"Öffentliche Hetzjagd" Streit um Hartz-IV-Serie im TV

Frankfurt/Main (RPO). Eine neue Fernseh-Serie über "Hartz-IV-Betrüger" hat schon vor dem Sendestart am Mittwoch lauten Protest hervorgerufen. Unter dem Serientitel "Gnadenlos gerecht - Sozialfahnder ermitteln" begleitet ein Kamerateam zwei Sozialamtsmitarbeiter. Der Arbeitslosenverband Deutschland spricht von einer "öffentlichen Hetzjagd" auf Hartz-IV-Empfänger.

Was sich Hartz-IV-Empfänger nicht gefallen lassen müssen
Infos

Was sich Hartz-IV-Empfänger nicht gefallen lassen müssen

Infos
Foto: ddp

Auch von einer "negativen Stimmungsmache" ist in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP die Rede. Der Sender Sat.1, der die Serie ausstrahlt, betonte dagegen, die Sendung berichte "in ausgewogener Form über die gesellschaftliche Realität".

Unter dem Serientitel "Gnadenlos gerecht - Sozialfahnder ermitteln" begleitet ein Kamerateam zwei Sozialamtsmitarbeiter beim Kreis Offenbach in Hessen: die Leiterin der Abteilung Ermittlungen SGB II Leistungen, Helena Fürst, und den Leiter der Geschäftstelle Sicherheit, Helge Hofmeister. "Wir sind ja 'Profis', da wir schon im 'Sat.1-Magazin', im 'Sat.1-Frühstücksfernsehen' und in '24 Stunden' dabei waren. Jedoch ist es immer wieder eine willkommene Abwechslung in unserem Alltag", sagte die 34-jährige Ermittlerin in einem Interview des Senders über die Produktion.

Helena Fürst hat es in den drei Jahren in ihrer Funktion zu einiger Berühmtheit gebracht. Sie deckte die Fälle auf, die mit den Spitznamen "Mallorca-Karin" und "Ebay-Hans" Schlagzeilen machten. "Karin kassierte in Deutschland Geld vom Vater Staat und vermietete gleichzeitig ihre beiden Eigentumswohnungen auf der spanischen Insel an Gäste, Hans hingegen stellte die vom Sozialamt bewilligten Gegenstände gleich mal ins Internet, um damit sein Hartz IV-Salär aufzubessern", fasst Sat.1 zusammen.

750.000 Euro durch Ermittlungen gespart

Durch die Ermittlungen sparten die öffentlichen Kassen allein im Kreis Offenbach im vergangenen Jahr circa 750.000 Euro, wie Fürst erklärte. Der Pressesprecher der Kreisverwaltung, Ralf Geratz-Krams, sagte der AP, Hartz-IV-Betrug habe weder zu- noch abgenommen. "Betrug hat es immer gegeben, wird es immer geben." Die Bundesagentur für Arbeit hat keine konkreten Zahlen, erklärte aber generell, bei Betrügereien sei ein leichter Rückgang zu verzeichnen.

Die Ermittler gingen nicht Fragen nach, ob jemand "eine gemeinsame Zahnbürste" habe oder in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe, sagte Geratz-Krams. Vielmehr erhielten sie ganz konkrete Hinweise - meist direkt aus Familien und von Nachbarn - auf Betrüger, denen sie von Gesetzes wegen nachgehen müssten. So habe ein Unternehmer mehrere Wäschereien und Schneidereien betrieben und einen teuren Geländewagen gefahren, aber trotzdem Hartz IV beantragt. Später habe sich noch herausgestellt, dass er Grundstücke in der Türkei besitze.

Der Sprecher betonte, in der Serie würden aber auch Menschen vorgestellt, "die schlicht und einfach bedürftig sind". Und diese seien meist gar nicht über ihre Ansprüche informiert und träten "eher defensiv" auf.

Solche Fälle kommen auch in "Gnadenlos gerecht" vor. Dazu Sat.1: "Helena und Helge sehen sich aber auch als die Stimme der Ehrlichen: Schließlich ist nicht jeder Hartz IV-Empfänger auch ein Betrüger." Der Sender zitiert Helena Fürst: "Besonders nahe gehen uns täglich viele menschliche Schicksale, am traurigsten war ein Fall, in dem eine frisch getrennte Mutter mit ihren kleinen Kindern auf einer Matratze, in einer sonst komplett leeren Wohnung, schlief. Ihr Noch-Ehemann ist gewalttätig und alkoholabhängig, die Frau ist vor ihm geflüchtet. Er hat ihre Kleidung und alles, was ihr gehört, auf den Müll geschmissen. Die Frau hatte nur noch die Kleider, die sie am Leibe trug."

"Einschaltquote mit Elend"

Die Vorsitzende des Arbeitslosenverbands Deutschland, Marion Drögsler, meinte, vor der Fernsehkamera seien nur "gestellte Sachen" zu sehen. Denn die Betreffenden müssten zuvor ihre Zustimmung zu Aufnahmen geben. Drögsler wirft Sat.1 vor, "mit dem Elend der Menschen Einschaltquoten hoch treiben" zu wollen. Die Etikettierung als "Hartz-IV-Betrüger" sei eine Verunglimpfung und Kriminalisierung von Arbeitslosen. Nicht im Fernsehen zu sehen seien Fälle, in denen Arbeitslose über Praktika und Trainingswochen kostenlos arbeiteten und damit "böse ausgebeutet" würden.

Drögsler meinte, die Sendung "passt gut in den bevorstehenden Wahlkampf". Sie befördere die Meinung, dass eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze nicht erforderlich wäre, und setze damit "genau das falsche Signal". "Wir brauchen aber unbedingt höhere Regelsätze", erklärte sie.

Der Förderverein gewerkschaftlicher Arbeitslosenarbeit kritisiert ebenfalls die Serie: "Da soll Stimmung gegen Arbeitslose gemacht werden", sagte die Referentin Angelika Klahr. Die Zahl der Betrugsfälle kann nach ihrer Einschätzung nur sehr gering sein. Denn schon bei der Antragsstellung würden die Angaben überprüft.

Die Serie wird mittwochs um 21.15 Uhr ausgestrahlt.

(ap)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort