Wirkung auf den Hormonshaushalt Das unterschätzte Gift im Plastik

Düsseldorf · Die Chemikalie Bisphenol A dient der Stabilität von Hartplastik. Diese Substanz kann auch in den Hormonhaushalt des Menschen eingreifen. Darum wird in Europa über eine Verschärfung der Grenzwerte diskutiert.

Das Zugeständnis der Industrie wirkte auf den Verbraucher wie eine späte Versöhnung zwischen Natur und Chemie. Seit drei Jahren ist die Chemikalie Bisphenol A (BPA) in Plastikfläschchen für Babys in Europa verboten. Doch die Debatte um den Plastikzusatz ist längst nicht vorbei.

BPA ist wichtig für die Herstellung und die Stabilität einiger Kunststoffsorten, meistens Hartplastik. Aber die Substanz kann auch in den Hormonhaushalt des Menschen eingreifen - mit fatalen Folgen: vermutlich werden Sexual- und Gehirnentwicklung gestört, es gibt auch Anzeichen für die Blockade von Enzymen und die Begünstigung anderer schwerer Krankheiten. Die Liste der erhobenen Vorwürfe gegen BPA ist lang - doch die krankmachende Wirkung lässt sich nur schwer nachweisen, wenn unser Körper mit nur geringen Mengen der Chemikalie konfrontiert wird.

In so einer Situation scheint Vorsicht geboten. Derzeit arbeitet die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) an einer Verschärfung des Grenzwertes für die tägliche Aufnahme von PBA. Statt bisher 50 sollen nur noch fünf Mikrogramm in einem Kilo Lebensmittel erlaubt sein. Die EFSA bezeichnet in dem im Januar 2014 veröffentlichten Entwurf das aktuelle Risiko für die menschliche Gesundheit dennoch als gering.

Die regelmäßige Aufnahme von BPA sei heutzutage drei bis fünfmal niedriger als der geplante neue Grenzwert. Im Entwurf steht ein Satz, der die Debatte verändern könnte: Die EFSA kommt nach Auswertung zahlreicher Studien zu dem Schluss, dass es einen Wert gibt, bis zu dem die BPA-Aufnahme unbedenklich ist. Demnach würden Gesundheitsschäden erst bei höheren Mengen auftreten. Umweltverbände wollen schon lange jegliches Risiko ausschließen. Sie fordern ein Verbot der Substanz, aber das wird in absehbarer Zeit nicht zu erreichen sein.

Bei den Babyfläschchen wurde ein anderer Kunststoff oder eine andere Mischung verwendet und die Lebensmittelanalytiker fanden keine BPA-Spuren mehr. Manche Hersteller von Mineralwasser haben auf Flaschen aus Polyethylenterephthalat (PET) umgestellt. Doch diese Lösung scheidet für die Hauptanwendungen der Substanz aus: Der Verbraucher kommt häufiger mit BPA in Berührung als er ahnt: in Mehrweg-Getränkeflaschen, Plastikverpackungen und Essgeschirr aus Polycarbonat-Plastik und in der Epoxid-Innenbeschichtung von Dosen steckt meistens BPA.

Trotz heftiger Kritik fehlt es an Alternativen für die seit 1950 eingesetzte Chemikalie. Zwar gibt es einige Kunststoffsorten, die ohne PBA auskommen. Aber diese sind weniger stabil oder eignen sich schlechter für die Aufbewahrung von Lebensmitteln. Oder sie sondern andere Substanzen ab, die gesundheitsschädlich sein könnten, deren Risiko aber noch nicht ausreichend untersucht wurde. Manche Ersatzmaterialien verdoppelten auch den Preis für die Herstellung der Verpackung.

In Japan wird ein PET-Laminat für die Innenverkleidung der Dosen verwendet, aber das taugt nicht für alle Inhalte. Nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) beträgt der Marktanteil weniger als 40 Prozent. Als in Dänemark Dosen mit einer Substanz auf Polyesterbasis beschichtet wurde, verringerte sich die Haltbarkeit des Doseninhalts. Je aggressiver das Lebensmittel ist, desto häufiger kam es zur Korrosion: Viele Getränke, aber auch Tomaten besitzen einen hohen Säuregehalt, der die Beschichtung angreift. Das Metall verleiht dem Inhalt dann einen schlechten Geschmack. Die Industrie werde keiner Lösung zustimmen, die die Sicherheit der Verbraucher beeinträchtigt, berichtet das BfR. Der Verbraucher seinerseits will auf Plastik und Dosen nicht verzichten. Wenn ein Lebensmittel aus solcher Verpackung anders schmeckt als erwartet, sollte man es nicht mehr essen.

Beispiele aus den USA zeigen, dass die Vermeidung von BPA zu abenteuerlichen Ergebnissen führen kann, über die die Wissenschaftszeitschrift "Nature" berichtet. Eine beliebte Ersatzchemikalie ist das Bisphenol S, dessen chemische Struktur große Ähnlichkeiten zu BPA besitzt. Manche BPS-Produkte werden in den USA sogar als BPA-frei beworben. Dieses Versprechen bewegt sensibilisierte Verbraucher zum Kauf.

Doch nach ersten Analysen der Toxikologen könnte der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben worden sein. Die US-Aufsichtsbehörde FDA hat die Substanz an Zellen von Menschen und Ratten testen lassen. Erste Ergebnisse lassen vermuten, dass beide Chemikalien eine ähnlich schädigende Wirkung besitzen. Die Hersteller verweisen darauf, dass BPS wesentlich schwieriger aus dem Polycarbonat-Plastik herauszulösen sei als sein Verwandter PBA, einige Wissenschaftler bestätigen das. Mit diesem Unterschied rechtfertigen sie den Einsatz als Fortschritt.

(RP)
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