Sprechstunde In der Beziehungsfalle

Manche Eheleute könnten eine Trennung verhindern, wenn sie sich ihrer Unterschiedlichkeit bewusst werden.

Unsere Leserin Elke M. aus Mönchengladbach (56) fragt: "Wir sind seit 30 Jahren verheiratet. Nun sind die Kinder aus dem Haus, und ich möchte meinen Mann Georg verlassen, um allein zu leben. Immer habe ich nur danach geschaut, was er und die Kinder brauchen, jetzt möchte ich meinen eigenen Rhythmus leben, und das kann ich nur ohne ihn. Er aber wehrt sich mit aller Macht dagegen. Was kann ich tun, damit mein Aussteigen zivilisiert über die Bühne geht?"

Claudia Sies Für Elke ist die Beziehung zu Georg erschöpft, denn sie hat sich selbst über die Jahre erschöpft, weil sie zu sehr innerlich darauf geeicht ist, immer nur zu schauen, was Georg braucht. Wenn er unzufrieden wirkt, schüchtert sie das viel zu leicht ein. Daher kann sie sich auch nicht vorstellen, neben ihm ihren eigenen Rhythmus zu finden. Auch deshalb, weil Georg es offenbar nicht verträgt, wenn Elke nicht schnell genug auf seine Wünsche eingeht.

In dieser Ehe haben sich also zwei ungünstige, veraltete Beziehungsideale über Jahrzehnte erhalten: Elkes innere Überzeugung, dass in einer guten Beziehung einer die vermuteten Erwartungen des anderen erfüllt. Genau das hatte sie 30 Jahre lang gelebt, aber nicht bedacht, dass sie in ihrer Umgebung dauernde Unzufriedenheit züchtete. Denn sie verstärkte damit bei ihrer Familie den Anspruch an sie und das Leben, dass alles glatt zu laufen habe. Ein weiteres Ideal Elkes verlangte aber in einer Beziehung nach Harmonie und Gleichklang. Der war aber empfindlich gestört, wenn Elke Georg einmal widersprach.

Tatsächlich sind Elke und Georg sehr unterschiedlich. Heute könnten sie nun genau aus dieser Unterschiedlichkeit, deren Potenzial sie 30 Jahre verspielt hatten, den Stoff für einen spannenden Neustart der Beziehung schöpfen. Schließlich gelten heute andere Beziehungsideale als früher. Heute könnten sie aus ihrer Unterschiedlichkeit erotische Spannung beziehen und sich dann sogar wieder einig sein, dass sie unterschiedlich sind.

Schneller und intensiver geht eine solche Entwicklung meistens dann, wenn man zusammen bleibt. Denn beim Alleinleben braucht man sich dieser Herausforderung nicht zu stellen. Nicht zuletzt wäre es für die Kinder ein Lebensmodell, wenn sie beobachten könnten, wie die Eltern alte Beziehungsmuster verlassen, um mit zeitgemäßen Freiheiten ihre Ehe wieder mit Leben zu füllen. Ein Weg zu dieser Lösung ohne Trennung könnte eine psychoanalytische Paar-Gruppentherapie sein. In dieser Gruppe könnten die verfestigten Muster deutlich werden, und Elke und Georg könnten lernen, frei nebeneinanderzustehen, statt in der starren Ordnung der alten patriarchalen Ordnung.

(RP)
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