Sprechstunde Blinzeln und Grunzen

Tics, die sich nicht steuern lassen: Das Tourette-Syndrom ist eine Erkrankung, die neuropsychiatrischer Kompetenz bedarf.

Unsere Leserin Ute G. aus Meerbusch fragt: "Ich bin Lehrerin und habe jetzt erfahren, dass einer meiner Schüler an einem Tourette-Syndrom leidet. Was ist das, wie wird es behandelt?"

Rafael-Michael Löbbert Das Tourette-Syndrom zählt zu den neuropsychiatrischen Erkrankungen und ist charakterisiert durch motorische und vokale Tics. Eine Beeinträchtigung der Intelligenz besteht nicht. Die Symptome treten erstmals zwischen dem 6. und 8. Lebensjahr auf und haben ihre stärkste Ausprägung in der Pubertät. Im weiteren Verlauf kann bei etwa 90 Prozent der Betroffenen eine Besserung beobachtet werden.

Tics sind definiert als plötzlich einsetzende, kurze, unwillkürliche, regelmäßig oder unregelmäßig wiederkehrende, nicht rhythmische Bewegungen oder Lautäußerungen. In Abhängigkeit von der Ausprägung werden einfache und komplexe Tics unterschieden. Bei den einfachen motorischen sind nur wenige Muskelgruppen betroffen. Beispiele hierfür sind Augenblinzeln, Naserümpfen und Schulterzucken. Komplexe motorische Tics wie Klatschen, Aufstampfen, Springen oder Schreibtics entstehen durch das Zusammenwirken mehrerer Muskelgruppen.

Beim Räuspern, Hüsteln, Schmatzen oder Grunzen handelt es sich um einfache vokale Tics. Als komplexe vokale Tics werden das Ausstoßen obszöner Worte (Koprolalie) sowie das Wiederholen gehörter (Echolalie) und eigener (Palilalie) Laute oder Worte bezeichnet. Tics lassen sich nur bedingt kontrollieren und können nicht abgewöhnt werden. Durch Anspannung und Stress werden sie verstärkt. Bei Konzentration und im Schlaf nehmen sie ab. Bei Patienten, die an einem Tourette-Syndrom leiden, bestehen häufig andere psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen, Zwänge und Ängste, Phobien, Störungen des Sozialverhaltens, Lernauffälligkeiten, Störungen der Impulskontrolle und des Schlafes.

Die Ursache des Tourette-Syndroms ist noch nicht eindeutig geklärt. Angenommen wird eine Störung im Neurotransmitterstoffwechsel (Dopamin, Serotonin) im Gehirn. Darüber hinaus werden eine genetische Disposition, Autoimmunprozesse gegen hirneigene Strukturen, Infektionen und Umwelt-faktoren diskutiert.

Die Behandlung umfasst ein vielschichtiges Therapiekonzept, bestehend aus Psychoedukation, Verhaltenstherapie und medikamentöser Therapie. Das Erlernen einer Entspannungs-technik zum Stressabbau kann die Behandlung deutlich unterstützen. Beim Erwachsenen besteht bei schwerem und therapieresistentem Tourette-Syndrom außerdem die chirurgische Möglichkeit einer tiefen Hirnstimulation.

(RP)
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