Interview Straining — die perfide Art des Mobbing

Düsseldorf · Manche Chefs halten sich nicht mit fiesen Kommentaren auf: Kurzerhand entbinden sie Kollegen von allen Aufgaben und verdammen sie zur Langeweile. Straining nennt Professor Harald Ege diese Form des Mobbings, die zwar weniger sichtbar ist, aber häufiger vorkommt.

 Beim Straining werden Berufstätige von ihren Aufgaben entbunden und langweilen sich dann den ganzen Tag.

Beim Straining werden Berufstätige von ihren Aufgaben entbunden und langweilen sich dann den ganzen Tag.

Foto: Shutterstock.com/ Ditty_about_summer

Herr Ege, Straining wird auch als das "Mobbing 2.0" bezeichnet, was ist darunter zu verstehen?

Ege "Straining" bedeutet "Belasten" und ist ähnlich wie das Mobbing. Allerdings erfährt der Betroffene beim Mobbing täglich oder wöchentlich Feindseligkeiten, die meist aber keine oder nur geringere konkrete berufliche Konsequenzen haben. Beim Straining ist es genau umgedreht, da wird eine einzige Handlung getätigt, die aber mit langfristiger negativer Wirkung für den Arbeitnehmer verbunden ist. Anders gesagt, oft kommt es zum sofortigen Karriere-Stopp.

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Ege Ich kann mich etwa an einen Fall erinnern, bei dem ein Arbeitnehmer von seinem Chef angerufen wurde. In dem Gespräch sagt man ihm, er müsse sein Büro räumen und an einen anderen Platz umziehen, außerdem wurden ihm alle seine Aufgaben weggenommen. Das heißt, er wurde quasi zum Nichtstun verdammt. Das ist ein extreme psychische Belastung.

Aber wie kann man denn als Vorgesetzter jemandem zum Nichtstun verdammen? Das Gehalt wird doch zu rausgeworfenem Geld.

Ege Das ist ja das absurde, eigentlich macht das keinen Sinn. Deswegen wird diese Methode beispielsweise gerne angewendet, wenn man Führungskräfte los werden will, die sich nicht mit einer Abfindung abspeisen lassen. Oder wenn Mütter nach der Schwangerschaft wieder in ihren Beruf einsteigen wollen und lange aus dem Job raus waren. Oder auch mit älteren, kranken oder behinderten Mitarbeitern. Man steckt sie einfach in eine isolierte Arbeitssituation und gibt ihre Aufgaben einem anderen Kollegen.

 Professor Harald Ege ist Arbeitspsychologe und hat jahrelang als Gerichtsgutachter gearbeitet. Er hat den Begriff des "Straining" für eine bestimmte Form des Mobbings geprägt.

Professor Harald Ege ist Arbeitspsychologe und hat jahrelang als Gerichtsgutachter gearbeitet. Er hat den Begriff des "Straining" für eine bestimmte Form des Mobbings geprägt.

Foto: Harald Ege

Sie müssten doch nochmal ein anderes konkretes Beispiel nennen.

Ege Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten als Vertreter und haben bisher immer in einem wohlhabenden Vorort gearbeitet, in dem Sie lukrative Provisionen einstreichen konnten. Dann kommt der Anruf, und plötzlich steckt man Sie in ein Viertel mit sozial deutlich schlechter gestellten Einwohnern. Ihre Karriere wäre auf einen Schlag beendet. Finanziell ebenso wie Ihre berufliche Reputation.

Und was kommt häufiger vor, Mobbing oder Straining?

Ege Auf jeden Fall Straining. Wir haben hier in Bologna große Studien durchgeführt, die gezeigt haben, dass 60 Prozent des Mobbings eigentlich Fälle von Straining sind. Viele kennen nur den Begriff und den Unterschied nicht.

Welche Auswirkungen hat das Straining auf die Betroffenen?

Ege Die Opfer erfahren dabei einen ähnlichen Schaden wie auch beim Mobbing, denn sie müssen die Situation ja oft Jahre lang aushalten. Folgen können psychosomatische Störungen, Ängste, Depressionen, Magen-Darm-Probleme, Schlafstörungen, Aggressivität und eine posttraumatische Verbitterungsstörung sein.

Was ist denn das?

Ege Das ist eine psychische Störung, die auftritt, wenn eine gewöhnliche Situation ständig wiederkehrt und mit enormen Frust verbunden ist. Das äußert sich mit der Zeit ähnlich wie eine posttraumatische Belastungsstörung, nur dass kein Trauma wie ein Unfall oder ein sexueller Missbrauch vorgefallen ist.

Und was raten Sie Betroffenen?

Ege Das Problem ist, dass Mobbing und Straining nicht leicht zu beweisen sind. Denn der "Strainer" ist ja viel weniger offensichtlich als der "Mobber". Während der seine Tat ja ständig wiederholt, tritt der "Strainer" wahrscheinlich nur ein mal in Aktion. Auf der anderen Seite ist die veränderte Situation des Strainingopfers schon zu belegen. Wenn plötzlich jeder Arbeitsnachweis des Opfers fehlt, es plötzlich keine Dokumente mehr mit seiner Unterschrift gibt oder er plötzlich nicht mehr in Rundmails oder im internen Telefonnetz eingebunden ist, lässt sich das vor Gericht auch zeigen. Beim Mobbing kann es dagegen schwer sein verbale Entgleisungen, die nur unter vier Augen stattgefunden haben, zu beweisen. Das geschieht ja vollständig ohne Zeugen und Schriftstücke.

Sollte man den Chef direkt darauf ansprechen?

Ege Nein, auf keinen Fall. Gespräche machen die Situation in der Regel nur noch schlimmer. Denn dass man einen Mitarbeiter mobbt, will ja niemand zugeben. Das heißt, man redet als Täter auch nicht darüber. Im Zweifel führt ein Gespräch deshalb nur dazu, dass das feindselige Verhalten noch schlimmer wird.

Aber was dann?

Ege Man kann sich nur externe Hilfe holen. Die kann am Anfang noch in Kursen in verbaler Selbstverteidigung bestehen, aber wenn das Mobben oder Strainen nicht aufhört, muss eben auch ein Anwalt eingeschaltet werden. Damit der aber aktiv werden kann, sollte man versuchen, zum einen alles in einer Chronologie aufzuschreiben mit Datum, Uhrzeit und genauer Beschreibung der Situation und zum anderen, sollte man versuchen, so viel wie möglich schriftlich abzuwickeln.

Wie erfolgreich sind diese Fälle denn vor Gericht?

Ege Wie gesagt, es ist schwierig. In Italien werden Straining-Fälle inzwischen auch mit diesem Begriff anerkannt. In Deutschland ist das noch nicht so. Sicher ist aber, dass für die Opfer eine extrem schlimme psychische Situation eintritt, wenn sie ein Gerichtsverfahren gegen einen "Strainer" oder "Mobber" verlieren. Sie kommen dann quasi doppelt zu Schaden.

Anmerkung der Redaktion: In Deutschland fällt Straining derzeit unter den "Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht" (Paragraph 823 Absatz 1 BGB). Bekommt der Kläger vor Gericht Recht, wird ihm Schmerzensgeld und Entschädigung für einen möglicherweise entstandenen materiellen Schaden (Gehalt) zugesprochen. Das Schmerzensgeld kann bis 60.000 Euro betragen.

(ham)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort