Rätselhaftes Phänomen Wie gefährlich Schlafwandeln ist

Solingen/Berlin · Es ist ein rätselhaftes Phänomen: Menschen erheben sich nachts aus ihrem Bett, gehen wie ferngesteuert umher, fahren Auto oder kochen sich eine Suppe. Am nächsten Morgen haben sie keine Erinnerung mehr daran, denn das alles tun sie im Schlaf. Einige solcher Ausflüge enden tödlich – für den Schlafwandler oder seinen Bettnachbarn.

Das sind Risiken für Schlafwandler
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Foto: Shutterstock/kryzhov

Es ist ein rätselhaftes Phänomen: Menschen erheben sich nachts aus ihrem Bett, gehen wie ferngesteuert umher, fahren Auto oder kochen sich eine Suppe. Am nächsten Morgen haben sie keine Erinnerung mehr daran, denn das alles tun sie im Schlaf. Einige solcher Ausflüge enden tödlich — für den Schlafwandler oder seinen Bettnachbarn.

Die Wissenschaft tappt im Dunkeln: Schlafforscher und Neurologen wüssten gerne mehr über die Ursachen für das gespenstische Umherirren eigentlich Schlafender. Doch wenn auch bislang im Kernspintomografen noch niemand zu nächtlicher Aktivität erwacht ist, kommen die Experten in Schlaflaboren dem Unheimlichen auf die Spur, indem sie oft über mehrere Nächte den Schlaf der Betroffenen mit Elektroden und Videoaufzeichnungen überwachen und auswerten.

So geht man nach heutigem Wissensstand davon aus, dass Schlafwandeln im Tiefschlaf geschieht. Lange Zeit galt diese Schlafphase als traumfreie Zone. "Doch wir träumen auch im Tiefschlaf, wenn auch weniger", sagt Prof. Winfried Randerath. Er ist Vorsitzender der Nordrhein-Westfälischen Gesellschaft für Schlafmedizin und Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums im Bethanien-Krankenhaus Solingen. Ursprünglich schrieb man nur der sogenannten REM-Phase, der Schlafzeit, in der die Entschlummerten heftige Augenbewegungen zeigen, intensive Traumzeiten zu.

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Foto: dpa, Hans Wiedl

Bewegungsunfähig im Bett

In der REM-Phase aber ist die Muskulatur ausgeschaltet. "Wir können uns dann nicht mal im Bett drehen", erklärt der Schlafexperte. Von schlafwandlerischen Unternehmungen kann man in dem Abschnitt des Schlafs also getrost träumen. Sie verbringt auch ein Schlafwandler darum sicher im kuscheligen Bett. Anders ist das hingegen in den sogenannten Non-REM-Schlafphasen, zu denen auch die Tiefschlafphase zählt.

Im ersten Drittel des Nachtschlafs passiert es plötzlich: Der Schlafende öffnet seine Augen und steht aus dem Bett auf. Das an sich ist befremdlich genug. Noch unheimlicher ist die Vorstellung von Entschlummerten, die mit gefährlichen Gegenständen wie Messern hantieren, um sich eine Wurststulle zu schmieren oder aber im Schlafgewand umherirren. "Verständlicherweise reagieren Menschen, die mit einem Messer in der Hand wach werden, verstört und unsicher und suchen nach einer Erklärung dafür", schildert der Solinger Neurologe.

Eine Annahme zur Erklärung des Schlafwandels ist die des unvollständigen Reifungsprozesses des Gehirns. "Denn das Phänomen kommt am häufigsten bei Kindern vor. Rund 30 Prozent von ihnen schlafwandeln", sagt Prof. Randerath. Rund zehnmal höher ist das Risiko, wenn die Eltern solche Symptome zeigten. Schweizer Forscher belegten, dass ein Gen für das Nachtwandeln verantwortlich ist. Meist wächst sich die Neigung zur nächtlichen Wanderschaft mit der Pubertät aus.

Offenen Auges träumend unterwegs

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Wenngleich es bei den Erwachsenen lediglich ein bis zwei Prozent sind, bei denen sich das Schlafwandeln hält, sind sie in der Bevölkerung dennoch ungleich bekannter. Denn sie sorgen für ungewöhnliche Zwischenfälle, die den Betroffenen nach Angaben des Solinger Schlafexperten zumeist ungeheuer peinlich sind. Nicht immer laufen sie so glimpflich ab wie im Fall eines Mannes, der im Schlafanzug eine Hotellobby durchquert, um dann wie ferngesteuert in deren Mitte wieder kehrt zu machen und sich wieder in sein Bett zu verkrümeln.

Für einen jungen Mann und seine Freundin aus dem bayerischen Unterhaching endete hingegen der erholsame Schlaf in einer wahr gewordenen Horrorvision: Er selbst erwacht aus tiefem Schlummer, als seine Partnerin über ihn steigt. Aus dem Halbschlaf reißt ihn wenige Sekunden später ein dumpfer Aufschlag.

Die 21-Jährige hatte im Schlaf das Fenster zum Balkon geöffnet und war aus dem dritten Stock ungebremst zehn Meter in die Tiefe gestürzt. Sie überlebt schwer verletzt und mit gebrochenem Oberschenkel. Auf furchtbare Art und Weise belegt dieses Ereignis, dass die Kunde von der schlafwandlerischen Sicherheit nur eine Mär ist.

Während einige Bereiche des Hirns erwachen, schlummern andere weiter. Die Muskulatur aber ist hellwach. Schlafwandeln, oder Somnambulismus ist per definitionem eine Aufwachstörung. Sie reiht sich ein in eine Serie von Verhaltensweisen, die den eigentlichen Schlafprozess unterbrechen und als Parasomnien bezeichnet werden. Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM)nennt daneben auch das nächtliche Zähneknirschen, Bettnässen oder Sprechen im Schlaf.

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Foto: Fotolia/obx

Die gute Nachricht also: "Schlafwandeln ist keine Krankheit und auch kein Vorbote einer Erkrankung", sagt Schlafmediziner Randerath, sondern lediglich der Zustand unvollständigen Erwachens. Trotz geöffneter Augen nehmen die Betroffenen nichts bewusst wahr und sind diesem Zustand lediglich in der Lage, automatisierte Routinehandlungen vorzunehmen.

"Es gibt Beispiele, in denen Menschen Auto gefahren sind", erläutert der Leiter des Schlaflabors in Solingen, sie waschen vielleicht das Geschirr ab oder stöpseln das Bügeleisen ein". Dabei kann es vorkommen, dass der Halbwache träumt, er gehe zur Toilette, aufstehe und sich in der Realität auf den Weg mache, aber den Wäscheschrank nehme.

In manchen Fällen funktioniert allerdings aufgrund neurologischer Erkrankungen auch die Abschaltmechanismus nicht, der im Schlaf die Muskulatur lahm legt. Dann können die Personen auch in der REM-Phase Bewegungen ausführen.

"Ein Mann träumte zum Beispiel von einem Footballspiel, in dem ihm ein starker Mitspieler entgegenlief, den er wegschubsen wollte. Während er das im Schlaf erlebte, schob er in der Realität eine Kommode zur Seite", so Randerath. Versehentlich kann es während des Schlafens auch zu Übergriffen oder Attacken auf Bettnachbarn kommen. Tritt das während einer REM-Phase auf, könne das nach Angaben des Experten ein Hinweis auf eine Nervenerkrankung oder Parkinson sein.

Neben spektakulären Fällen, wie auch dem eines Mannes, der morgens neben seiner toten Ehefrau aufwacht und durch die Ermittlungen der Polizei erfährt, dass er ein schlafwandelnder Mörder ist, geht in der Mehrzahl der Fälle weniger abenteuerlich über die Bühne. Meist setzen sich die Betroffenen nachts im Bett auf, schauen scheinbar umher, legen sich dann aber wieder hin und schlafen weiter. Stress gilt als einer der möglichen Auslöser dafür. Die Patienten ackern dann selbst im Schlaf weiter und erledigen das, was sie meinen am Tag nicht geschafft zu haben.

Warum Betroffenen den Mond ansteuern

Im Mittelalter galten solche Menschen als mondsüchtig. Das nährt bis heute den Mythos vom Schlafwandler bei Vollmond. Tatsächlich kann es allerdings vorkommen, dass Betroffene auf nächtlicher Tour auf den Mond zulaufen. "Das allerdings liegt daran, dass solche Personen auf Lichtimpulse reagieren, also dahin gehen, wo es hell ist", sagt Randerath. Das kann auf der Straße eine blinkende Werbetafel sein.

Auch, wenn die Möglichkeiten zur Therapie begrenzt sind, finden Schlafwandler in Kliniken mit Schlaflaboren Hilfe. Dort lässt sich genau ermitteln, um welche Form der Aufwachstörung es sich handelt. Spielt zu viel Druck eine Rolle, kann in Einzelfällen eine Verhaltenstherapie unterstützend wirken. In ihr lernt man, Stress abzubauen, bevor man sich zur Ruhe bettet. Wichtig für Menschen mit Schlafstörungen ist es zudem, auf ausreichende Schlafzeiten zu achten, regelmäßig die Augen zu schließen und eventuell auch ein Mittagsschläfchen einzulegen, um den Schlafdruck herabzusetzen.

Daneben gibt es einige Tipps, die Schlafwandler beherzigen sollten, um Gefahrenquellen aus ihrer Schlafumgebung zu verbannen. Welche das sind, lesen Sie hier.

(wat)
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