EU-Länder im Vergleich Keiner macht so viele Überstunden wie die Deutschen

Berlin · Die Deutschen leisten mehr Überstunden als andere Europäer. Fast drei Stunden zusätzlich sind es im Durchschnitt, Woche für Woche, ein Großteil davon noch nicht einmal bezahlt. Die Arbeitswut hat weniger mit deutschen Tugenden als mit dem geltenden Tarifrecht zu tun.

Die Vergleichszahlen für die Länder Eurozone wurden in Brüssel erhoben. Das Urteil ist eindeutig. "In keinem Land der Eurozone gibt es einen so großen Unterschied zwischen der tarifvertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit und der tatsächlichen Wochenarbeitszeit wie in Deutschland", sagte EU-Sozialkommissar Lazlo Andor der "Welt" zur Lage in Deutschland.

Laut EU-Studien liege die tatsächlich vereinbarte Wochenarbeitszeit in Deutschland bei 37,7 Stunden - tatsächlich arbeiteten die Beschäftigten aber 40,5 Stunden in der Woche.

Jedes Land habe bei der Arbeitszeit aber seine Eigenheiten. "Wichtig ist am Ende, dass das Land wettbewerbsfähig ist und dass die Vorgaben der EU-Arbeitszeitrichtlinie eingehalten werden - das ist in Deutschland im Allgemeinen der Fall", sagte Andor.

Experten sehen rechtliche Besonderheiten als Grund

Dass in Deutschland so viel über das vertraglich festgelegte Mindestmaß hinaus geschuftet wird, ist nach Ansicht von Experten insbesondere auf rechtliche Besonderheiten in Deutschland zurückzuführen. "Wenn die Konjunktur anzieht, reagieren die Unternehmen wegen des Kündigungsschutzes nicht sofort mit Neueinstellungen, sondern versuchen, die bessere Auftragslage durch Überstunden abzufangen", zitiert die "Welt" Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). In anderen Ländern könnten Unternehmen hingegen flexibler auf Schwankungen in Konjunktur und Nachfrage reagieren.

Aus Arbeitnehmersicht bleibt festzuhalten: Die Überstunden fordern ihren Tribut. Die chronische Debatte über Anti-Stress-Gesetze, die Zunahme von Burnout und psychische Krankheiten ist eindrücklicher Beleg dafür. Ebenso untermauert das Ergebnis von Umfragen die Problematik.

Erst Anfang August sagten zwei Drittel der Deutschen aus, regelmäßig über das vereinbarte Pensum hinauszuarbeiten. Von 65 Prozent fühlte sich jeder Fünfte durch die Erwartung des Arbeitgebers belastet, Mehrarbeit leisten zu müssen. Von 22 Prozent der Beschäftigten wurde erwartet, dass sie auch im Privatleben für dienstliche Angelegenheiten zur Verfügung stehen.

Als weitere Belastung der Arbeitnehmer kann gelten, dass ein Großteil der Überstunden unentgeltlich geleistet wird. Studien liefern hier unterschiedliche Zahlen, aber alle in besorgniserregendem Ausmaß. So hieß es im Juni aus dem Institut der Deutschen Wirtschaft, jeder sechste Arbeitnehmer bekomme keinerlei Ausgleich für Mehrarbeit.

Früher gab es mehr Überstunden

Die Welt berichtet hingegen unter Berufung auf neueste Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit, um die 60 Prozent aller Überstunden würden nicht vergütet. Demnach beläuft sich für das Jahr 2013 die Zahl aller geleisteten Mehrarbeit auf durchschnittlich 47,3 Überstunden, davon 27,2 ohne Gegenleistung - weder finanziell noch mit Freizeitausgleich.

Mehr Stress in der Arbeitswelt bedeutet aber nicht gleich, dass auch mehr Überstunden als früher geleistet werden, wie im Juni eine Studie vom Institut der Deutschen Wirtschaft ergab. Demnach war die Anzahl der Arbeitnehmer, die in den 70er Jahren bezahlte Zusatzarbeit leisteten, viereinhalb Mal so hoch wie heute.

Damals fielen pro Jahr 170 bezahlte Überstunden an. Vor 20 Jahren waren es dann nur noch 57 und im vergangenen Jahr nur noch 37. Somit machen Überstunden inzwischen weniger als drei Prozent der gesamten Arbeitszeit aus.

(dpa)
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