Depression Psychopharmaka — die umstrittenen Helfer

Düsseldorf · Bei einer Depression gelten Antidepressiva als einer der wichtigsten Bestandteile der Therapie. Gleichzeitig sind die Mittel verschrien. Sie sollen teils schwere Nebenwirkungen haben, träge machen und letztlich nichts verändern. Was ist dran an der Hilfe mit Tabletten?

Kaum ein Medikament ist so umstritten wie Psychopharmaka. Psychiater sind sich einig: Besonders bei schweren psychischen Erkrankungen geht es nicht ohne. Zugleich werden immer Vorwürfe laut. Dazu gehört, dass die Pillen abhängig, dick oder müde machen und für Kopfschmerzen und Übelkeit sorgen können.

"Aufgrund der vielen verschiedenen Berichte ist das Thema Psychopharmaka inzwischen hochemotional geworden", erklärt Dr. Birgit Janssen, Leitung des Zentrums für Depression in den LVR-Kliniken Düsseldorf. "Dabei werden viele wichtige Unterscheidungen allerdings nicht beachtet."

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Ein Leben mit Depression - Bilder aus der Psychiatrie

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Foto: Laura Hospes

"Psychopharmaka" ist beispielsweise nur ein Überbegriff, der für Medikamente steht, die bei psychischen Leiden helfen sollen. Ob ein Patient allerdings ein Antipsychotikum (Neuroleptikum) verschrieben bekommt oder ein Antidepressivum, macht einen sehr großen Unterschied aus. "Antidepressiva machen beispielsweise definitiv nicht abhängig", erklärt die Medizinerin. "Auch müde oder träge müssen sie nicht unbedingt machen." Tun sie das doch, ist das meist ein Teil der Therapie, also vom Arzt beabsichtigt.

Das kann etwa wichtig sein, wenn ein Patient so unruhig und wegen seiner Depression verzweifelt ist, dass er von selbst nicht zur Ruhe kommt. "Gerade bei Depressionen sind starke Schlafstörungen ein häufiges Symptom. Aus diesem Grund kann es am Anfang der Therapie sinnvoll sein, ein Mittel auf der Basis von Mirtazapin zu nehmen, das eben auch müde macht", so Janssen. Ein weiterer Vorteil davon ist, dass eine Abhängigkeit von Schlaf- und Beruhigungsmitteln verhindert wird. Auch sie, die sogenannten Benzodiazepine, fallen in die Kategorie Psychopharmaka — und machen erwiesenermaßen tatsächlich sehr schnell abhängig.

"Patienten sollten aber wissen, dass es gar nicht notwendig sein muss, Antidepressiva zu nehmen", erklärt Janssen. Wer sein Leben noch in den Griff bekommt, morgens aufsteht, zur Arbeit geht, Kontakte pflegt und sich dabei nicht gut fühlt, für den sind Tabletten nicht das Mittel der Wahl. "Eine leichte bis mittelschwere Depression lässt sich gut mit einer Psychotherapie behandeln — insbesondere dann, wenn es sich vielleicht um eine einmalige Episode handelt."

Ist der Patient jedoch kaum mehr in der Lage sein Leben zu führen, wurde er womöglich vom Hausarzt schon mehrfach krank geschrieben und droht ihm die soziale Vereinsamung, besteht auch medikamentöser Handlungsbedarf. "Wenn es so weit ist, kann auch in einer Depression eine wahnhafte Symptomatik hinzukommen. Das heißt die Menschen sind fest überzeugt, dass ihr Leben am Ende ist und die Dinge nie besser werden", weiß Janssen. Manche glauben auch, dass sie verarmen und unter der Brücke landen werden, obwohl auf dem Bankkonto jeden Monat ein vernünftiges Gehalt einläuft. Wieder andere sind sich sicher, dass sie bald eine schwere Krankheit treffen wird.

Das ist der Moment, in dem Medikamente einen wichtigen Unterschied machen können. "In diesem Stadium sind Patienten oft so von ihren Vorstellungen gefangen, dass eine Psychotherapie gar nicht greifen könnte", weiß Janssen. Antidepressiva helfen Betroffenen dann, den Teufelskreis zu durchbrechen, Schlaf nachzuholen und wieder ansprechbar zu werden — und das bereits innerhalb weniger Tagen. Eine Geschwindigkeit, die selbst bei einer guten Psychotherapie nicht im Rahmen des Möglichen liegt.

Eine Ausnahme von dieser Regel gibt es allerdings doch: Weil Menschen manchmal sehr unterschiedlich auf Antidepressiva reagieren können, kommt es vor, dass ein Arzt mehrere Medikamente ausprobieren muss, bis eines anschlägt. In diesem Fall kann es mitunter mehrere Wochen und Präparate brauchen, bis ein Patient die gewünschte Erlösung erlebt. Bis das Medikament anschlägt, ist die Psychotherapie besonders wichtig.

Grundsätzlich sehr effektiv insbesondere bei starken Depressionen sind Psychopharmaka deshalb, weil sie direkt an der Stelle eingreifen, an der auf körperlicher Ebene die Verzweiflung entsteht: im Gehirn. Hier liegt sowohl die Glücks- als auch die Trauerzentrale des Menschen. Welches der beiden reagiert, hängt von den Botenstoffen im Gehirn ab, und genau die werden von den Antidepressiva angesprochen. Janssen erklärt: "Dabei gibt es verschiedene Wirkarten. Besonders häufig werden sogenannte Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, kurz SSRI, verschrieben. Sie sorgen dafür, dass mehr von diesem Glückshormon im Gehirn ist." Das vor allem in den USA sehr beliebte Mittel Prosac beispielsweise basiert genau auf diesem Prinzip.

Die höhere Menge Serotonin im Gehirn kann jedoch nicht nur den Blick für die Realität schärfen, sondern auch zu Übelkeit führen, zu Herzrasen und dazu, dass die Schweißdrüsen überaktiv sind. Andere Mittel lösen Verstopfung und Gewichtszunahme aus. Auch das kann ein Grund sein, verschiedene Präparate auszuprobieren. "Ganz sicher aber lässt sich vermeiden, dass Antidepressiva träge machen", so Janssen. "Ist es nicht mehr notwendig dem Patienten zur Ruhe zu verhelfen, dann können moderne Präparate, die Wirkstoffe wie Venlafaxin, Citalopram oder Bupropion enthalten, helfen, ohne den Patienten zu beschweren." Bupropion fällt dabei in die Klasse der Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer und hilft besonders dann, wenn starke Müdigkeit und Antriebsschwäche empfunden werden.

Die Probleme selbst verschwinden durch die Antidepressiva natürlich nicht. Aber die schwersten und dunkelsten Wolken über den Köpfen der Patienten lichten sich. So werden sie wieder ansprechbar und zugänglich für Psychotherapie. Welche Therapieform dann das Mittel der Wahl ist, hängt vom Arzt und dem Patienten ab. Von den meisten Experten wird jedoch eine Verhaltenstherapie empfohlen.

Die Kombination aus Gesprächen, Medikamenten und Lebensveränderung soll es dem Betroffenen letztlich möglich machen, der Depression zu entkommen. "In der Regel empfehlen wir, die Medikamente noch etwa sechs Monate, nachdem es dem Patienten wieder gut geht, zu nehmen. Das ist schlicht eine Prophylaxe gegen einen möglichen Rückfall", sagt Janssen. Dann werden die Medikamente langsam ausgeschlichen.

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Foto: Shutterstock/Themalni

Anders sieht es bei Patienten mit wiederkehrenden Depressionen, anhaltendem Verarmungs- oder Krankheitswahn oder Suizidgedanken aus. "Wenn die Krankheit doch so schwer ist, geht die Empfehlung zu einer Einnahme über fünf Jahre, um Abstürze zu vermeiden."

(ham)
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