Experten-Interview Die sieben wichtigsten Regeln für gesundes Arbeiten

Düsseldorf · Immer weniger Mitarbeiter machen während der Arbeitszeit Pausen, dafür werden immer mehr Überstunden absolviert. Die Folgen sind Stress und Schlaflosigkeit bis hin zum Burnout. Doch es gibt auch so etwas wie "gesundes Arbeiten", wie das funktioniert haben wir in einem Experten-Interview herausgefunden.

 Norbert Hüge ist Bundesvorsitzender des Deutschen Bundesverbandes für Burnout-Prophylaxe und Prävention e. V.

Norbert Hüge ist Bundesvorsitzender des Deutschen Bundesverbandes für Burnout-Prophylaxe und Prävention e. V.

Foto: Norbert Hüge

Herr Hüge, laut einer Studie der AOK nehmen psychische Erkrankungen von Arbeitnehmern immer mehr zu. Zugleich zeigen andere Studien, dass immer mehr Menschen Überstunden machen, und die Pausen auslassen. Gibt es denn so etwas, wie eine gesunde Anzahl von Arbeitsstunden pro Woche?

Hüge: Also grundsätzlich lässt sich sagen, dass ein Mensch der länger als zehn Stunden pro Tag arbeitet, langfristig etwas davon spüren wird, und das nicht nur auf persönlicher Ebene. Studien haben gezeigt, dass man ab zwölf Stunden arbeiten eine Hirnleistung von jemandem hat, der 2,0 Alkohol Promille im Blut hat. Die Konzentration lässt also rapide nach, die Leistung sinkt, Fehler stellen sich ein.

Aber gibt es auch eine allgemeine Empfehlung für die Anzahl der Stunden pro Woche?

Hüge: Nein, da kann man nichts empfehlen. Denn sehen Sie, warum brennt beispielsweise ein Unternehmer, der 70 bis 80 Stunden pro Woche arbeitet nicht aus, ein Angestellter, der 40 bis 50 Stunden die Woche arbeitet aber schon? Enorme Leistungsfähigkeit und Ausbrennen, müssen nicht zusammenhängen. Es geht viel mehr darum, wie ein Arbeitnehmer mit seiner Arbeitszeit umgeht.

Können Sie das näher erklären?

Hüge: Man kann sich zum Beispiel fragen, warum jemand zehn bis zwölf Stunden für seine Arbeit braucht? Sind seine Arbeitsmechanismen effektiv, oder braucht er beispielsweise für jede E-Mail zehn Minuten, weil er genau überlegt, soll ich jetzt mit "Hallo" anfangen, oder doch besser "Guten Morgen" schreiben, und dann jeden Satz in der E-Mail drei mal umdreht. Man muss sich also Fragen, ob wirklich jede Aufgabe mit 100 Prozent erledigt werden muss, oder, ob es hier mehr um die Angst vor Fehlern, oder davor nicht gut anzukommen, geht.

Perfektionismus ist ja gerade in Deutschland ein vielzitierter Stressfaktor am Arbeitsplatz.

Hüge: Ja, allerdings. Wir alle haben so genannte Stressverstärker, die häufigsten sind "ich will perfekt sein", "ich muss stark sein", "ich will beliebt sein" und "ich muss vorsichtig sein". Wenn einer oder mehrere dieser Aspekte greifen, wird die Aufgabe, der man sich gerade widmet sehr viel schwieriger.

Sie sind ja Spezialist für die Prävention von Burnout. Gibt es bestimmte Regeln, die man einhalten kann, um sozusagen auf gesunde Weise zu arbeiten?

Hüge: Da muss man natürlich fragen, was ist gesund? Ich würde das als eine Arbeitsweise bezeichnen, die mir hilft langfristig gesund zu bleiben, und da kann man schon einiges tun:

1. Eine Sache ist etwa, dass man lernt, die Arbeit nicht mit nach hause zu nehmen. Dafür muss man etwas finden, das einem dabei hilft abzuschalten. Ein Ritual mit dem der Arbeitstag beendet ist, den Schreibtisch aufräumen, oder so etwas. Dazu gehört übrigens auch, am Abend nicht nochmal schnell die letzten Geschäftsmails auf dem Handy zu checken. Es geht wirklich darum abzuschalten.

2. Dann ist es wichtig Pausen zu machen. In Studien hat man heraus gefunden, dass Menschen, die alle 90 Minuten eine kurze Pause machen, abends deutlich frischer waren, als die, die etwa von 8 bis 18 Uhr durchgearbeitet haben, und sogar das Brötchen schnell am Computer aßen. Raucher machen das ganz selbstverständlich. Aber auch Nicht-Raucher sollten mal aufstehen, aus dem Fenster sehen und ein kurzes freundliches Gespräch unter Kollegen führen.

3. Weiterhin, sollte man sich unbedingt einen Ausgleich schaffen. Und damit meine ich etwas tun, das genau entgegengesetzt zu meiner täglichen Arbeit ist. Also ausgegangen vom Büromenschen, eben nicht am Computer sitzen, auch nicht für Spiele, sondern Gartenarbeit machen, Sport treiben oder Spazierengehen.

4. Außerdem sind Rückmeldungen wichtig. Am besten ist es, wenn der Chef immer mal wieder ein Feedback gibt, wenn man etwas gut gemacht hat, oder auch etwas verbessern muss. Das hilft, um sich einordnen zu können, aber auch die soziale Unterstützung zu spüren. Etwa auch von Kollegen, mit denen man sich immer mal wieder austauschen sollte.

5. Wie eingangs schon gesagt, haben viele Menschen das Gefühl, sie müssten alles perfekt machen. Da sollte man sich fragen: ist es wirklich nötig, dass ich alle diese Aufgaben erledige? Und muss ich es so genau nehmen. Es ist wichtig Prioritäten zu setzen, und das berühmte "auch mal "nein"-sagen" zu lernen.

6. Prioritäten kann man aber nur setzen, wenn man sich darüber im klaren ist, und dafür muss man kommunizieren. Ich erlebe es oft in Unternehmen, dass der Chef fünf Aufgaben verteilt, aber nicht klar macht, welche wie wichtig oder dringend ist. Das führt dann für die Arbeitnehmer oft zu Frust oder sogar zu negativem Feedback von oben, der aber entsteht, weil sie die Dinge nicht einordnen können.

7. Als letzten Tipp würde ich ganz klar sagen, dass soziale Kontakte und Hobbys wichtig sind. Die sozialen Kontakte schaffen einen inneren Ausgleich, man wird Dinge über Gespräche los, und man merkt, dass es anderen genauso geht, und man kein komischer Einzelfall ist. Und das ist wichtig. Hobbys helfen einem außerdem dabei, die Endlosschleife des Arbeitens zu unterbrechen.

Einige der Regeln sind natürlich vollkommen klar, aber bei anderen, wie etwa den Pausen oder auch dem Checken von E-Mails am Abend kann man natürlich sagen, "dann bin ich eben etwas erschöpfter, dafür habe ich aber am Ende des Tages mehr geschafft".

Hüge: Sehen Sie, bei jedem Handy ist es vollkommen klar, dass ich es sofort an das Ladekabel hänge, wenn der Akku niedrig steht. Auch dem Auto geben wir Benzin, wenn der Tank das anzeigt, aber wenn der Mensch Regeneration braucht, dann wird das ignoriert. Für eine Phase kann man das machen. Aber langfristig führt das eben dazu, dass man körperlich und psychisch ausbrennt. Das liegt vor allem daran, dass wir eben in einer Wissensgesellschaft leben, und der Kopf nicht zeigen kann, wenn er von der Arbeit erschöpft ist. Beim Bauarbeiter dagegen ist vollkommen klar, dass er nach einer gewissen Zeit in der er Steine geschleppt hat eine Pause braucht, weil die Muskeln nachlassen. Für den Kopf, also geistige Arbeit, gilt aber eigentlich das gleiche. Wer sich nicht regelmäßig zumindest kurze Zeiten zur Regeneration gönnt, wird irgendwann merken, dass nicht weiter geht, und zwar nicht nur in der Freizeit wegen Schlafstörungen oder ähnlichem, sondern eben auch, dass die Leistungsfähigkeit enorm leidet.

Das Gespräch führte Susanne Hamann.

(ham)
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