Doping im Büro Wenn Berufstätige zu Drogen greifen

Berlin/Leipzig (RPO). Drogen konsumieren, das tun nicht nur Junkies hinterm Bahnhof oder labile Jugendliche in Techno-Clubs. Häufiger als gedacht werden Drogen am Arbeitsplatz konsumiert. Von Studenten, Lkw-Fahrern oder Managern, die mit Anforderungen und Leistungsdruck nicht fertig werden.

 Drogen wie Kokain oder Speed werden auch am Arbeitsplatz konsumiert.

Drogen wie Kokain oder Speed werden auch am Arbeitsplatz konsumiert.

Foto: ddp

Irgendwann zeigte bei Claudia selbst übertriebener Kaffee-Konsum keine Wirkung mehr. Regelmäßig schlief sie nachts völlig erschöpft über ihrer Diplomarbeit ein. Dabei blieb ihr doch nur die Nacht, denn tagsüber musste sie ja arbeiten. Dann bot ihr eine Freundin das weiße Pulver mit dem banalen Namen an: Speed. Und von der ersten geschnupften Linie schrieb sich die Arbeit fast wie von allein zu Ende. Dabei waren Claudias Gedanken so unglaublich klar, strukturiert, selbst nach zehn Stunden kellnern im Café.

Millionen Überforderte und Workaholics in Deutschland koksen, kiffen, trinken, nehmen Tabletten. Oder aufputschende Amphetamine wie Claudia, die ihre Diplomarbeit dadurch doch noch fristgerecht einreichen konnte. "Die Belastungen und Herausforderungen in der Arbeitswelt haben insgesamt deutlich zugenommen", sagt Peter Tossmann, Diplompsychologe und Betreiber des Internetportals zur Suchtprävention drugcom.de im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

Tabletten, um das Leistungsniveau zu halten

Zwar existieren ihm zufolge keine Studien über den Zusammenhang zwischen gesteigertem Stress in der Arbeitswelt und vermehrtem Drogenkonsum bei Berufstätigen. Aber es gibt eine Reihe von Indizien für die Verbindung. "Die Krankschreibungen gehen zurück, aber nicht weil die Leute gesünder geworden sind, sondern weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren", sagt Tossmann. Viele aber brauchen dann Tabletten oder andere Mittel, um Körper und Psyche auf dem notwendigen Leistungsniveau zu halten. Die Abhängigkeit ist dann nicht weit.

So schätzt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, dass von den jährlich rund 150 Millionen verkauften Packungen von Schmerz- und Betäubungsmitteln "ein nicht unbeträchtlicher Teil" nicht wegen Krankheiten, sondern wegen einer Medikamentensucht erworben wird. Aufputschendes Kokain wird auf Partys, aber auch hinter Schreibtischen konsumiert. Mittlerweile wird so viel geschnupft, dass sich die Spuren mühelos aus Rhein, Elbe und Spree herausfischen lassen. Völlig unverkrampft ist der Umgang mit der Gesellschaftsdroge Alkohol. Das Entspannungsbierchen zum Feierabend wird nicht nur toleriert, sondern in Werbespots sogar propagiert.

Die Folgen des Missbrauchs sind ernst. Langfristig drohen schwere körperliche und psychische Schäden, gleich ob es sich um Alkohol, Kokain oder Cannabis handelt. Nicht selten potenzieren sich die Gesundheitsrisiken noch, wenn Süchtige gleich an mehreren Drogen hängen. Tossmann zufolge kommt es häufig vor, dass Berufstätige, die sich tagsüber mit Aufputschmitteln auf höchstem Leistungslevel halten, abends Alkohol oder Cannabis benötigen, um wieder einigermaßen herunterzukommen. Der Müdigkeit und Antriebsschwäche am nächsten Morgen wird dann wiederum mit Aufputschern begegnet.

Freiräume schaffen

Natürlich liegt es nahe, den global wachsenden Konkurrenzdruck und die Angst vor Arbeitslosigkeit für den Stress im Beruf verantwortlich zu machen. Viele Unternehmen vergessen, dass auch sie Verantwortung tragen für das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter, wie Thomas Rigotti, Arbeits- und Organisationspsychologe an der Universität Leipzig, erläutert. Wichtig sei deshalb eine nachhaltig gesunde Arbeits- und Organisationsgestaltung im Betrieb, etwa durch Mitbestimmung sowie verbesserte Arbeitsabläufe und Kommunikation.

Die Ursachen für Burnout können aber auch beim Einzelnen liegen: Manche sind im Job überfordert, weil sie ihre eigenen Fähigkeiten überschätzt haben. Oder aber es hapert am Umgang mit der Freizeit. "Viele Berufstätige versäumen es, sich Freiräume zur Erholung zu schaffen, sie können nicht abschalten", sagt Rigotti.

Wer seinem Körper aber keine Auszeiten gönnt, kann auch keine Erholung erwarten. Der Arbeitspsychologe rät deshalb zu einem professionellen Zeitmanagement, durchaus mit einem Terminplaner, in dem Erholungstermine genauso penibel vermerkt und eingehalten werden wie berufliche Verpflichtungen. Das kann ein Besuch im Theater ebenso sein wie in der Sauna, wichtig ist, dass die Erholungsphasen bewusst und als Belohnung erlebt werden. "Dazu gehört auch, dass man das Handy und das Notebook abends oder am Wochenende ausschaltet und mal nicht an die Arbeit denkt", fügt Rigotti hinzu. Gesunde Ernährung und regelmäßiger Sport tragen ebenfalls zu mehr Leistungsfähigkeit bei.

Selbst wer sich als Workaholic schon im Drogensumpf befindet, hat noch gute Chancen, sich aus diesem mit professioneller Hilfe zu befreien. In jeder größeren Stadt gibt es Suchtberatungsstellen, darüber hinaus kann man sich an einen Psychotherapeuten wenden. Mitunter stellt sich dort im vertraulichen Gespräch heraus, dass das Hauptproblem gar nicht die Drogensucht als solche ist, sondern die fehlende Balance zwischen beruflichen Anstrengungen und privater Erholung. Dann ist womöglich keine aufwendige Suchttherapie notwendig. Oft genüge eine "kleine Kurskorrektur" im Zeit- und Alltagsmanagement, weiß Diplompsychologe Tossmann.

(afp)
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