WHO-Studie Was wir jetzt über die Wurst wissen müssen

Düsseldorf · Ist Wurst krebserregend? Ernährungswissenschaftler warnen vor übermäßigem Konsum. Die Menge ist offenbar entscheidend. Wir beantworten die wichtigsten Fragen dazu.

WHO Urteil über Krebs: Was wir jetzt über Wurst wissen sollten
Foto: dpa, fza fpt kno

Alles hat ein Ende, auch das Leben, nur die Wurst hat zwei. Momentan besitzt Fleisch in rohem und verarbeitetem Zustand jedoch keinen existenziellen Vorsprung, im Gegenteil: Es wird, in größeren Mengen konsumiert, als Teufelszeug und potenziell krebserregend eingestuft. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was bedeutet die Einstufung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC)?

"Für ihre Ergebnisse hat die IARC rund 800 Studien ausgewertet", sagt Urs Schaden, Ernährungsmediziner in Düsseldorf. Herausfinden wollten die Wissenschaftler, welches gesundheitliche Risiko von verarbeitetem Fleisch ausgeht. Fünf Kategorien gibt es für diese Feststellung durch die WHO: "krebserregend" (1), "wahrscheinlich krebserregend" (2A), "möglicherweise krebserregend" (2B), "nicht einzustufen" (3) und "nicht krebserregend" (4). "Verarbeitetes Fleisch wie etwa Wurst wurde in die Kategorie 1 eingestuft und landete damit in der gleichen Sparte wie auch Asbest oder Zigaretten", sagt Schaden.

Darf man jetzt überhaupt noch Wurst essen?

"Ja", sagt Schaden, "denn die Wurst an sich ist nicht das Problem, sondern die Menge macht das Gift." Wer sehr viel Fleisch und vor allem Wurst isst, hat laut Studien ein erhöhtes Darmkrebsrisiko - das steigt je 50 Gramm Wurst täglich um 18 Prozent. "Wer sich aber an die gängige Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) hält, muss sich keine Sorgen machen." Bislang bedeutet das: nicht mehr als 300 Gramm Fleisch pro Woche für Frauen und 600 Gramm für Männer. Der Unterschied ist den größeren Portionen geschuldet, die Männer zu sich nehmen. "In diesem Rahmen ist also auch das deutsche Abendbrot oder das Wurstbrötchen am Morgen erlaubt."

Sind bestimmte Wurstsorten schädlicher als andere?

Nein, jedenfalls unter Vorbehalt. "Es gibt keine Studien dazu, wie eine Wurstsorte im Vergleich zu einer anderen auf den Menschen wirkt", sagt Harald Seitz, Ernährungsberater beim aid Infodienst. "Das einzige, was man wirklich sagen kann, ist, dass ein hoher Fleischkonsum das Krebsrisiko steigen lässt - aber ab welcher Menge und bei welchen Sorten das besonders gilt, ist unklar." Erschwert wird eine konkrete Aussage zusätzlich, weil Menschen, die sehr viele Fleischprodukte verzehren, in den meisten Fällen auch wenig Gemüse essen, sich eher wenig bewegen und häufig Raucher sind. Alles Faktoren, die für sich genommen bereits eine Krebserkrankung begünstigen. Was sich aber sicher sagen lässt ist, dass vor allem verarbeitetes Fleisch oft sehr fettig ist und teilweise viele Salze enthält. "Die hohe Kalorienzahl in Wurst führt auf Dauer zu vielen gesundheitlichen Problemen", sagt Ernährungsmediziner Schaden. Folgen können Übergewicht, Adipositas und Diabetes sein. Der hohe Fettgehalt kann bei übermäßigem Konsum zudem die Blutgefäße beeinträchtigen und zu Erkrankungen wie Arteriosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall führen. Das Risiko dafür steigt laut Langzeitstudien bereits ab 50 Gramm gepökeltem Fleisch pro Tag.

Sind Studien zur Wirkung von Nahrungsmitteln überhaupt sehr aussagekräftig?

Leider sind sie das nur begrenzt. Man kann auch in diesem Zusammenhang die Faktoren, die zu einem statistischen Ergebnis geführt haben, nicht genau trennen und kaum spezifisch bestimmen. Wie gesagt: Leidenschaftliche Wurst- und Fleischesser, die dabei einen erhöhten Fettanteil in Kauf nehmen, neigen generell zu ungesunder Ernährung (zu viel Salz, zu viel Zucker, zu wenig Obst und Gemüse, zu wenig ballastreiche Kost). Zu großen Teilen sind sie aber auch Bewegungsmuffel; der Anteil der Raucher dürfte in dieser Gruppe höher sein als bei Menschen, die auf fleischfreie Tage achten oder streng vegetarisch oder vegan leben.

Ist denn das häufig diskutierte Nitritpökelsalz krebserregend?

Dieser Nachweis lässt sich nicht sicher führen. Aus Nitrit und Aminen können sich unter gewissen Bedingungen krebserzeugende Nitrosamine bilden. Die durch gepökeltes Fleisch aufgenommenen Nitritmengen sind aber im Vergleich mit Nitrit aus anderen Quellen (Salate und Gemüse) so gering, dass sie nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Warum wird Fleisch überhaupt gepökelt?

Durch Pökeln kann Fleisch und Fisch konserviert werden. Das hierbei verwendete Salz, das Nitrit oder Nitrat enthalten kann, bindet in den Produkten Wasser und macht sie haltbarer. So können Fleischwaren unter anderem vor einem Befall durch das gefährliche Bakterium Clostridium botulinum geschützt, das ein gefährliches Gift produziert (Botulinum-Toxin). Erwünschte Nebeneffekte: Gepökeltes Fleisch bleibt rötlich (Pökelfarbe) und wird nicht grau, außerdem bekommt es das Pökelaroma. Typische gepökelte Produkte sind Bierschinken, Kasseler und Dauerwürste.

Wie hoch ist die Nitritaufnahme durch Fleischerzeugnisse?

Die durchschnittliche Pro-Kopf-Nitritaufnahme aus Fleischerzeugnissen (Natriumnitrit) liegt bei rund 2,5 mg pro Tag. Der menschliche Körper selbst produziert durch natürliche Stoffwechselvorgänge (Abbau von Stickstoffmonoxid) täglich 50 bis 70 mg Natriumnitrit, also 20- bis 28-mal mehr. Daneben wird Nitrit auch durch den Verzehr pflanzlicher Lebensmittel aufgenommen, da ein Teil ihres Nitrats durch die Bakterienflora des Mundraums zu Nitrit umgewandelt wird. Daraus folgt, dass nur etwa drei Prozent des Nitrits aus gepökelten Fleischwaren stammt.

Hat das Fleisch auch Vorteile?

Ja. Beim Fleischkonsum profitiert man von guter Versorgung mit Nährstoffen wie Eiweiß, den Vitaminen A, B1 und B12, außerdem Eisen und Zink. Es gibt Anämie-Patienten, die zu wenig Fleisch essen und von einer Nahrungsveränderung stark profitieren. Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte und grüne Gemüse enthalten allerdings ebenfalls sehr viel Eisen.

Bedeutet das im Umkehrschluss, dass man unbehandeltes Geflügel ohne Bedenken verzehren kann?

"Tatsächlich geht das Krebsrisiko beim Konsum von weißem, völlig unbehandeltem Fleisch fast gegen Null", sagt Schaden. Auch rotes Fleisch, also solches von Säugetieren wie Schwein oder Rind, ist dann eingeschränkt empfehlenswert, wenn es frisch und unbehandelt ist. "Es zählt in die Kategorie ,wahrscheinlich krebserregend', also 2B, und kann mit Vorsicht genossen werden", sagt der Mediziner. Dennoch rät er dazu, die Empfehlungen der WHO nicht überzubewerten. "Man bekommt nicht Krebs, weil man Wurst isst, sondern weil man viel zu viel davon isst." Die beste Lösung ist deshalb laut den Experten: Nicht auf Geflügel umsteigen, sondern grundsätzlich den Verzehr von Fleischprodukten zu reduzieren.

(ham / w.g.)
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