Radeln ist in Kommt Zeit, kommt Rad

Düsseldorf · Nie war der Tritt in die Pedale so beliebt wie heute. Die Menschen haben keine Lust mehr, sich mit ihren Autos in den Stau zu stellen. Millionen Räder werden jedes Jahr verkauft. Das Fahrrad erobert die Straßen zurück.

 Eine Familie unternimmt eine Tour mit dem Rad.

Eine Familie unternimmt eine Tour mit dem Rad.

Foto: dpa

Das Beste ist natürlich Rückenwind. Wenn du in die Pedale trittst und es gleich einen Schub gibt und die Landschaft nur so vorbeifliegt - oder du an ihr. Wenn du dabei vielleicht sogar noch gute Musik über Kopfhörer hörst, irgendetwas, das nach vorne geht, zum Beispiel was Altes von Elvis Costello oder das neue Sommeralbum von Weezer. Wenn du dann irgendwo eine Abkürzung nimmst, die nur du kennst und die anderen Eingeweihten, abbiegst, wo Autos nicht durchdürfen, aber Radfahrer und Fußgänger. Und du in einer anderen Ecke wieder rauskommst, selbst wenn's nur auf der anderen Seite vom Riesendiscount-Supermarkt ist. Dann gibt es keinen besseren Weg durch die Stadt als auf dem Fahrrad.

"Der erste Tritt in die Pedale ist der Beginn einer neuen Autonomie, er ist ein schöner Ausreißversuch", meint der französische Anthropologe Marc Augé. "Innerhalb weniger Sekunden befreit sich der begrenzte Horizont, und die Landschaft gerät in Bewegung. Ich bin anderswo." Das ist die neue Freiheit auf dem Rad, die eigentlich nicht neu ist, sondern so alt wie die Erfindung des Fahrrads im 19. Jahrhundert. Neu ist, dass das Rad seit etwa zehn Jahren ins Stadtbild zurückkehrt. Das Fahrradfahren ist im Trend. Selten wurden so viele Fahrräder gesehen wie heute.

Und das liegt nicht nur daran, dass es umweltfreundlicher ist, mit dem Rad zu fahren. Die Leute sind es auch leid, an jeder Kreuzung mit dem Auto in den Stau zu geraten und in den zentrumnahen Stadtteilen nach Feierabend eine Dreiviertelstunde einen Parkplatz zu suchen.

"Es gibt nichts Schöneres, als auf dem Rad an einer Tankstelle vorbeizufahren", sagt Martin Isbruch vom NRW-Landesvorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs. Das Fahrradfahren kostet nach der Anschaffung nur noch Kraft. Auch darum schwingen sich die Leute aufs Rad.

"Es sind nicht alles Ökos", sagt Isbruch. "Die Leute wollen sich bewegen, und gerade in den Großstädten ist es mittlerweile hip, mit dem Fahrrad zu fahren." 2015 haben die Deutschen dem Zweirad-Industrie-Verband zufolge durchschnittlich 557 Euro für ein neues Fahrrad ausgegeben. 4,35 Millionen Räder wurden verkauft, das sind 350.000 mehr als 2014. Der E-Bike-Absatz legte um 11,5 Prozent zu, von 480.000 Rädern auf 535.000. Der Verband schätzt, dass es mittlerweile 2,5 Millionen Elektro-Fahrräder in Deutschland gibt. Auch Dietmar Knust hat eins.

"Wer einmal E-Bike gefahren ist, kommt mit einem Lächeln zurück", sagt Knust. Er muss das sagen, Knust ist Fahrradverkäufer und Vorsitzender des Deutschen Zweiradhandels-Verband, aber wahrscheinlich ist trotzdem was dran. "Die Belastung ist geringer, und das macht mehr Spaß", sagt er. Puristen mögen nun natürlich einwenden, na ja, das habe mit dem Radfahren - dem Abstrampeln - ja nicht mehr viel zu tun. Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Denn auch beim E-Bike springt der Motor nur an, wenn man in die Pedale tritt. Es ist ja kein Moped.

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Zumal auf den E-Rädern längere Strecken zurückgelegt werden können, und das ist gut für die Fitness. Zehn bis 15 Kilometer seien für viele kein Problem mehr, sagt Martin Isbruch. "Die Business-Biker können plötzlich unverschwitzt zur Arbeit kommen." Mit dem E-Bike hat ein neues Fahrrad-Zeitalter begonnen. Der Radfahrer dringt mehr und mehr in Bereiche vor, die er bislang nur mit dem Auto oder mit dem Nahverkehr erschlossen hat.

Und auf dem Rad verändert sich dann die Raumwahrnehmung, es können neue Wege fern der Hauptstraßen genommen werden: gegen die Fahrtrichtung in eine verkehrsberuhigte Einbahnstraße, wo es Radfahrern erlaubt ist. Aber dabei gut aufpassen! Noch immer ist die Ignoranz der Autofahrer groß - von Fahrradfahrern im Übrigen auch. Zum Fahren mit Musik wurde 1987 übrigens das sogenannte "Walkman-Urteil" gesprochen. Demnach sind Kopfhörer in Ordnung, solange die Verkehrsgeräusche wahrgenommen werden.

Beim Fahrradfahren erweitere sich das Revier, sagt Marc Augé. Das Radfahren im städtischen Raum eröffne die Möglichkeit, Entfernungen neu einzuschätzen und Verbindungen herzustellen. "Man gleitet unbemerkt in eine andere, buchstäblich höchst poetische Geographie, denn sie sorgt für den direkten Kontakt zwischen Orten, die man bislang nur gesondert besuchte." Diese Anschlussfähigkeit ist einmalig, mit keinem anderen Verkehrsmittel bekommt man das hin. Und weil immer mehr Menschen das Fahrrad vorziehen, ob elektronisch oder nicht, wird auch mehr getan. Das Wegenetz wird stetig erweitert. Allerorts sind Radschnellwege in Planung und Teilabschnitte im Bau. Innerstädtisch werden die Autos geradewegs zurückgedrängt. Wo es das Verkehrsaufkommen zulässt, werden zweispurige Straßen mittels durchgezogener Linie häufig aufgeteilt: Rad- und Autofahrer machen halbe-halbe.

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Foto: www.bodensee-radweg.com

Das ist letztlich nicht nur gut zur Stauvermeidung, sondern auch für den Radfahrer, denn die Fahrt macht etwas mit ihm. Er setzt sich ein Ziel, und einmal auf dem Weg, wird er es sich kaum anders überlegen. Er wird ja auch das Rad nicht mehr los. Es gilt also, die geplante Strecke zu bewältigen, und weil man es dann auch will und das Ziel mit jedem Meter näher kommt, belohnt der Körper diese Anstrengung. Er schüttet Endorphine aus, plötzlich empfindet man Glück. Die Erfahrung des Radfahrens stelle einen fundamentalen Existenzbeweis dar, sagt Augé. Der Radfahrer nimmt sich als Mensch wahr.

(kl)
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