Video-Reportage Was bei einer Blutegel-Therapie passiert

Düsseldorf · Blutegel-Therapie? Klingt eklig, gilt jedoch als ein bewährtes Heilmittel in der Naturheilkunde. Der Speichel der Tiere soll Schmerzen und Entzündungen lindern. Unsere Gesundheitsexpertin hat sich eine Blutegel-Behandlung angesehen. Die Therapie im Video.

 Bei der Blutegelbehandlung beißen sich die Tiere an der Haut fest und saugen bis zu zwei Stunden lang Blut.

Bei der Blutegelbehandlung beißen sich die Tiere an der Haut fest und saugen bis zu zwei Stunden lang Blut.

Foto: Shutterstock.com/ sydeen

Ein Egel hat fünf Augenpaare, zwei Mäuler und rund 240 Zähne. Eigentlich eine gruselige Vorstellung, doch die kleinen Tierchen gelten schon seit Jahrhunderten als ein äußerst effektives Heilmittel für verschiedene Leiden.

Normalerweise sitzen sie in Tümpeln, Bächen oder Teichen und setzen sich auf Fröschen und Fischen fest. In ausgewachsener Form bevorzugen sie allerdings Säugetiere — wovon vor allem Wanderer zu ihrem Leidwesen häufig Zeuge werden, wenn sie die bis zu 15 Zentimeter großen Blutsauger plötzlich an Knöcheln, Schienbeinen oder gar an der Leiste finden.

Was die meisten einfach nur anekeln dürfte, kann Doris Pfeil nicht mehr schrecken. Sie kommt zum dritten Mal wegen ihrer Kniegelenks-Arthrose zur Blutegeltherapie in das naturheilmedizinische Zentrum von Dr. Linda Tan. "Am Anfang war es schon ein seltsamer Gedanke, so eine Therapie zu machen", sagt sie. "Vor allem aber, weil die Tiere ja am Ende ihr Leben für mich lassen." Unrecht hat sie damit nicht.

Hirudo medicinalis heißt die spezielle Egelsorte, die Patienten Linderung verschaffen soll. Die Tiere werden kontrolliert in Zuchtteichen kultiviert und dürfen nur ein einziges Mal zum Einsatz gebracht werden. "Diese Richtlinien stellen sicher, dass die Blutegel gesund sind, keine Krankheitserreger tragen und auch keine Bakterien oder Viren von Patient zu Patient übertragen", sagt Dr. Tan.

Die wichtigsten Antworten zur Blutegeltherapie, gibt Dr. Tan in diesem Video:

Die heilsame Wirkung der Blutegel liegt in der Zusammensetzung ihres Speichels. Darin sind über 20 gesundheitsförderliche Substanzen gefunden worden. Die größte Bedeutung schreiben Wissenschaftler den Stoffen Egelin und Hirudin zu.

Egelin wirkt entzündungsfördernden Enzymen entgegen und hemmt in der Folge entzündliche Prozesse im Körper. Außerdem wird der Substanz eine schmerzstillende Wirkung zugeschrieben. Hirudin dagegen hemmt die Blutgerinnung und verursacht somit einen konstanten Blutfluss. Der hält übrigens auch dann noch an, wenn der Blutegel längst abgefallen ist, weshalb diese Therapie auch als eine Form des Auslassverfahrens wie auch der Aderlass gilt. Hirudin soll somit Thrombosen und Embolien entgegenwirken und Gefäßkrämpfe lösen.

Darüber hinaus soll der Wirkstoff die Bildung der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) fördern und somit das Immunsystem stärken. Als wäre das nicht genug, soll er auch den Lymphfluss beschleunigen — wodurch die in der Lymphe gespeicherten Schadstoffe ausgeschleust werden. So überzeugt sind Mediziner und Wissenschaftler von der Substanz, dass Hirudin auch in Tablettenform produziert werden. "Allerdings hat sich gezeigt, dass der isolierte Wirkstoff nicht so effektiv ist wie jener, den der lebende Blutegel abgibt", erklärt Tan. "Das liegt vermutlich daran, dass der Egel ja eine Mischung aus über 200 Wirkstoffen abgibt, und das kann man künstlich nicht so einfach nachbauen."

Dass alleine zwei Stoffe aus dem Speichel des schwarzen Wurms so viele positive Eigenschaften haben, weist bereits darauf hin, dass sich die Therapie für verschiedene Patientenprobleme eignet. Besonders bewährt hat sich das Ansetzen von Hirudo medicinalis bei schmerzhaften Gelenkarthrosen in Knie oder Fuß sowie bei rheumatischen Erkrankungen und chronischen Entzündungen wie etwa eines Schleimbeutels. Thrombosen, Krampfadern und Hämorrhoiden stehen aber ebenfalls auf dem Heilplan der schwarz-braunen Egel.

Was genau bei einer Blutegeltherapie passiert, sehen Sie in diesem Video:

"Weil die Tierchen sehr empfindlich sind, dürfen Patienten vor der Behandlung keine Duftstoffe wie Deo oder auch Duschgel auftragen", sagt Tan. Anbeißen müssen sie an Daumen, Knie oder Fußgelenk letztlich von selbst. Dann folgt ein Geduldsspiel.

Wie lange sich die schwarzen Würmer den Bauch vollschlagen, kann niemand sagen. Eine halbe bis zwei Stunden müssen alle Beteiligten jedoch einrechnen. "Das Interessante ist, dass ich schon nach kurzer Zeit, in der die Egel saugen, eine deutliche Verbesserung am Knie merke", sagt Pfeil. "Die Schmerzen lassen nach, und der Druck im Knie wird weniger." Das ist der Vorteil an der Behandlung: Der Effekt hält lange an. Bei Doris Pfeil verschwinden die Beschwerden für bis zu vier Monate. Andere Patienten Tans sprechen sogar von sechs Monaten mit deutlich reduzierten Schmerzen. Warum das so ist, konnte die Wissenschaft bislang nicht erklären. Der Nachteil ist die Nachblutung.

Wenn die Egel satt, sind lassen sie sich vom Wirt abfallen, und die Wunde blutet stark nach. Eigentlich ist der Effekt gewünscht, weil dadurch Schadstoffe ausgespült werden sollen. Weil die Wunden aber bis zu zwölf Stunden lang nachblutet, sind die Patienten zunächst in ihrer Bewegung eingeschränkt: Autofahren oder größere Strecken laufen kann Pfeil an diesem Tag nicht mehr. Das verhindert allein der dicke Knieverband.

"Patienten, die Blutverdünner nehmen, ist die Blutegeltherapie deswegen nicht zu empfehlen", warnt Tan. "Das gleiche gilt für Patienten mit Diabetes, weil bei ihnen die Wundheilung beeinträchtigt ist." So gut wie alle anderen Schmerzpatienten können den Versuch wagen. 80 Euro müssen Kassenpatienten für die Anwendung aus eigener Tasche berappen. Dafür aber gibt es keinen Behandlungsfahrplan. Wer einmal kommt, ist wie Pfeil im Anschluss meist für eine bestimmte Zeit beschwerdefrei - mit etwas Glück sogar für ein halbes Jahr.

(ham)
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