Neues Diagnoseverfahren Wie Ärzte Arthrose schon vor dem Schmerz erkennen wollen

Karlsruhe · Jährlich landen rund 150.000 Deutsche unter dem Messer, weil sie ein künstliches Kniegelenk brauchen. Oft setzt die Abnutzung der Gelenke schleichend ein und die Betroffenen bemerken sie erst, wenn Schmerzen hinzukommen. Gelänge es, die beginnende Arthrose frühzeitig zu erkennen, könnten viele Operationen verhindert werden. Forscher arbeiten an einem solchen Verfahren.

 Über die Analyse von Bewegungsabläufen soll es künftig möglich sein, Arthrose bereits bei den ersten Anzeichen zu erkennen.

Über die Analyse von Bewegungsabläufen soll es künftig möglich sein, Arthrose bereits bei den ersten Anzeichen zu erkennen.

Foto: Karlsruher Institut für Technologie

Ob wir gehen, einen schwungvoll en Sprung wagen oder uns abends matt ins Bett fallen lassen: Mehr als einhundert Gelenke federn jeden Tag alle Stöße ab, denen unser Körper ausgesetzt ist. Unter solcher Belastung beginnt der natürliche Verschleiß der Gelenke schon früh. Besonders Menschen mit Übergewicht, unterschiedlichen Beinlängen oder solche, die durch eine Bänderverletzung instabilere Gelenke haben, sind besonders gefährdet für einen übermäßigen Verschleiß.

Wer besonders arthrosegefährdet ist

Früher als andere können auch Menschen Probleme mit den Gelenken bekommen, die unter Fußfehlstellungen leiden, eine Wirbelsäulenverkrümmung haben oder besonders gelenkfordernde Sportarten ausüben. Zu denen zählen neben Handball auch Fußball, Squash oder Gewichtheben.

Über viele Jahre nutzen sich die menschlichen Scharniere langsam ab, bis sie irgendwann beginnen zu schmerzen. Die Betroffenen stehen morgens auf uns fühlen sich steif und unbeweglich. Typisch ist in der Anfangsphase auch ein so genannter Anlaufschmerz, bei dem zu Beginn einer Bewegung heftige Schmerzen auftreten, die sich dann aber bessern. Auch knirschende oder knackende Geräusche im Gelenk können eine Vorwarnung dafür sein, dass die Knorpelmasse, die wie ein Stoßdämpfer zwischen den Gelenkknochen liegt, schwindet.

Jährlich 150.000 neue Knie in Deutschland

Das hat massiven Einfluss auf die Gleitbewegung zwischen den Gelenken. Im fortgeschrittenen Stadium reiben die Knochen ohne Puffer direkt aufeinander und verursachen stärkste Schmerzen. Da die Möglichkeiten in Sachen Knorpelersatz begrenzt sind und zudem sehr aufwändig und kostspielig, kommen meist nur junge Patienten mit erheblichen Knorpelschäden für solche Eingriffe in Frage. Rund 150.000 Deutsche hingegen legen sich jedes Jahr auf den OP-Tisch, um mit einem künstlichen Kniegelenk den starken Beschwerden ein Ende zu setzen. 209.000 Patienten erhoffen sich durch ein künstliches Hüftgelenk eine entscheidende Verbesserung.

Ihnen könnte das erspart bleiben, würde der beginnende Verschleiß frühzeitiger in einer Zeit diagnostiziert, in der sie bewusst noch keine Einschränkungen wahrnehmen. Sportwissenschaftler und Gelenkchirurgen arbeiten derzeit an einem Verfahren, das es möglich machen soll, erste Anzeichen für Arthrose an veränderten Bewegungsmustern eines Menschen zu erkennen. Denn sobald die Gelenke nicht mehr richtig funktionieren, gleicht der Mensch das Manko aus. Zu einem Zeitpunkt freilich, zu dem merklich noch keine Veränderung eingetreten ist. So sorgen die Betroffenen dafür, dass das betroffene Gelenk entlastet wird.

Wie Betroffene unbewusst Gelenke entlasten

Schmerzt das linke Knie wegen einer beginnenden Arthrose, belasten die Betroffenen das rechte Bein mehr. Der Erfolg der automatisierten Entlastung lässt zunächst nicht lange auf sich warten: Der Schmerz lässt nach und entwickelt sich zunächst nicht weiter. Doch bleibt dadurch der Verschleiß im Frühstadium länger unentdeckt.

"Wir wollen nun über ein e computergestützte Analyse des Gangs ein Frühwarnsystem entwickeln, das sich routinemäßig in der Vorsorge einsetzen ließe", sagt Prof. Stefan Sell vom Institut für Sport und Sportwissenschaft (IfSS) in Karlsruhe und zugleich Chefarzt für Gelenkchirurgie in Bad Wildbad. Dazu erarbeiten sie derzeit einen Katalog menschlicher Bewegungsmuster und einen mit Bewegungsdaten von Patienten mit einer Kniearthrose. Mathematisch werden dann Abweichungen von der Normalbewegung errechnet. So können die Forscher die Bewegungsmuster ausfindig machen, die für gesunde Menschen äußerst unwahrscheinlich sind.

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Foto: Shutterstock/Photographee.eu

Ziel: Verbesserung im Krankheitsverlauf

Oft ist zum Beispiel in der Anfangsphase einer Arthrose der Kniewinkel bereits leicht eingeschränkt oder die Personen verlagern ihr Gewicht nur vorsichtig auf das andere Knie, weil sie den Stoß beim Aufsetzen des Beins unbewusst abmildern wollen. Durch das frühzeitige Erkennen solch abweichender Bewegungen könnte der Gelenkverschleiß so frühzeitig aufgedeckt werden und mit therapeutischen Verfahren den Verlauf der Erkrankung erheblich verbessern. Die Forscher sprechen sogar davon, dass sie mit einer frühzeitigen Diagnose und entsprechenden Therapien viele Operationen hinauszögern oder sogar ganz vermeiden könnten.

Leidet zum Beispiel ein passionierter Tennisspieler unter einer Kniearthrose, könne man ihm raten, darauf zu achten, beim Spiel lieber durchzulaufen, statt dauernd abrupt abzustoppen. Was Banal klingt, kann für die Arthrosegeplagten eine deutliche Verbesserung im Krankheitsverlauf bedeuten. Denn gezielte sportliche Aktivität gilt als eine der grundlegendsten Bausteine in der Arthrosetherapie. Mit gezielten Bewegungsübungen lässt sich laut Informationen der Deutschen Arthrose-Stiftung die Nährstoffversorgung des schützenden Knorpels über die Gelenkflüssigkeit verbessern und so das Fortschreiten der Krankheit verzögern. Bei Bewegung bildet sich in der Gelenkinnenhaut neue Gelenkschmiere. Das erklärt, warum zum Beispiel ein Patient mit Kniearthrose beim Radfahren anfänglich stärkere Schmerzen verspürt, die sich dann aber bessern.

Bis das Frühwarnsystem marktreif ist, werden nach Einschätzung der Wissenschaftler noch rund zwei Jahre vergehen. Dieser Test ersetzt keine ärztliche Diagnose und Einschätzung.

(wat)
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