Sprechstunde Heimweh im Urlaub

Unsere Leserin Simone D. (42) aus Krefeld schreibt per Mail: "Seit Jahren hatte ich den Traum einer Reise durch Südamerika. Allein mit dem Rucksack, ohne meinen Freund, spontan fremde Kultur und Landschaft erleben. Nun habe ich mir den Traum verwirklicht und bin in Peru. Aber statt glücklich fühle ich mich verloren, fremd und heimatlos. Wie kann das sein?"

Claudia Sies Heutzutage erleben sehr viele Menschen dieses "Disembedding" - das Gefühl von Entwurzelung. Das kann unterschiedliche Gründe haben.

Die Leserin hat sich offensichtlich mit ihrem tollkühnen und viel zu großen Plan überfordert. Mehrere Länder Südamerikas in einem Urlaub abzuhaken, das ist zu viel. Und dann hat sie noch dazu ihre Fähigkeit, allein zu reisen, schlicht überschätzt. Womöglich hat sie gelegentlich einmal allein einen Wochenendausflug in der Umgebung gemacht und sich dabei wohl und frei gefühlt. Diese Erfahrung hat sie zum Anlass genommen, kühne Pläne zu schmieden. Aber an den völlig anderen Dimensionen einer so weiten Reise droht sie nun zu scheitern.

So weit weg von zu Hause und ihrem sozialen Umfeld entfremdet zu sein, allein unter Menschen von unbekannter Lebensart, das fühlt sich doch anders an als erwartet. Da ist es eigentlich verständlich, wenn man sich mit nostalgischen Gefühlen nach der Heimat sehnt; Nostalgie ist der medizinische Begriff für "Heimweh". Nostalgisch heißt aber auch, dass man mit verklärtem Blick die Heimat idealisiert und sich nur der guten Dinge erinnert. Und am aktuellen Ort mehr das Schlechte und Ungewohnte in den Fokus setzt. Erwachsene können sich in dieser Lage selbst helfen: Sie können sich klarmachen, dass sie als freie Menschen die Wahl haben - zwischen dem Wunsch, es sich in der "absolut guten Heimat" bequem zu machen, oder dem Wunsch, neue Anforderungen in der Fremde zu meistern.

Für ein Kind, das etwa in einer Feriengruppe ohne die Eltern verreist, ist dies schon schwieriger. Es muss verstehen, dass Sehnsucht nach dem Zuhause der Preis für die neuen, interessanten Erfahrungen ist, die es an einem ungewohnten und neuen Ort sammelt. Eltern können sie ermutigen, indem sie ihrem Kind nicht zu stark vermitteln, wie sehr es ihnen fehlt. Denn auch das kann beim Kind eine Art Heimweh durch Schuldgefühle, die Familie alleingelassen zu haben, hervorrufen. Hilfreicher ist es, wenn Eltern dem Kind deutlich machen, dass sie es um die neue Situation sogar ein wenig beneiden. Gleichzeitig sollten sie ihm aber vermitteln, dass es einen festen Platz bei ihnen hat, an den es dann auch zurückkehren wird. Das bestärkt das Kind darin, mit der neuen Situation fertig zu werden.

(RP)
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