Im Job freiwillig kürzertreten

Wer einen beruflichen Rückschritt wagt, dem haftet oft der Makel des Scheiterns an. Doch manchmal bringt gerade ein solcher Verzicht Mitarbeiter und Firma nach vorn.

Auf der Karriereleiter gibt es nur eine Richtung: Sprosse für Sprosse nach oben. Manchmal kann es aber auch sinnvoll sein, freiwillig ein oder zwei Stufen zurückzugehen. "Ich bereue meinen Rücktritt nicht", sagt etwa Hermann Arnold. Der Gründer und ehemalige Geschäftsführer des Schweizer Softwareunternehmens Haufe-umantis hat seine Führungsrolle vor drei Jahren abgegeben.

Arnold räumte seinen Chefsessel aus freien Stücken und wechselte zurück in die Produktentwicklung. Seine Bilanz fällt positiv aus: "Ich arbeite nicht weniger als früher. Aber ich kann mich wieder auf Dinge konzentrieren, die mir Spaß machen."

Arnold ist einen ungewöhnlichen Schritt gegangen. Den Wunsch, beruflich herunterzufahren, kennen viele. "Ob jemand kürzertreten möchte oder nicht, hängt sehr von der Lebensphase ab", erzählt Karrierecoach Heike Cobaugh. Manche wollen beispielsweise wegen einer Krankheit oder der Familie weniger arbeiten. Bei Frauen werde das häufig eher akzeptiert, von ihnen erwarte man, dass sie sich um Beruf und Familie kümmern. Männer mit Teilzeitwunsch hätten dagegen oft mehr Probleme, das dem Chef zu vermitteln.

Fast immer sei mit dem beruflichen Kürzertreten ein Verlust an Prestige, Macht und Einkommen verbunden. "Ein Rücktritt wird in Deutschland immer noch als Makel empfunden, weil wir sehr fixiert auf chronologische Lebensläufe sind", sagt Cobaugh. Ein Einbruch in der Erwerbsbiografie ist nicht vorgesehen.

Braucht es also eine neue Rücktrittskultur? Für Arnold steht das außer Frage: Derzeit sei ein Positionsverlust immer noch eine öffentliche Demütigung. "Dabei sollte es etwas ganz Normales sein." Wenn ein Unternehmen sagen würde: Wer bei uns Karriere machen will, muss in seiner Laufbahn mindestens zweimal zurücktreten. "Dann bin ich überzeugt: Jeder würde das tun - völlig ohne Gesichtsverlust."

Ob sich die Arbeitslast erfolgreich reduzieren lässt, hängt sehr von der Firma ab. "Gerade größere Unternehmen stellen sich durchaus auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter ein", weiß Cobaugh. In kleineren Betrieben sei es wesentlich schwieriger kürzerzutreten. Letztlich entscheidet aber immer der Vorgesetzte: "Mich hat schon mal jemand gefragt: ,Wie soll ich denn in Teilzeit gehen, wenn mein Chef ein Workaholic ist?'."

Jeder Arbeitnehmer habe einen Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit, widerspricht Mirjam Alex, Juristin in der Rechtsabteilung der Verdi Bundeszentrale. Der Teilzeitanspruch besteht, wenn der Betrieb mehr als 15 Mitarbeiter hat und der Arbeitnehmer dort länger als sechs Monate gearbeitet hat. "Der Arbeitgeber muss dem Teilzeitwunsch allerdings nicht entsprechen, wenn betriebliche Gründe dagegen sprechen." Das ist etwa der Fall, wenn dadurch Organisationsabläufe erheblich gestört werden oder die Betriebssicherheit gefährdet ist.

"Wer beruflich kürzertreten möchte, sollte versuchen, dem Arbeitgeber die Reduzierung der Arbeitszeit auf dem Silbertablett zu servieren", empfiehlt Alex. Gibt es zum Beispiel einen Kollegen, der gerade aufstocken möchte? "Dann ist das oft ein Selbstläufer." Zentral sei auch die Verteilung der Arbeitszeit. Wie viele Stunden sollen es sein und wann?

"Bevor man zum Chef geht, sollte man sich beim Betriebsrat erkundigen, was für Möglichkeiten es gibt", rät Cobaugh. Viele Firmen haben Regelungen, etwa für ein Sabbatjahr oder ein Gleitzeitkonto. "Darauf wird aber selten aktiv hingewiesen", sagt Cobaugh. Bei einer Gleitzeitregelung erhalten Mitarbeiter als Ausgleich für Mehrarbeit zusätzliche freie Tage.

Ob der Rückzug aus Führungsaufgaben möglich ist, hängt vor allem am Arbeitsvertrag: "Arbeitsrechtlich ist es überhaupt kein Problem, sich auf eine niedrigere Position im Unternehmen zu verständigen", sagt Alex. Aber der Arbeitgeber muss mitmachen, verpflichtet ist er dazu nicht. "Es gibt keinen Anspruch auf einen Stellenwechsel innerhalb der Firma." Ob er gelingt, ist Verhandlungssache.

Oft möchten Arbeitnehmer nur vorübergehend kürzertreten. Das sollten sie mitbedenken: "Die Kinder werden groß, aber die Teilzeitregelung bleibt", warnt Alex. Es gibt keinen Anspruch darauf, die Arbeitszeit wieder heraufzusetzen. Mitarbeiter sollten deswegen bei Teilzeitarbeit am besten eine Befristung mit dem Arbeitgeber vereinbaren.

Arnold begründet seinen Rückzug in erster Linie mit dem Firmenerfolg: "Ich hatte gesehen, dass für die nächste Phase der Unternehmensentwicklung ein anderer besser geeignet war." Danach nahm er eine dreimonatige Auszeit, um seinem Nachfolger die Möglichkeit zu geben, sich einzuarbeiten. Diese Zeit nutzte Arnold auch persönlich: "Ich habe Freunde besucht und bei einem Start-up mitgearbeitet, um mal wieder dieses Gründergefühl zu spüren."

(RP)
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