Wenn das Diensthandy immer klingelt

Immer telefonieren und Mails abrufen zu können ist für Mitarbeiter Fluch und Segen zugleich: Es sorgt für Work-Life-Balance, doch der Druck steigt.

"Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Mail. Ich bin ab der kommenden Woche wieder erreichbar. Ihre Mail wird nicht weitergeleitet. In dringenden Fällen wenden Sie sich bitte an meinen Kollegen." Solche Antworten erreichen uns immer häufiger. Volkswagen stellt 30 Minuten nach Ende der Gleitzeit seinen Server-Betrieb ein. BMW erwartet von seinen Mitarbeitern nicht, dass sie nach Feierabend und im Urlaub erreichbar sind. Zahlreiche Unternehmen schieben der ständigen Erreichbarkeit durch Laptop, Smartphone und Tablet einen Riegel vor.

Bei der Deutschen Bank verschickt das Mail-System eine Abwesenheitsnotiz. Auch Daimler will bald allen Mitarbeitern mit Büroarbeitsplatz einen Abwesenheitsagenten anbieten, damit sie in den Ruhepausen abschalten und an Brückentagen oder im Urlaub keine Mails lesen können. Das dient dem Selbstschutz. Jeder Mitarbeiter kann selbst entscheiden, ob er den digitalen Agenten nutzt. Wenn ja, werden eingehende Mails gelöscht. An Ostern, Pfingsten und in den Sommerferien teste Daimler das System.

"Wo Schutz-Instrumente für die Mitarbeiter wie bei Daimler eingeführt werden, hat das positive Auswirkungen auf die Mitarbeiter", erklärt Professor Tim Hagemann. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld und Leiter des Instituts für Arbeitspsychologie und -medizin in Berlin. Er stellt fest: "Immer mehr Firmen unternehmen etwas gegen die ständige Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter."

Jedoch gilt: Wenn Mitarbeiter E-Mails am Feierabend und im Urlaub abrufen, tun sie das aus eigenem Antrieb. "Menschen sind soziale Wesen, an sozialen Kontakten interessiert und neugierig." Käme der Postbote dreimal am Tage, würden wir dreimal gespannt zum Briefkasten laufen, um zu schauen, wer uns geschrieben hat, erklärt Hagemann. Das sei bei digitaler Post noch viel schlimmer: man muss nicht einmal aufstehen, um sogar ständig in den digitalen Briefkasten schauen zu können. Neugier ist der eine, erfüllende Erwartungshaltung der andere Grund für das ständige Abrufen der Mails. Wenn der Chef ständig Nachrichten schreibt, wird Druck aufgebaut, ständig erreichbar zu sein. Wer nicht mitmacht, fürchtet, als lahme Ente verspottet zu werden.

"Es ist die Angst vor negativen Konsequenzen, die die Menschen zur permanenten Verfügung treibt", sagt Hagemann. Beides mache krank. Jeder zweite Arbeitnehmer leidet nach eigenen Angaben unter starkem Termin- und Leistungsdruck. Das geht aus dem "Stressreport Deutschland 2012" der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hervor. Und drei Viertel aller Berufstätigen sind außerhalb ihrer regulären Arbeitszeiten für Kollegen, Vorgesetzte oder Kunden per Handy oder E-Mail erreichbar. Zu diesem Ergebnis kommt der High-Tech-Verband Bitkom in seiner Studie "Arbeiten in der digitalen Welt". Danach gibt es in den meisten deutschen Unternehmen keinerlei Vorgaben, wann Mitarbeiter erreichbar sein sollten und wann nicht. Doch die sind erforderlich, "weil feste Arbeitszeiten und ortsgebundene Arbeitsplätze dank neuer Technologien für viele Bürojobs nicht mehr zeitgemäß sind", meint Bitkom-Präsident Dieter Kempf.

Das umfangreiche deutsche Arbeitsrecht reiche aus, um die Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt zu regeln. "Entscheidend dafür sind Arbeitsvertrag und Arbeitszeitgesetz", sagt Sandra Flämig, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Stuttgart. Wenn im Arbeitsvertrag feste Arbeitszeiten vereinbart und die Anordnung von Überstunden erlaubt ist, könne der Arbeitgeber verlangen, dass diese Mitarbeiter nach Feierabend erreichbar sind. Die Überstunden müssen jedoch vergütet oder in Freizeit abgegolten werden.

Das Arbeitszeitgesetz bestimmt, dass zwischen dem Ende einer Arbeitseinheit und dem Beginn einer neuen elf Stunden Ruhezeit liegen müssen. Wer also abends um 22 Uhr Mails liest, darf nicht vor neun Uhr am nächsten Tag mit der Arbeit beginnen. "Oft ist es so, dass die Bearbeitung von E-Mails und die Erreichbarkeit per Handy außerhalb der üblichen Bürozeiten stillschweigend erwartet werden. Schlimmer ist noch, wenn der Arbeitnehmer annimmt, dass es von ihm erwartet wird", erläutert Flämig. Die Arbeitsrechtlerin rät zur Klarheit: "Wer seine Wünsche nicht unmissverständlich äußert, hat keine Chance, sie erfüllt zu bekommen." Das gilt für beide Seiten.

Während des Urlaubs kann Erreichbarkeit nicht verlangt werden. Der dient der Regeneration. "Wer ständig verfügbar ist, macht sich unattraktiv", sagt Karriereberaterin Svenja Hofert. Ihre Schlussfolgerung: "Diese Menschen schaden sich selbst - im Job und Privat."

(RP)
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