Umweltorganisation Germanwatch "Milchkühe bekommen zu viel Antibiotika"

Berlin · Die Milch wird zu billig, der Preiskampf immer härter: Weil der Druck auf die Milchbauern steige, werden mehr Medikamente eingesetzt, als von den Behörden festgestellt, heißt es von der Umweltorganisation Germanwatch. Das könne verheerende Folgen haben.

Zehn ungewöhnliche Fakten zu Milch
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Foto: dpa, Sebastian Kahnert

Deutsche Behörden erfassen den Antibiotika-Einsatz in deutschen Ställen aus Sicht von Germanwatch nur unzureichend. Bislang müssten nur Fleischerzeuger ab einer gewissen Größe dokumentieren, wie häufig sie Antibiotika einsetzen, sagte die Agrarexpertin der Organisation Germanwatch, Reinhild Benning, am Montag. So falle unter anderem das Geschehen bei Milchkühen durch das Raster. Dabei erhalten nach ihren Recherchen 80 Prozent des Bestands in Deutschland regelmäßig Antibiotika. Germanwatch befürchtet daher die Entwicklung weiterer Resistenzen und deren Verbreitung in der Umwelt.

Auch wenn Kühe pro Jahr 1,5 bis 3,3 Mal Antibiotika bekämen, gehe vom Milchkonsum selbst kein Risiko aus, so Benning. Auch seien Resistenzen bei Milchrindern noch weniger ausgeprägt als etwa bei Geflügel oder Schweinen. Dennoch wertet sie das Ausmaß als "besorgniserregend" - zumal Kühe bei jeder zehnten Behandlung sogenannte Reserveantibiotika erhielten. Diese sind in der Therapie von Menschen bedeutsam, wenn herkömmliche Antibiotika nicht mehr helfen. Erst in der Vorwoche wurde bekannt, dass hierzulande beim Menschen eine neuartige Resistenz gegen das wichtige Notfall-Antibiotikum Colistin nachgewiesen wurde.

Germanwatch zufolge wird auch bei Milchvieh wie in der Mast eine zunehmende Verwendung von Reserveantibiotika beobachtet. Je nach Wirkstoff dürften Bauern die Milch einer behandelten Kuh nach einer gewissen Zeit wieder verwenden, erläuterte der Tierarzt Andreas Striezel von der Gesellschaft für Ganzheitliche Tiermedizin (GGTM). Auch würden manche Mittel bei Euterentzündungen wie bei Klauenerkrankungen helfen.

Zu diesen Krankheiten komme es, weil Bauern aus wirtschaftlichem Druck mehr Tiere als früher halten und ihnen mehr Leistung abverlangen müssten, sagte die Milchbäuerin und Tierärztin Elisabeth Boese. Antibiotika werden Studien zufolge auch vorbeugend gegeben.

In der Mast führten zudem falsche Anreize zum Einsatz von Reservemitteln: Behörden erfassten nicht etwa die Dosis, sagte Reinhild Benning, sondern die Häufigkeit der Gabe. Da manche Reserveantibiotika eine Depotwirkung hätten und nur einmal gegeben werden müssten, wirkten Verwender damit auf dem Papier unauffällig.

Germanwatch fordert neben einem kostendeckenden Milchpreis auch eine Verbannung jener Medikamente aus dem Stall, die die Weltgesundheitsorganisation WHO als besonders wichtig für den Menschen einstuft.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium erklärte nach Angaben des Senders NDR, dass antibiotische Wirkstoffe bei Tieren "soweit wie möglich reduziert" werden sollten. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) plant, die Anwendung von Reserveantibiotika "restriktiver" zu gestalten. Ein Eckpunktepapier hierzu liege derzeit "beteiligten Kreisen" zur Stellungnahme vor. Nach NDR-Informationen sollen Tierärzte demnach zum Beispiel verpflichtet werden, in bestimmten Fällen ein sogenanntes Antibiogramm zu erstellen, also zu testen gegen welche Antibiotika die Erreger resistent sind.

(kl / dpa)
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