Gesundheit Ärzte erkennen Borreliose häufig nicht

Düsseldorf · Die von Zecken übertragene Krankheit gilt als kompliziert und schwer zu erkennen. Die Symptome sind vielfältig. Oft denken Mediziner nicht an sie.

Gesundheit: Ärzte erkennen Borreliose häufig nicht
Foto: dpa, Patrick Pleul

Das Schlimmste waren nicht die Schmerzen und die Müdigkeit. Das Schlimmste war die Ungewissheit. Und die Furcht, man halte ihn für einen Hypochonder. Für einen, der sich alles nur einbildet. Nach vielen Jahren und unzähligen Arztpraxen und Kliniken hatte er eine Diagnose: Borreliose. Für Volker Klemm (60) aus Meerbusch war das fast eine Erleichterung. "Endlich passte alles zusammen, alle Beschwerden hatten nun einen Namen."

Besiegt hat er seine Krankheit deshalb noch nicht. Nach Einschätzung der Deutschen Borreliose-Gesellschaft, einer Organisation von Medizinern, gehört die Borreliose im fortgeschrittenen Stadium zu einer der kompliziertesten Krankheiten. Und ist Anlass zum Streit unter Experten.

Erst war da diese rätselhafte Müdigkeit, "so schlimm, dass ich mich mittags immer hinlegen musste." Damals war Volker Klemm noch ein junger Mann, und er erinnert sich gut an die skeptischen Blicke seines Vaters, warum er in seinem Alter denn einen Mittagsschlaf brauchte. Dann schmerzten die Beine, plötzlich konnte er bestimmte Lebensmittel nicht mehr vertragen, und beim Tennis traf er kaum noch einen Ball, weil er den Arm nicht mehr richtig heben konnte.

"Das war ein ständiges Auf und Ab, mal ging es mir schlechter, mal wieder besser." Kein Arzt konnte diese diffusen Beschwerden erklären, der Internist schickte ihn zum Neurologen, der schickte ihn zum Psychiater, weil er vermutete, dass "etwas Psychisches" dahintersteckte. Ein neuer Hausarzt wusste auch nicht weiter. So vergingen etliche Jahre.

In NRW werden Borreliose-Fälle bislang nicht registriert

"Ganz typisch" findet Ute Fischer diesen Bericht. Die Vorsitzende des Borreliose-Bundes Deutschland, einer Patientenorganisation mit Sitz in Darmstadt, kennt viele solcher Leidensgeschichten.

Die Initiative drängt seit Jahren darauf, dass die Infektion in allen Bundesländern meldepflichtig wird wie beispielsweise in Bayern, Thüringen und Sachsen, auch um verlässliche Zahlen darüber zu bekommen, wie häufig Spätfolgen sind. In NRW werden die Erkrankten bisher nicht registriert, "aber Ministerpräsident Laschet hat uns zugesichert, das Thema zu erörtern", so Ute Fischer.

Wie die meisten Betroffenen kann sie im Schlaf erklären, wie eine Borreliose entsteht: Sie wird durch Zecken übertragen, die mit Bakterien infiziert sind. Ein Impfschutz existiert nicht, anders als bei Meningitis (Hirnhautentzündung), die ebenfalls durch Zecken ausgelöst wird. So einen Biss kann man sich leicht bei einem Waldspaziergang einfangen, meist ist er harmlos, zumal wenn der winzige Blutsauger erkannt und mit einer speziellen Zeckenzange entfernt wird - je eher, desto besser.

Denn das Infektionsrisiko steigt, je länger die Zecke im Körper bleibt und sich im Gewebe festsetzen kann. Das Robert-Koch- Institut zitiert eine Studie, wonach eine solche Bakterieninfektion nur bei etwa fünf Prozent aller Menschen auftritt, die von einer Zecke gebissen wurden. Typisch: Nach ein paar Tagen bildet sich ein kreisrunder roter Fleck auf der Haut, von Fachleuten "Wanderröte" genannt.

Spätestens dann wird es Zeit, zum Arzt zu gehen. Und nun beginnt das Dilemma: Nachweisen lässt sich eine Borreliose durch Antikörper im Blut, also durch die Reaktion des Körpers auf die Eindringlinge.

Laut Robert-Koch-Institut braucht das menschliche Immunsystem dafür aber eine Weile, "bei einer beginnenden Erkrankung schließt deshalb ein negatives Ergebnis eine Infektion nicht aus". Und umgekehrt sei ein positives Ergebnis nicht immer auf eine akute Erkrankung zurückzuführen, denn es könnten Antikörper von einer früheren, unbemerkten Infektion übrig geblieben sein. Und um die Verwirrung perfekt zu machen, drängen über 20 Anbieter von Testverfahren auf den Markt. "Da wäre es schon eine kluge Entscheidung, ein einheitliches Standard-Verfahren einzuführen", meint Professor Dieter Häussinger, Spezialist für Infektionskrankheiten am Düsseldorfer Uniklinikum. Bei ihm landen häufig Patienten, die eine Odyssee durch Arzt-Praxen und Kliniken hinter sich haben. "Und bei deren Fülle von diffusen Beschwerden bisher niemand den Verdacht hatte, eine Borreliose könne der Auslöser sein."

Zumal wenn sich die Patienten an einen Zeckenbiss nicht erinnern. Nach Einschätzung des Mediziners lasse sich die Infektion mit Antibiotika auch später noch gut behandeln - dann kann die Therapie aber länger dauern.

Manchmal ist auch eine Intensivbehandlung vonnöten

Eine solche Intensivbehandlung wird vor allem dann notwendig, wenn es zu Entzündungen von Gelenken, der Nerven und Organe kommt. Nur eines scheint sicher, so die Erkenntnis des Robert-Koch-Instituts: "Es gibt keinen typischen Verlauf." Das erschwert Diagnose und Therapie. So war es auch bei Volker Klemm, der vermutet, schon in seiner Bundeswehrzeit unbemerkt von einer Zecke erwischt worden zu sein - "vielleicht beim Robben durch hohes Gras, wer weiß?"

In den 1990er Jahren verschlimmerte sich sein Zustand, er bekam stechende Schmerzen unterm Fuß, "als würde ich über eine Herdplatte laufen." Von nun an gehörten Medikamente zu seinen ständigen Begleitern. Dann wurde eine Unterfunktion der Schilddrüse festgestellt, eine Herzklappe schloss sich nicht mehr richtig. "Woher kommt das?" Antwort eines Arztes: "Vermutlich durch eine Infektion." Dass eine Borreliose die Ursache seines Leidens sein könnte, "daran hat einfach niemand gedacht."

Die "brennenden" Füße kennt auch seine Schwägerin Heidi Wolf (44), ebenso die gefühllosen Fingerspitzen, die innere Kälte - und noch etliche Symptome dazu. Die Krankengeschichte der Zahntechnikerin und Mutter eines zehnjährigen Jungen ist lang und liest sich wie ein Horrorbericht: ständig Entzündungen der Zähne, der Nasennebenhöhlen, der Nieren, der Blase.

"Seit meiner Jugend habe ich Probleme mit meiner Halswirbelsäule, obwohl ich eigentlich fit bin, immer Sport getrieben habe." Sobald die Temperaturen steigen, kann sie sich darauf einstellen, juckende Hautekzeme an den Händen zu bekommen. Ihr Fazit: "Ich bin eigentlich immer krank." Wiederholt war sie in Kliniken, "ich bin mehrfach komplett auf den Kopf gestellt worden." Massive Störungen der Muskeln bei Belastung wurden diagnostiziert. Ursache? Unbekannt.

Für Mediziner gibt es nur wenig Fortbildung zu Borreliose

"Das Wissen der Ärzte über diese Erkrankung ist völlig unzureichend", kritisiert Walter Berghoff, Fachbuchautor und Mitglied der Deutschen Borreliose-Gesellschaft. Das liege vor allem daran, dass zu wenig Fortbildung angeboten würde. Außerdem sei die Krankheit mit ihren vielfältigen Symptomen nun mal schwer zu packen.

"Wenn jemand in die Praxis kommt, und sagt, er sei ständig schlapp und es tue ihm dies und das weh, kann das eben alles Mögliche sein." Um eine Borreliose zu erkennen, brauche man Erfahrung und Zeit, viel Zeit, um die gesamte Krankengeschichte eines Patienten zu analysieren. Und die habe eben kaum ein Arzt.

Volker Klemm und Heidi Wolf sind dann irgendwann bei einer Ärztin gelandet, die Schulmedizin mit der Naturheilkunde verknüpft und die selbst einmal an Borreliose erkrankt war. Bei ihr werden die beiden Patienten nun wiederholt über Monate mit Antibiotika behandelt, während das Immunsystem stabilisiert wird.

Auch diese Langzeittherapie ist in Fachkreisen umstritten, vor allem, weil deren Wirksamkeit nicht durch wissenschaftliche Studien bewiesen sei. Für die Patienten zählt nur eins: Ihnen geht es deutlich besser. Heidi Wolf, die früher passionierte Ski-Läuferin war, fährt jetzt mit der Seniorengruppe: "Unter Schmerzen, aber immerhin."

Volker Klemm, einst Tennisspieler, fährt Fahrrad - und ist froh darüber. Für beide gilt: Die Hoffnung ist wieder in ihr Leben zurückgekehrt. "Das ist für uns ein gewaltiger Schritt nach vorn."

(RP)
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