Sprechstunde Angst vor dem Fremden

Die Unsicherheit, die durch Terrorgefahr und Flüchtlingszustrom entsteht, macht manchen Menschen emotional zu schaffen.

Unsere Leserin Theresa B. aus Krefeld (48) fragt: "Die Nachrichten von Terroranschlägen haben mich immer schon tief verunsichert. Seit den Anschlägen von Paris bin ich verängstigt und vermeide es, in einen Zug zu steigen oder nur auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Auch der große Zustrom von Flüchtlingen macht mir Angst. Ist das normal oder sollte ich versuchen, diese Ängste in den Griff zu bekommen, auch mit therapeutischer Hilfe?"

Claudia Sies Grundsätzlich erfüllt Angst einen wichtigen Zweck: Sie macht uns in schwierigen realen Situationen wachsam und vorsichtig. Zum Beispiel: Brandgeruch löst unmittelbar Angst aus, treibt uns in die Flucht und rettet so unser Leben. Die Angst vor Terror und vor Flüchtlingen aber sind abstrakte Ängste, die sich gerade deshalb verselbständigen können.

Obwohl es trotz solcher Ereignisse wie Paris nach wie vor nahezu unwahrscheinlich ist, tatsächlich zum Terroropfer zu werden, entwickeln immer mehr Menschen eine diffuseTerrorangst und vermeiden Situationen, die sie für gefährlich halten. Gegen diese Lähmung hilft, sich zu vergegenwärtigen, dass es in der westlichen Welt von heute wahrscheinlicher ist, mit dem Fahrrad zu verunglücken, einen Auto-Unfall zu haben oder von der Leiter zu stürzen. Also sollte man mit dem Vermeiden, dem Ausweichen gar nicht erst anfangen, denn sonst weitet sich diese Strategie auf das ganze Leben aus. Dann bestimmt die Angst sogar unsere politischen Ansichten. Zum Beispiel über die Flüchtlinge, denen wir dann pauschal mit Angst begegnen und vergessen, dass sie ja überwiegend vor dem Terror geflohen sind und bei uns ein friedliches Leben suchen. Bei der Angst vor Flüchtlingen kommt unsere Urangst vor allem Fremden hinzu, die sich heute gern mit der Angst vor dem Terror vermischt.

Wie bei allen Ängsten, die abstrakt und so unlogisch sind wie hierzulande die Angst vor Spinnen, hilft nur die Konfrontation. Im Falle der Terrorangst bedeutet das, die Vermeidungen unbedingt zu vermeiden. Das heißt: Weiterhin reisen - natürlich nicht in Länder mit Reisewarnungen - , Konzerte und Großveranstaltungen besuchen, auf den Weihnachtsmarkt gehen und in großen Kaufhäusern einkaufen. Die Angst vor Flüchtlingen verliert man, indem man Veranstaltungen besucht, die etwa von Theatern und Konzerthäusern angeboten werden. Dort werden Flüchtlinge gezielt eingeladen, kommen in Diskussionen zu Wort oder stehen sogar selbst auf der Bühne.

Das Zusammentreffen mit Flüchtlingen mindert die Ängste und auch den Hass, der übrigens dort am stärksten ausgeprägt ist, wo es die wenigsten Fremden und Flüchtlinge gibt.

(RP)
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