Interview zu Veganismus "Für Wurst gibt es gar keine Argumente"

Vegane Ernährung ist Mangelernährung? Nein, sagt Ernährungsmediziner Andreas Michalsen im Interview, Veganer müssen sich bloß gut informieren. Außerdem erzählt er von den Vorteilen des Veganismus und der Milch, die er in den Cappuccino kippt.

 Andreas Michalsen wäre Veganer, wenn es ihm gelingen würde, auch auf Milchprodukte zu verzichten. Doch ab und zu braucht er einfach eine Käsepizza.

Andreas Michalsen wäre Veganer, wenn es ihm gelingen würde, auch auf Milchprodukte zu verzichten. Doch ab und zu braucht er einfach eine Käsepizza.

Foto: Immanuel Krankenhaus

Wie ernähren Sie sich?

Andreas Michalsen Ich bin Lacto-Vegetarier, das heißt, ich esse neben Pflanzen auch Milchprodukte. Vor acht Jahren habe ich aufgehört, Fleisch und Fisch zu essen. Das war so eine Entwicklung, weil ich mich schon vorher mit Ernährung beschäftigt hatte. Aber eine Käsepizza esse ich nach wie vor gerne.

Wie sind Sie zu Ihrer Ernährungsform gekommen?

Michalsen: Das war der Einfluss aus Indien. Ich forsche sehr viel zu Yoga und Meditation. Und bei der indischen Form des Vegetarismus tauchen keine Eier auf. Eier schaden zwar nicht, aber es ist kein Produkt, das man zum Leben braucht.

Haben Sie sich aus gesundheitlichen Gründen für vegetarische Ernährung entschieden?

Michalsen: Das ging schon vom Gesundheitlichen aus, ich bin schließlich Internist und Kardiologe und habe diese ganzen Studien gelesen. Dass ich dabei bleibe, hat aber mittlerweile eher ethische Gründe. Warum sollen Tiere sterben, wenn es nicht sein muss?

Da wird der Veganer nun sagen: Auch für Milchprodukte müssen Tiere leiden.

Michalsen: Das ist richtig und das beschäftigt mich auch. Ich versuche auch, meinen Milchkonsum zu reduzieren. Meinen Cappuccino trinke ich mit Reis- oder Mandelmilch. Tatsächlich fällt es mir aber schwer, ganz auf Milch und Käse zu verzichten.

Ist es schwieriger für einen Veganer, sich ausgewogen zu ernähren, als für einen Mischköstler?

Michalsen: Ja und nein. Wenn der Veganer strikt vegan isst, dann wird er fast ganz sicher einen Vitamin-B-12-Mangel bekommen, und wenn er sich nicht informiert, könnte es sein, dass er auch zu wenig Eisen und Proteine aufnimmt. Beim Mischköstler ist das Problem nicht das Defizit, sondern das Übermaß. Dann kriegt er zum Beispiel ein Problem mit dem Zucker.

Der Mangel an Vitamin-B-12- ist das größte Problem bei veganer Ernährung, oder?

Michalsen: Ja, das ist der einzige nicht zu bezweifelnde Mangel. Ich kenne zwar Veganer, die auch nach zehn Jahren noch keinen Mangel haben, aber das sind Ausnahmen. Es ist schon sehr sehr schwer, den Bedarf zum Beispiel über Algen zu decken. In der Regel kriegt man nach zwei bis drei Jahren ein Problem. Deshalb sollte jeder, der sich vegan ernährt, regelmäßig seinen Vitamin-B-12-Spiegel kontrollieren lassen und ein Supplement einnehmen. Das ist mit Tabletten gut möglich. Es gibt zwar auch Fleischesser mit Vitamin-B-12-Mangel, aber bei Veganern ist es fast zwangsläufig.

Welche Folgen kann B-12-Mangel haben?

Michalsen: Das kann zu sehr gravierenden neurologischen und Blutkrankheiten führen, also keine Kleinigkeit.

Welche Mängel drohen dem Veganer noch?

Michalsen: Es sind wenige. Jod ist mit Ausnahme von Algen und Seetang in Pflanzen sehr selten, aber da hilft jodiertes Speisesalz.

Was ist mit Vitamin D?

Michalsen: Das liest man immer wieder, aber ich finde das nicht so ganz richtig. Vitamin D wird überwiegend nicht über die Nahrung aufgenommen, sondern durch Sonnenexposition im Körper produziert. Die Nahrung hat nur einen Anteil von 10 bis 20 Prozent. Wer einen Mangel hat, sollte also einfach häufiger nach draußen gehen.

Wie sieht es mit Proteinen aus?

Michalsen: Früher hieß es immer, der Veganer hat zu wenig Eiweiß. Die Daten zeigen allerdings, dass tierisches Eiweiß ein Risikofaktor für Schlaganfälle oder Herzinfarkte ist, beim pflanzlichen in Vollkorngetreide, Linsen und Hülsenfrüchten ist das nicht so. Ein Veganer nimmt zwar weniger Eiweiß zu sich, aber am Ende ist das gesünder als tierisches Eiweiß.

Superfoods und ihre Eigenschaften
7 Bilder

Superfoods und ihre Eigenschaften

7 Bilder
Foto: Shutterstock/marilyn barbone

Ich habe kürzlich mit einer Ex-Veganerin gesprochen, die sehr stark auf Getreide und Hülsenfrüchte gesetzt hat. Wie bewerten Sie das?

Michalsen: Wenn es ein Vollkorngetreide ist, dann ist es auch okay, auch wenn man sehr viel davon isst. Aber der Verzehr von Weißmehl, zum Beispiel in Form von Weißbrot und Pasta, hat eher keine positive Wirkung.

Speziell bei Soja lese ich immer wieder, dass es nicht so ganz unbedenklich ist.

Michalsen: Soja ist ein wissenschaftlich schwieriges Thema geworden. Wir wissen, dass in den Kulturen, wo man Soja bereits in der Kindheit verzehrt, wo sich also der Körper darauf einstellt, Soja eine überwiegend positive Wirkung hat. Was sich am geringen Brustkrebsrisiko in asiatischen Ländern sehen lässt. Aber man weiß zum Beispiel, dass bei Frauen, die erst spät anfangen, Soja zu essen, das Brustkrebsrisiko nicht sinkt. Bei Männern, die spät anfangen, ist es nicht auszuschließen, dass es nachteilige Effekte hat. Ein deutscher Mann, der beschließt, Veganer zu werden, sollte nicht die selbe Menge, die er vorher an Fleisch gegessen hat, in Form von Tofu zu sich nehmen.

Die Ex-Veganerin sagte, dass in Soja ein Stoff enthalten ist, der ein Verdauungsenzym hemmt. Ist da was dran?

Michalsen: Soja, wenn er unfermentiert ist, enthält Phytinsäure/Phytat. Dieses hemmt die Aufnahme von Eisen, Zink oder auch Calcium. Deshalb sollte man nicht zu viel Soja essen. Es ist aber nicht belegt, dass Sojakonsum direkt zu Eisen- oder Mineralmangel führt.

Wie sieht es aus mit veganer Ernährung bei Kindern und Schwangeren?

Michalsen: Das geht. Es muss nur ausgewogen sein. In bestimmten Situationen wie Schwangerschaft oder Wachstum ist der Bedarf, zum Beispiel an Calcium, besonders hoch. Da ist es wichtig, viele Vollkornprodukte, Nüsse und viel Gemüse zu essen.

Kann es sein, dass vegane Ernährung für manche Leute einfach nichts ist, weil der Körper nicht dafür geeignet ist?

Michalsen: Das ist schwierig zu beantworten. Natürlich vertragen manche Leute bestimmte Lebensmittel besser als andere, sowohl von der Verdauung als auch vom Appetit. Für manche Leute ist es zum Beispiel viel Verdauungsarbeit, wenn sie Rohkost und Gemüse essen. Allerdings ist das häufig nur am Anfang so. Die Bakterienflora im Darm muss sich erst mal darauf einstellen. Wir Ernährungsmediziner sprechen da von ungefähr drei Monaten. Wir wissen aber auch, dass sich Leute, die eher schlank sind und kälteempfindlich, mit Salat und Rohkost eher schwer tun. Lange Rede, kurzer Sinn: Es gibt Menschen, die vertragen die ein oder andere Ernährungsform tatsächlich nicht.

Das heißt aber, im Normalfall ist vegane Ernährung für jeden geeignet?

Michalsen: Ja, aber der Veganer muss sich informieren und auch bereit sein, selbst zu kochen.

Was ist wichtiger — auf seinen Körper zu hören oder zu gucken, was in den Büchern steht?

Michalsen: Das Problem beim Körper ist, dass er erst mit großer Verspätung reagiert. Aber auch die Psyche hat einen großen Effekt auf die Verdauung. Gerade zieht auch so eine Welle von Unverträglichkeiten durch Deutschland — aber die stimmt gar nicht mit der medizinischen Häufigkeit überein. Da denken auch viele Leute bloß, dass sie etwas nicht vertragen. Wie viele Diskussionen ich gerade mit Leuten führe, die denken, dass Brot böse ist.

Womit haben Veganer weniger Probleme als Mischköstler?

Michalsen: Sie haben Vorteile bei der Entstehung einiger chronischer Erkrankungen, Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes, Bluthochdruck und sie haben auch für einige Krebsarten ein geringeres Risiko. Das weiß man zum Beispiel durch die Adventisten-Studien. In Kalifornien gibt es in einer Stadt mehr als 100.000 Adventisten mit verschiedenen Untergruppierungen. Da gibt es Veganer, Vegetarier und Mischköstler. Sonst leben die aber alle gleich. Man kann also alle anderen Risikofaktoren gleichsetzen. Die Vegetarier hatten gegenüber den Mischköstlern sieben Jahre mehr Lebenserwartung und die Veganer hatten eine noch geringere Gefahr für Herzinfarkt, Schlaganfall, Bluthochdruck, Diabetes.

Ist denn eine gesunde Ernährung mit tierischen Produkten inklusive Fleisch möglich?

Michalsen: Ja, die ist möglich. Es ist einfach eine Mengenfrage und dann kommt es auf das Fleisch ein. Hauptrisiko-Träger ist das verarbeitete Fleisch, also Wurst. Für Wurst gibt es gar keine Argumente. Ansonsten ist der Sonntagsbraten okay. Der lässt sich medizinisch nicht wegargumentieren.

Und welches Fleisch ist zu bevorzugen?

Michalsen: Da scheiden sich die Geister. Tendenziell hat das rote Fleisch, also Rindfleisch und Schweinefleisch, ein etwas höheres Risiko als zum Beispiel Geflügel. Aber Puten- und Hühnerfleisch sind voll mit Antibiotika. Also ist eigentlich egal, welches Fleisch Sie essen, Hauptsache wenig.

Milch kommt in letzter Zeit immer schlechter weg. Wie schätzen Sie das ein?

Michalsen: Es ist auf jeden Fall eng geworden für die Milch. Die Milch wurde damit beworben, Osteoporose zu verhindern. Da haben Studien in den vergangenen Jahren gezeigt, dass das nicht stimmt. Im vergangenen Jahr gab es da eine sehr stark beachtete Studie aus Skandinavien. Allerdings ging es da um drei bis vier Gläser pro Tag. Eine kleine Menge Milch scheint in Ordnung.

Bis vor wenigen Jahren kannte den Begriff "vegan" noch niemand — heißt das, dass auch die Forschung noch am Anfang steht?

Michalsen: Genau. Forschung braucht ein paar Jahre, bis die Daten da sind. Seit ein, zwei Jahren kommen erste gute Daten. Grundsätzlich wird es da aber keine großen Überraschungen mehr geben, was die vegane Ernährung betrifft. Aber es gibt bei Studien immer wieder einen Querschläger, der etwas völlig anderes sagt, auch wenn das beispielsweise nur eine Mini-Bevölkerungsstudie ist, die besagt, dass Vegetarier häufiger Krebs bekommen. Jeder, der die Studie gelesen hat, hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.

Worauf sollte ich denn als Laie beim Lesen einer Studie achten?

Michalsen: Es gibt ein paar Fachzeitschriften, die ein rigoroses Gutachter-System haben, die also keinen Blödsinn durchlassen. Bei Zeitschriften wie "Lancet" oder "British Medical Journal" haben Sie schon mal die erste Gewähr. Bevölkerungsstudien müssen groß genug sein, also mindestens 10.000 Teilnehmer. Bei experimentellen Studien muss man darauf achten, ob die Labore einen guten Namen haben.

Gibt es überhaupt unabhängige Studien? Irgendjemand muss es ja am Ende bezahlen.

Michalsen: Die gibt es, gerade in den USA. Da kommt das Geld dann von der Regierung. Es gibt aber für Studien, gerade in Europa, auch viel Geld von der Fleisch- und Milchwirtschaft.

Dass die Lebensmittelindustrie versucht, durch Studien Einfluss zu nehmen, ist also keine Verschwörungstheorie?

Michalsen: Nein. Es geht schließlich um sehr viel Geld.

Wie ernst nehmen Sie jemanden wie Udo Pollmer, einen der prominentesten Kritiker der veganen Ernährung?

Michalsen: Der beherrscht es meisterlich, nur die Studien zu zitieren, die seine extremen Thesen belegen. Das macht er sehr geschickt. Es scheint ihm auch einfach Spaß zu machen, so etwas zu sagen.

Wie können Sie Ihre eigene Unabhängigkeit bewahren? Als Vegetarier sind Sie der pflanzlichen Ernährung ja wohlgesonnen.

Michalsen: Ich bin sicher nicht hundertprozentig unabhängig, denn wie Sie sagen, ich bin Vegetarier. Kein Forscher kann in der Ernährungsforschung völlig unabhängig sein, denn wir alle müssen uns ja ernähren. Aber wichtig ist, ob darüber hinaus ein Interessenskonflikt besteht, also ob man in irgendeiner Form Geld von Interessensverbänden bekommt. Ich bekomme kein Geld von der Lebensmittelindustrie.

(seda)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort