Sauerkraut, Kombucha, Kimchi Warum zersetztes Gemüse gesund sein soll

Düsseldorf · Lange bevor der Kühlschrank in Küchen Einzug hielt, gab es ein Verfahren, das jetzt die Welt aufs Neue erobert: Fermentation heißt das Zauberwort, das Food-Blogs füllt und Sterneköche begeistert. Eigentlich geht es dabei um eine bestimmte Form der Zersetzung. Warum aber soll zersetztes Gemüse zum Abendessen so gesund sein?

 Riecht streng, aber soll gesund sein: Sauerkraut und anderes fermentiertes Gemüse tun vor allem dem Darm gut.

Riecht streng, aber soll gesund sein: Sauerkraut und anderes fermentiertes Gemüse tun vor allem dem Darm gut.

Foto: Shutterstock/BGSmith

Fermentierte Getränke oder durch Bakterien zersetzte Gemüse sind der neueste Schrei im Bereich der Superfoods. Sie sollen beim Abnehmen helfen, die Darmflora aufpolieren oder bei Gicht, Rheuma und unreiner Haut helfen. Den besonderen Gesundheits-Kick bekommen knackiges Gemüse und Co. dadurch, dass man sie in einer sauerstofffreien Umgebung vergären lässt. Fermentation ist also ein natürlicher Zersetzungs- oder Fäulnisprozess. Er wird durch Pilze, Hefen oder Bakterien in Gang gesetzt und bei der Herstellung von Sauerkraut, Tofu, Soja-Paste, Kimchi oder zur Veredelung von Tee, Kaffee oder Kakao eingesetzt.

 Pilze wie dieser, Hefen oder Bakterien setzen den Fermantationsprozess in Gang.

Pilze wie dieser, Hefen oder Bakterien setzen den Fermantationsprozess in Gang.

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Dabei gibt es zwei Arten der Fermentation. Buttermilch, Kefir und Joghurt, aber auch Sauerkraut und Kimchi entstehen durch die Vergärung von Milchsäure. Das besondere Geheimnis von Wein oder Bier und Whiskey hingegen liegt im Einsatz bestimmter Hefen, die in der alkoholischen Gärung den in Früchten oder Getreide vorhandenen Zucker zersetzen.

Einfach erklären lässt sich die Fermentation anhand der Herstellung von Sauerkraut: Auf dem Weißkohl befinden sich natürliche Milchsäurebakterien, die auch in unserem Darm vorkommen. Schneidet man nun den Weißkohl in feine Streifen, stampft ihn und setzt ihn in einer Salzlake an, beginnt die Fermentation. Die Milchsäurebakterien beginnen den im Kohl enthaltenen Zucker in Milchsäure umzuwandeln. Das allerdings gelingt nur in sauerstofffreiem Milieu. Der Weißkohl muss also komplett mit Wasser bedeckt sein. Das zugegebene Salz bewirkt, dass das Gemüse sein Zellwasser abgibt und zudem haltbar bleibt, bis die Milchsäuregärung einsetzt.

Schon vor tausenden von Jahren nutzen Menschen das Verfahren, um Nahrungsmittel haltbar zu machen und Lebensmittelvorräte anzulegen. Im alten Rom futterte man ebenso wie im antiken Griechenland fleißig Sauerkraut. Der britische Seefahrer James Cook soll der erste gewesen sein, der es bei langen Seereisen mit an Bord nahm, um Vitaminmangelerkrankungen wie Skorbut vorzubeugen.

Denn das wochenlange kontrollierte Zersetzen hat seine Vorteile. Das oft roh eingelegte Gemüse behält viele seiner Nährstoffe und Vitamine, darunter auch Vitamin C, das vor der gefürchteten Seefahrerkrankheit schützte. Unter Einfluss von Milchsäure bildet sich während der Fermentation zudem Vitamin B12. Das kommt sonst vor allem in tierischen Lebensmitteln vor und ist dort an Proteine gebunden. Erst im Magen wird es unter dem Einfluss von Magensäure herausgelöst und steht dem Organismus zur Verfügung. In fermentiertem Gemüse steht es auch Vegetariern und Veganern zur Verfügung.

Nicht nur Kohl, Lauch, Algen und jede Art von Gemüse lassen sich auf diese Weise haltbar machen, sondern auch Tee. Besonders hoch im Kurs stehen derart gewonnene Nahrungsmittel und Getränke, weil sie durch den Gärungsprozess reich an natürlichen Probiotika werden. Diese wiederum tun dem Darm gut, helfen bei der Verdauung und stärken vom Darm ausgehend sogar das Immunsystem, indem sie krank machende Fäulnisbakterien, Pilze oder Parasiten verdrängen.

Besondere Wirkung wird dem Teegetränk Kombucha nachgesagt. Es soll sich nämlich nicht nur positiv auf Darm und Immunsystem auswirken, sondern zudem das Blut reinigen und den Stoffwechsel anregen. Hergestellt wird Kombucha klassisch auf Basis von stark gezuckertem Tee, der mit einem Tee- oder Kombuchapilz versehen wird. Die damit zugesetzten Hefen und Bakterien vergären den Zucker und heraus kommt ein mostartiges und kohlensäurehaltiges Getränk.

Das sei zwar bei sachgemäßer Herstellung ein unbedenkliches, alkoholhaltiges Erfrischungsgetränk, sagt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, und beinhalte auch lebende Mikroorganismen, doch seien die sich um das Teegetränk rankenden Gesundheitsversprechen zweifelhaft. Vor allem industriell hergestellter Kombucha sei so zuckerhaltig wie viele Limonaden. Außerdem werde er aus Gründen der Haltbarkeit pasteurisiert, also auf über 80 Grad erhitzt. Dadurch sterben die enthaltenen Mikroorganismen ab und der Gesundheitseffekt ist verloren. Ähnlich ist das auch bei gekauftem Sauerkraut oder anderen fermentierten Lebensmitteln. Sie verlieren durch die Erhitzung nicht nur lebende Bakterienkulturen, sondern auch einen Großteil ihrer Vitamine.

Selbstgemachter Kombucha einhält ebenso wie selbstfermentiertes Sauerkraut, saure Gurken oder Apfelessig Mikroorganismen, die durch den Verzehr mit in den Darm wandern. Ihnen wird eine probiotische Wirkung nachgesagt. Wie stark und wirkungsvoll diese ist, ist allerdings umstritten. So räumt die Verbraucherzentrale NRW zwar ein, dass diese Lebensmittel "positiv auf die Darmflora wirken können", doch ist sie wissenschaftlich nicht zweifelsfrei nachgewiesen, wie die Verbraucherschützer mit Blick auf Kombucha feststellen. "Wissenschaftlich nachgewiesen sind lediglich leicht abführende und schwach antibakterielle Wirkung, die auf den Gehalt an Essig- und Milchsäure zurückzuführen sind."

Grundsätzlich allerdings können Probiotika Magen-Darm-Probleme, Durchfall, Reizdarmsyndrom oder Verstopfung verbessern. Der Bundesverband Deutscher Ernährungsmedizin hält in einem Kurzüberblick fest, dass sich laut Studien durch die gezielte Probiotikagabe Erkrankungen positiv beeinflussen ließen, darunter das Reizdarmsyndrom, chronische Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, aber auch Neurodermitis und virale Atemwegsinfekte.

Einen besonders guten Eindruck hinterließ in Studien vor allem das Bakterium Lactobacillus reuteri. Es entsteht bei der Vergärung von Milchsäure und tötet nach dem Genuss einiger fermentierter Lebensmittel schon im Mund Bakterien ab, die Karies und Zahnfleischerkrankungen auslösen können. Im Darm schließlich entfaltet es weiter Wirkung. Studien zur Folge ist es in der Lage, den Blutdruck zu senken.

Im Experiment mit Mäusen wiesen Forscher aus Schweden und den USA nach, dass dieses Bakterium teilweise ernährungsbedingter Fettleibigkeit vorbeugen konnte. Wissenschaftler der Georgia State University fanden 2014 ebenfalls im Tierexperiment heraus, dass eine gesunde Darmflora das metabolische Syndrom verhindern kann. Es bringt Auffälligkeiten wie Übergewicht, einen hohen Blutfettspiegel, Bluthochdruck und Diabetes mit sich.

Nach Einschätzung des Max-Rubner-Instituts (MRI) wirken sich probiotische Bakterien aus fermentierten Lebensmitteln auch bei einer Antibiotika-Therapie positiv aus. Sie verkürzten Durchfälle, die durch die Antibiotika-Gabe hervorgerufen waren, und "beschleunigten anschließend die Regeneration der Darmflora", so geht aus den Ergebnissen eines MRI- Forschungsprojekts hervor. Auch Magen-Darm-Beschwerden, für die keine besondere Ursache gefunden wurde, ließen sich durch probiotische Bakterien aus fermentierter Milch reduzieren.

Heute soll die Fermentation neben solchen Gesundheitsaspekten vor allem ein besonderes Geschmackserlebnis bringen. Auf der Suche nach natürlicheren Ernährungsweisen, geht es vor allem um ein authentischeres Produkt, das den Trends von Rohkost, Naturküche und Raw-Food folgt. Nach Erfahrungen mit der Molekularküche interessiert sich plötzlich auch die gehobene Gastronomie für das Experimentieren mit rohem Gemüse in Blubberbehältern oder unter dem fermentierenden Einfluss wabbeliger Pilze. Sterneköche in den USA loben das besondere Geschmackserlebnis, das sie unter Beigabe fermentierter Nahrungsmittel auf den Teller zaubern.

Manche lieben den prickelnden Geschmack im Mund, für andere hingegen sind die säuerlich nach Essig schmeckenden Endergebnisse eher gewöhnungsbedürftig. Nur für Hartgesottene empfiehlt es sich, gleich selbst ausgefallenere Fermentationsverfahren zu versuchen und zum Beispiel Soja-Sauce selber herzustellen. Nach einer Vorbehandlung werden dabei die Sojasprossen der Luft ausgesetzt. Dort zersetzen sie sich und sehen nicht nur eigenartig aus, sondern riechen zudem übel, bis sie in einem weiteren Arbeitsgang schließlich erneut in Flüssigkeit gelagert werden und schließlich zur fertigen Sauce werden.

Nicht jeder mag wissen, wie solche Zutaten der asiatischen Küche entstehen. Manchewählen darum lieber die fertige Soja-Sauce aus dem Supermarktregal. Die jedoch wird in der Regel nicht nach der alten Fermentationsweise zubereitet, sondern mit chemischen Helfern in eine Blitz-Fermentation geschickt und zum Schluss mit brauner Zuckerkulör eingefärbt. Das erspart einem zwar den Blick auf gewöhnungsbedürftige Zwischenprodukte, schmeckt aber auch anders. Für die neuen Kenner der Fermentation ist das aus diesem Grund ein No-Go.

Auch wer zum ersten Mal eine aus der koreanischen Küche stammende Fermentierungsart auf Basis von Milchsäuregärung ausprobiert, die sich Kimchi nennt, mag die Nase rümpfen. Denn den Geruch, der ähnlich wie der bei der Sauerkrautherstellung ist, nimmt nicht jeder als mikrobielles Parfum wahr. Für die wachsende Zahl der Anhänger hingegen bringt das über Wochen verlaufende Blubbern und Duften eine wachsende Vorfreude auf ein geschmacksintensives Endergebnis.

Einer der ausgefallendsten Genüsse ist schließlich ein Kaffee, der im Darmtrakt einer philippinischen Katzenart fermentiert wird. Sie frisst Unmengen von Kaffeekirschen und scheidet diese zusammen mit dem Kot wieder aus. Durch die Röstung soll daraus ein wunderbar milder Kaffee entstehen, der Liebhabern über 50 Euro das Kilo wert ist.

(wat)
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