Fachkräftemangel beeinflusst die Jobwahl

Glaubt man Studien und Prognosen, droht in vielen Branchen Personalknappheit. Eine Arbeitsplatzgarantie ist das aber noch lange nicht, sagen Experten.

Jedes Jahr stellt sich für viele junge Menschen die Frage: Wie mache ich nach der Schule weiter? Und bekomme ich damit einen Job? Mancher kommt auf die Idee, gezielt in die Branchen zu gehen, die händeringend Verstärkung suchen. "Die Frage nach dem Fachkräftemangel spielt bei Jugendlichen eine Rolle", sagt Paul Ebsen von der Bundesagentur für Arbeit. "Für junge Leute ist wichtig: Wo lohnt es sich für mich überhaupt, eine Bewerbung hinzuschicken?"

Wie sich der Arbeitsmarkt in Zukunft verändert, hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zusammen mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) untersucht. Laut der Studie wird es im Jahr 2035 die größte Arbeitskräftelücke in den Pflege- und Gesundheitsberufen geben, erklärt Klaus Weber vom BIBB. "Ein deutliches Überangebot an Fachkräften wird dagegen insbesondere für Büroberufe und im Personalwesen angenommen."

Jugendliche sollten sich bei der Berufswahl aber nicht auf solche Hochrechnungen verlassen, sagt Britta Matthes. Sie leitet die Forschungsgruppe Berufliche Arbeitsmärkte am IAB. Natürlich verändere sich der Arbeitsmarkt mit der Gesellschaft. Da diese immer älter wird, braucht man in Zukunft zum Beispiel mehr Pflegekräfte. Dabei gibt es nur ein Problem: "Diese Arbeitsplätze müssen aber auch finanziert werden." Ob sie also wirklich entstehen, ist noch unklar.

Der Bedarf an Arbeitskräften sei wegen solcher Ungewissheiten praktisch in keiner Branche vorhersehbar: "IT-Berufe sind in Zukunft sicher zunehmend wichtig, aber daraus kann man nicht schließen, dass man dort vor Arbeitslosigkeit geschützt sein wird."

Beispiel Digitalisierung: Laut des Fortschrittsberichts 2017 zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung ist damit zu rechnen, dass in den kommenden zehn bis 20 Jahren ungefähr zwölf bis 15 Prozent aller Tätigkeiten, die heute noch von Menschen ausgeführt werden, durch Computer erledigt werden können. Das betrifft vor allem Arbeitsplätze im Einzelhandel, im Papier- und Druckgewerbe sowie in der öffentlichen Verwaltung. Welche das genau sind, weiß aber noch niemand: Technischer Fortschritt ist nicht planbar.

Auch für Klaus Weber geht es bei der Berufswahl um andere Faktoren als um den Blick in die Kristallkugel. "Als Erstes ist es wichtig zu wissen, wo die eigenen Stärken und Interessen liegen." Wenn jemand für eine bestimmte Fachrichtung brennt und das auch vermitteln kann, sei es einfacher, dort einen Ausbildungsplatz zu bekommen. "Als Zweites ist es unverzichtbar, sich über die Inhalte der angestrebten Ausbildung oder des Studiums zu informieren", sagt Weber. Das zeige zum Beispiel die Erfahrung mit Ausbildungsabbrüchen: Nicht selten seien falsche Vorstellungen vom Arbeitsplatz der Grund dafür.

Wer seinen Beruf nach Mangel wählt, läuft außerdem Gefahr, in einen sogenannten Schweinezyklus zu geraten. "In den 1960er und 1970er Jahren herrschte zum Beispiel akuter Lehrermangel, weil die geburtenstarken Jahrgänge zur Schule kamen und gleichzeitig der Anteil der Kinder stieg, die auf ein Gymnasium gingen", erklärt Matthes. "Deshalb entschieden sich damals viele junge Leute dafür, Lehrer zu werden." Doch schon Ende der 1970er Jahre drehte sich das Blatt, und viele Lehrer fanden keine Stelle.

"Heute besteht wieder die Gefahr eines Lehrermangels", sagt Matthes. Jedoch sei nicht absehbar, ob nach fünf bis sechs Jahren Lehramtsstudium noch ein Mangel oder schon eine Sättigung herrschen wird.

Sie rät angehenden Auszubildenden und Studierenden deshalb, sich zu fragen: Welche Tätigkeit kann ich engagiert ausführen? Was will ich erreichen? In dem gewählten Fachbereich könne man sich dann durchaus an aktuellen Entwicklungen orientieren. "Bei der Studienwahl kann man zum Beispiel darauf schauen, an welcher Hochschule das Fach modern gestaltet ist."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort