Neuss Musterheim für Demenzkranke in Neuss

Neuss · Mit dem "Memory-Zentrum" wollen die St.-Augustinus-Kliniken modellhaft neue Wege beim Umgang mit altersbedingten Erkrankungen gehen. Unter einem Dach führen sie Beratung, Angehörigenschulung, Pflege, Forschung und Ausbildung zusammen.

Design-Studenten haben Kabinette mit Bewegungsangeboten gestaltet und erforschen nun, wie diese ankommen.

Design-Studenten haben Kabinette mit Bewegungsangeboten gestaltet und erforschen nun, wie diese ankommen.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Was soll man nur auf die Klingel von diesem Neubau schreiben? Krankenhaus? Pflegeheim? Beratungsstelle? Forschungszentrum? Alles wäre richtig, aber jeder Begriff würde nur einen Teil dessen erfassen, was das "Memory-Zentrum" der Neusser St.-Augustinus-Kliniken sein soll: ein Kompetenzzentrum für alle Aspekte rund um das dramatisch an Bedeutung gewinnende Thema Demenz.

Vor fünf Jahren hat der katholische Träger erste Pläne zu diesem 20-Millionen-Euro-Projekt vorgestellt, das mit dem Arbeitstitel "Demenz-Kompetenzzentrum Rheinland" schon Anspruch auf regionale Bedeutung erhob. Inzwischen ist man überzeugt, dass das Haus und sein Konzept bundesweit Beachtung finden werden. Nach fast zwei Jahren Bauzeit wird Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe das "Memory-Zentrum" am 11. Dezember eröffnen, schon im Februar tagt dort erstmals ein wissenschaftlicher Kongress.

Wer sich dem Thema Demenz stellt, erfüllt einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag. Davon ist Christa Bruns überzeugt, die Geschäftsführerin der St.-Augustinus-Seniorenhilfe. 300.000 Menschen in NRW leiden aktuell an einer Demenz oder einer altersbedingten psychischen Erkrankung, 1,5 Millionen sind es bundesweit. Bis 2050 wird sich die Zahl der Demenzkranken in Deutschland, die auf Pflege angewiesen sind, auf 3,5 Millionen erhöhen. "Und das ist noch die optimistische Annahme", sagt Mathias Junggeburth, Leiter des gerontopsychiatrischen Pflegeheims des Trägers, das in das Zentrum integriert und von 40 auf 80 Plätze erweitert wird. Bruns übersetzt: "Jeder wird in seiner Familie oder der Nachbarschaft mit jemandem zu tun haben, der krank verändert ist."

Darauf muss sich die Gesellschaft vorbereiten - und ist es nicht. Wichtige Kurzzeitpflegeplätze gibt es in den Altenheimen nur vereinzelt und eingestreut, sagt Junggeburth, geschützte Stationen für Demenzkranke würden in vielen Heimen nur aus der Not heraus entwickelt. Er vermisse da jede Systematik. Das "Memory-Zentrum" bemüht sich nun genau darum.

 Große Fenster und Balkone, aber auch Innenhöfe und Dachgärten kennzeichnen das Pflegeheim.

Große Fenster und Balkone, aber auch Innenhöfe und Dachgärten kennzeichnen das Pflegeheim.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

"Wichtig ist, die Menschen in einem frühen Stadium der Erkrankung zu erreichen - um dieser entgegenzuwirken und sie nicht so stark zum Ausbruch kommen zu lassen", sagt Bruns. Für Fragen zu Hilfen und Therapien oder zu Anzeichen einer Demenz ist die Beratungsstelle, die mit einem Jahr Vorlauf etabliert wurde, erste Anlaufstelle im Haus. Sie vermittelt nicht zuletzt in Selbsthilfe-, Angehörigen- und Sportgruppen, die an das Zentrum angebunden sind, bietet Vorträge und Schulungsabende an.

Bei zunehmender Vergesslichkeit klärt die Gedächtnissprechstunde der gerontopsychiatrischen Ambulanz auf. Stunden- oder tageweise bietet die Tagesstätte Unterstützung an, längere Begleitung leistet eine Tagesklinik mit 15 Plätzen. Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz sorgen 80 Wohn- und zehn Kurzzeitpflegeplätze sowie ein eigener Palliativbereich für ein Zuhause.

Diagnostik und Therapie der Kranken gehen einher mit einer Qualifizierung ihrer Angehörigen. Um zu zeigen, wie man daheim ein Lebensumfeld für Demenzkranke gestaltet, und um Angehörigen die Pflege zu erleichtern, wurden im Haus eigene Showrooms eingerichtet. Räume voller Anregungen - und in einem findet schon Forschung statt. Die Firma Osram hat ein Lichtsystem entwickelt, das die Lichtverhältnisse im Laufe des Tages und sogar den veränderten Sonnenstand simuliert. "Die spannende Frage für uns ist, ob das positiv Einfluss nimmt auf Menschen mit einem gestörten Tag-Nacht-Rhythmus", sagt Bruns.

So viel wie möglich untersuchen und die Ergebnisse breit streuen - das hat sich Dr. Andrea Kuckert-Wöstheinrich vorgenommen, die Projektleiterin des "Memory-Zentrums". Universitäten selbst für Design sind schon Partner der Einrichtung, in der viele wissenschaftliche Arbeiten entstehen könnten.

(-nau)
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