Fastenzeit beginnt an Aschermittwoch Fasten – der verantwortliche Umgang mit sich selbst

Düsseldorf · Zwei Phänomene der Selbstentfaltung bestimmen den aktuellen Zeitgeist – jedoch mit völlig gegensätzlichen Folgen: das Fasten und der Burnout. Dabei haben sie ähnliche Wurzeln.

Fastenzeit 2022: Auf was Sie verzichten sollten - 10 Ideen & ihr Sinn erklärt
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Zehn Fasten-Ideen und ihr Sinn

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Diese Umfragen kurz vor Aschermittwoch sind die jährlichen Wasserstandsmeldungen unserer Spiritualität. So verrät uns das Institut Forsa im Jahr 2021, dass 73 Prozent der Deutschen, die fasten wollen, auf Alkohol verzichten wollen. Auf den weiteren Plätzen der Entsagungsskala folgen der Verzicht auf Süßigkeiten (68 Prozent), auf Fleisch (54 Prozent), Rauchen (45 Prozent) und Fernsehen (39 Prozent). Das sind also offenbar die aktuellen Luxusgüter unserer Gesellschaft.

Der bewusste Verzicht ist ein uralter Weg der Besinnung, der Bewusstwerdung, des Gebetes und vielleicht gar der Erleuchtung. Und jeder, der sich dazu aufmacht, steht in wirkmächtiger Nachfolge großer Asketen – Jesus gehört dazu wie auch Buddha und Mohammed.

Fasten ist meist das Zeichen einer persönlichen Krisenerfahrung. Mit Verzicht und Stillstand wird auf ein Leben reagiert, das möglicherweise auf zu wenig verzichtet und in besinnungslose Dauerbewegung geraten ist. Dafür haben wir seit geraumer Zeit einen Namen gefunden, der als Begleiterscheinung einer Leistungsgesellschaft erkannt und als Symptom unserer modernen Zivilisation mehr oder weniger akzeptiert ist: der Burnout, also jenes umfassende und extreme Erschöpfungsphänomen mit körperlichen, seelischen und geistigen Symptomen. Das Besondere am Burnout ist, dass aus diesem individuellen Krisenphänomen ein kollektives geworden ist. Die Zahl der sogenannten Arbeitsunfähigkeitstage mit Burnout-Diagnose ist in Deutschland zwischen 2004 und 2012 um das Elffache gestiegen.

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Vor diesem Hintergrund ist es bedenklich, dass auf der Skala unserer Fasten-Vorlieben der Verzicht auf zu große Beanspruchung und Leistungserfüllung nicht zu finden ist. Im Gegenteil: Der Verzicht auf Alkoholisches und Süßes deutet vordergründig eher auf den Willen zum gesünderen Leben hin. Dahinter könnte aber auch das Trainingsprogramm stehen, nach dem Fasten noch ein bisschen leistungsfähiger sein zu können.

Dabei haben Burnout und Fasten ähnliche Wurzeln. Bei beiden geht es um eine rigide Form der Selbstbestimmung. Während mit dem Fasten eine Selbstprüfung verbunden ist – „Selber denken“ heißt auch das Motto der evangelischen Fastenaktion in diesem Jahr –, ist eine Ursache des Burnouts eine Selbstüberlastung, ein entgrenztes Streben nach Selbstentfaltung. Für den Münchener Moraltheologen Jochen Sautermeister tritt in dieser Form der Selbstausbeutung eine „prekäre Selbstverstrickung“ zutage. Und genau dies macht es den Betroffenen auch so schwer, eine Distanz zu diesen Risikofaktoren einzunehmen, die ihm Nachdenken und Besinnung erlauben.

Der krasse Gegensatz von Fasten und Burnout – von bewusster Selbstbescheidung und besinnungsloser Selbstentfaltung – zeigt, dass das Fasten ohne ethischen Grund nicht auskommt. Erst dann ist die Selbstentfaltung abhängig von einem sinnerfüllten Leben und meint den verantwortlichen Umgang mit sich selbst. Es geht um die Balance von Engagement und Erholung und nach den Worten von Sautermeister um eine „humane Selbstliebe“, die sich von Selbstsucht und gemeinschaftsvergessener Egozentrik radikal unterscheide. Und: Im guten Umgang mit sich selbst und der „Durchformung“ der gesamten Person realisiere sich die Idee der Nachfolge Christi.

Dazu aber bedarf es keiner Umfrage und erst recht keiner Entsagungsskala. Und so ist Forsa auch nicht im Auftrag der Kirche, sondern der Krankenkasse DAK-Gesundheit tätig geworden.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im März 2014 auf RP ONLINE veröffentlicht. Die Angaben aus der Forsa-Umfrage haben wir aktualisiert.

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