Experten-Interview Der Leistungsdruck im Job steigt

Berlin · Der Stress im Arbeitsalltag macht vielen zu schaffen. Denn die Arbeitswelt verändert sich heute teilweise rasant. Theresia Volk, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv), erklärt, welche Folgen das für die Beschäftigten hat.

Was macht Arbeitnehmern heute vor allem zu schaffen?

Theresia Volk Es geht um Dinge wie Leistungsdruck und ständig wachsende Anforderungen. Manche leiden darunter, keine hohe Qualität mehr liefern zu können, weil ihnen die Zeit für eine gute Arbeit fehlt. Da geht der Stolz auf die eigene Leistung verloren. Neu ist ein nachlassendes Zugehörigkeitsgefühl. Früher war die Verweildauer eines Chefs oder eines Mitarbeiters in der Firma viel länger. Jetzt muss man sich permanent an neue Leute gewöhnen. Mit ständiger Fluktuation geht auch die gegenseitige kollegiale Unterstützung verloren.

Sind die Probleme strukturell bedingt?

Volk Der Bedarf an Coaching und Supervision ist enorm gewachsen. Das lässt den Rückschluss zu, dass in den vergangenen 20 Jahren die Komplexität der Arbeit erheblich zugenommen hat. In den Unternehmen werden immer mehr Entscheidungen auf die untere Ebene verlagert. Es gibt kaum noch eine Firma, wo der Chef sagt, was zu tun ist, und alle folgen wie die Lemminge. Flexibilität und unternehmerisches Denken wird von den einzelnen Mitarbeitern in immer stärkerem Maße erwartet. Gleichzeitig fehlen Zeit und Rahmenbedingungen, um das zu bewältigen.

Und das überfordert viele?

Volk Es gibt in der Tat eine gewisse Grunderschöpfung. Sie ist das Ergebnis eines permanenten Optimierungs- oder Renditezwanges: um wettbewerbsfähig zu bleiben als Einzelner wie als Organisation. Es gibt in Firmen keine Puffer mehr, die so etwas ausgleichen können. Technisch ist es machbar, Informationen oder Dienstleistungen zwischen Indien und Reutlingen hin und her zu schicken. Der Mensch mit seinen Gefühlen und auch Ängsten ist aber nicht unbedingt in der Lage, das alles so perfekt hinzubekommen. Den Druck macht ja nicht immer der Chef. Er entsteht, weil wir auch an uns selbst hohe Anforderungen stellen. Das führt zu einer Grundüberanstrengung.

Wie hat sich die Lage für Chefs verändert?

Volk Wer vor 20 Jahren eine Führungsposition antrat, fasste durch eine sinnvolle Einarbeitung Fuß. Heute ist eine Chefstelle sofort mit einem Auftrag zu Veränderungen verbunden. Die neuen Chefs müssen anfangen, obwohl sie den Laden noch gar nicht gut kennen und häufig auch nicht die Rahmenbedingungen. Sie haben das Gefühl, sich dauernd selbst überholen zu müssen. Es gibt viele Dinge, die Energie von der Arbeit abziehen. Früher mussten Prozesse zwischen fünf deutschen Filialen abgestimmt werden, heute zwischen fünf Kontinenten.

JÖRG SCHURIG STELLTE DIE FRAGEN.

(RP)
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