Jeder Zehnte leidet unter sozialer Phobie Die Angst vor anderen Menschen

Krefeld/Frankfurt a.M. · Angst zu haben, das ist etwas, das uns am Leben hält. Es schützt uns davor, uns unüberlegt lebensbedrohlichen Gefahren auszusetzen. Manche Menschen quält jedoch die unüberwindbare Angst vor anderen.

Das sind die Gründe für krankhafte Schüchternheit
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Foto: dpa

Der Gang in den Supermarkt kann zur Mutprobe werden. Mit dem Einkaufswagen an anderen vorbei die Fleischtheke ansteuern und dort etwas bestellen, die Verkäuferin ansprechen und fragen, wo Spülschwämme zu finden sind oder der Kassiererin mehr als nur wortlos den geforderten Betrag in die Hand zu drücken — all das kann zur Zerreißprobe werden. Für Menschen nämlich die unter einer sozialen Phobie leiden.

Jeder Zehnte hat Angst vor sozialen Kontakten und leidet extrem unter mangelndem Selbstbewusstsein. Das geht weit über das übliche Magengrummeln vor Prüfungen oder Aufregung vor einem Vortrag vor größerer Gruppe hinaus. Jede Begegnung mit fremden Menschen ist eine Herausforderung. Die Soziale Phobie ist eine der häufigsten Zwangsstörungen in Deutschland. Neben Depressionen zählt sie zu den häufigsten psychischen Erkrankungen.

Viele Jugendliche leiden unter extremer Schüchternheit

Das Leid bahnt sich früh an. Schon bei Heranwachsenden zwischen 14 und 20 Jahren sind soziale Phobien weit verbreitet. Zu diesem Ergebnis jedenfalls kommt eine repräsentative Studie der Abteilung Klinische Psychologie der Goethe-Universität Frankfurt. Die Psychologen befragten 600 Jugendliche und fanden bei 13 Prozent Hinweise auf diese Erkrankung.

"60 Augenpaare starren mich an wenn ich an der Tafel was erklären muss. Das halte ich nicht aus. Am liebsten würde ich abhauen." Was dieser Fünfzehnjährige beschreibt, erleben auch betroffene Erwachsene in ähnlicher Form. Sie haben dauerhafte übertriebene Angst vor Begegnungen mit anderen. Besonders schwer tun sich die Betroffenen im Zusammentreffen mit ihnen vollkommen fremden Personen oder in Situationen, in denen sie Leistung erbringen müssen.

"Können sie derartigen Situationen nicht aus dem Weg gehen, sind die Betroffenen oft extrem angespannt und verspüren in Folge ihrer psychischen und körperlichen Anspannung eine Reihe organischer Beschwerden", erklärt Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP) in Krefeld.

Auch der Körper rebelliert

Deutliche Symptome - wie Schwindel, Verkrampfung, Herzrasen oder Übelkeit - sind zugleich ein Unterscheidungsmerkmal zu bloßer Schüchternheit. Letztlich aber entscheidet der persönliche Leidensdruck darüber, wie sehr man durch seine Angst eingeschränkt ist und ob eine behandlungsbedürftige Störung vorliegt.

Auffällig ist, wenn Menschen eine für Außenstehende übersteigerte oder unangemessen starke Angst verspüren, unangenehm aufzufallen, sich ungeschickt anzustellen oder zu versagen. Wie andere sie wahrnehmen könnten, quält Personen mit sozialer Phobie. Ständig fragen sie sich, was andere über sie denken und fürchten eine negative Beurteilung durch andere. Der einzige Ausweg erscheint darin zu liegen, sich einfach zu verkrümeln.

In Folge dessen ziehen sich Menschen, die unter sozialer Phobie leiden meist immer mehr zurück. Sie meiden Situationen, in denen sie auf andere treffen und die ihnen unangenehm sind. Daraus erklärt sich, dass bei Jugendlichen mit einer sozialen Phobie das Risiko sehr hoch ist, die Schule abzubrechen. "Außerdem haben diese Jugendlichen Schwierigkeiten, Freundschaften aufzubauen oder später beruflichen Erfolg zu haben", erklärt Diplom-Psychologin Franziska Schreiber, die das Sozialphobieprojekt in Frankfurt mitbetreute.

Die Flucht aus dem Hexenkessel

Aus dem Hexenkessel der immer stärker werdenden Ängste finden Betroffene nur heraus, wenn sie sich nicht von ihren Ängsten leiten lassen, sondern sich ihnen stellen. "Wie jede Angst kann auch eine soziale Phobie nur dadurch überwunden werden, indem man der angstauslösenden Situation gegenübertritt und das ungünstige Vermeidungsverhalten ablegt", meint Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP) in Krefeld. Patienten, die das nicht schaffen, verstricken sich immer weiter in einen Vermeidungskreislauf und ziehen sich mehr und mehr aus dem gesellschaftlichen Leben zurück.

Soweit aber muss es nicht kommen, wer psychologische Hilfe in Anspruch nimmt, der hat gute Aussichten aus dieser Angst herauszufinden und sie zu überwinden. Denn eine soziale Angst ist eine erworbene oder gelernte Angst. Gerade aus diesem Grund kann sie — so sind sich die Experten einig — gut abgestellt werden, wenn Betroffene daran arbeiten.

"Ängste verliert man, wenn man das tut wovor man Angst hat und dabei erlebt, dass das Befürchtete nicht eintritt und die Sorgen unbegründet waren. Diese Konfrontation mag für Betroffene zwar zunächst schwer vorstellbar sein, ist jedoch ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung", so Psychiaterin Roth-Sackenheim. In der Therapie lernen die Betroffenen, mehr Selbstwertgefühl zu entwickeln und sich selber so zu nehmen, wie sie sind.

Nicht immer kann man auf diese Art und Weise die soziale Phobie in die Verbannung schicken. Eines aber steht für die Andernacher Psychiaterin fest: "Das Problem ist wenigstens so in den Griff zu bekommen, dass der Patient souverän damit umgehen kann und die Störung sein Leben nicht weiter negativ beeinflusst. Eine soziale Phobie ist gut therapierbar."

(wat)
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