreport der Kasse vom vergangenen Jahr zeigt, dass Arbeitnehmer mit Alkoholproblemen im Schnitt viermal so lange im Job fehlten wie jene ohne. Hier häuften sich psychische Erkrankungen, Verletzungen und Magen-Darm-Probleme.

Umfangreiche Studien über den Gebrauch von aufputschenden Mitteln im Job sind in Deutschland bisher Mangelware. Allerdings stand der DAK-Gesundheitsreport 2009 unter dem Motto "Doping am Arbeitsplatz":
In einer Umfrage unter 3000 Arbeitnehmern gaben fünf Prozent an, Substanzen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit oder des Wohlbefindens zu konsumieren, zwei Prozent seien regelmäßige "Doper" am Arbeitsplatz.

Insgesamt betrinken sich mehr als einer von fünf Männern und jede zehnte Frau in Deutschland - nach eigenen Aussagen - mindestens jeden Monat einmal. Bei den jungen Männern trinkt sogar fast jeder zweite riskant viel, bei den jungen Frauen jede dritte. Das zeigte eine große Studie des Robert Koch-Instituts, für die zwischen 2009 und 2010 rund 22 000 Erwachsene zu Aspekten der Gesundheit befragt wurden.

(AFP/dpa/ots)
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