Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit

Arbeitgeber sollten laut Bundesarbeitsgericht bei einem Verdacht statt Detekteien den Medizinischen Dienst einschalten.

"Detektive Kocks - Ihre diskreten Beweisermittler". So lautet der Slogan des Düsseldorfer Detektiv-Instituts Kocks Gmbh. Dabei geht es nicht etwa um Ermittlungen zu Seitensprüngen. Die Firma bietet vielmehr Arbeitgebern das Aufspüren von vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit an. "Wir entlarven Lügner. Seit 1955", wirbt das Institut. Auf seiner Internetseite verweist das Unternehmen unter anderem auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Februar 2015. Danach habe das oberste deutsche Arbeitsgericht "Detektiv-Überwachung auch bei unklarer Krankmeldung" erlaubt, so das Detektiv-Institut.

Zur Überwachung von Arbeitnehmern außerhalb des Betriebs - insbesondere von arbeitsunfähig geschriebenen Arbeitnehmern - gibt es bereits seit Jahrzehnten zahlreiche Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG). "Nein, aber" - so lässt sich die Rechtsprechung des BAG zur Observierung von Mitarbeitern grob zusammenfassen - oder auch, wenn man es anders gewichtet: "Ja, aber".

Im jüngsten Fall, über den in Kassel im Februar entschieden wurde, ging es um eine Assistentin der Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens. Sie hatte nacheinander sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Dabei hatte sie ihrem Arbeitgeber auch telefonisch die Diagnosen ihrer Ärzte mitgeteilt - wozu sie nicht verpflichtet war und was in der Regel auch nicht ratsam ist. Zunächst ging es um eine Bronchitis, danach um einen Bandscheibenvorfall. Die Firma traute den gelben Scheinen jedoch nicht - auch weil es zuvor am Arbeitsplatz zu Unstimmigkeiten gekommen war. Sie schaltete deshalb einen Privatdetektiv ein. Dieser machte heimlich Foto- und Videoaufnahmen von der Assistentin während ihrer Krankheitszeit. Sie zeigen sie vor ihrem Wohnhaus, bei einem Spaziergang mit ihrem Ehemann und ihrem Hund sowie im Waschsalon.

Das BAG befand (Az.: 8 AZR 1007/13): Die Observation einschließlich der heimlichen Aufnahmen sei rechtswidrig gewesen. Der Arbeitgeber habe keinen berechtigten Anlass zur Überwachung gehabt. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei weder dadurch erschüttert, dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch durch eine Änderung im Krankheitsbild oder weil ein Bandscheibenvorfall zunächst hausärztlich behandelt worden war. Die Videos und Fotos würden den Verdacht einer vorgetäuschten Krankheit auch nicht belegen. Ein Bandscheibenvorfall hindere niemanden daran, mit seinem Hund auf die Straße zu gehen, hatten bereits die Vorinstanzen befunden.

Zudem musste der Arbeitgeber seiner - ehemaligen - Beschäftigten für die erlittenen psychischen Belastungen ein Schmerzensgeld in Höhe von 1000 Euro zahlen. Die Höhe hatte bereits die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Hamm, festgelegt. Das BAG befand, dass diese Entscheidung nicht zu korrigieren sei. Entsprechend hätte das Gericht wohl auch entschieden, wenn das Landesarbeitsgericht Hamm eine noch höhere Summe für angemessen befunden hätte. Die 1000 Euro sind damit wohl eher eine kleine "Hausnummer" für künftige Verfahren.

Das Bundesarbeitsgericht hält allerdings die Einschaltung einer Detektei durch den Arbeitgeber nur dann für rechtswidrig, "wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht". Danach wäre die skizzierte Überwachung erlaubt gewesen, wenn es hierfür einen berechtigten Grund gegeben hätte. In solchen Fällen kann der Arbeitgeber unter Umständen auch verlangen, dass "erwischte" Arbeitnehmer die Kosten des privaten Ermittlers übernehmen. Der Kostenaufwand darf dabei allerdings nicht überzogen sein. Und vor allem: Arbeitgeber müssen zunächst andere Möglichkeiten zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit ausschöpfen. Nach Paragraf 275 Sozialgesetzbuch V können sie bei entsprechenden Zweifeln nämlich verlangen, "dass die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt".

Dieses Begutachtungsverfahren stelle - so das BAG in einer Entscheidung vom 28. Mai 2009 (Az.: 8 AZR 226/08) - "einen einfacheren, kostengünstigeren und jedenfalls kompetenteren Weg zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit zur Verfügung als die kostenintensive und im Ergebnis in solchen Fragen stets interpretationsbedürftige Beauftragung einer Detektei". Und das Gericht schließt daraus: "Von dieser Möglichkeit der Begutachtung hätte ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Arbeitgeber Gebrauch gemacht, wenn es um die Abwehr geltend gemachter Lohnfortzahlungsansprüche gegangen wäre." Mit anderen Worten: Hat ein Arbeitgeber auf die Einschaltung des Medizinischen Dienstes verzichtet, so ist es höchst zweifelhaft, ob er verlangen kann, dass "erwischte" Arbeitnehmer ihm Ermittlungskosten erstatten.

Wie bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit zu verfahren ist, darüber können zudem Betriebsräte und Arbeitgeber Betriebsvereinbarungen abschließen. Erzwingen kann ein Betriebsrat eine solche Vereinbarung aber nicht. Denn ein generelles Mitbestimmungsrecht der Interessenvertretung bei der Einschaltung von Detekteien außerhalb des Betriebs gibt es nicht, befand das BAG bereits in einer Entscheidung 1991 (Az.: 1 ABR 26/90).

(RP)
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