Wucherndes Gewebe Endometriose - tückische Krankheit der Frauen

Düsseldorf · Wenn Gewebe, das der Gebärmutter ähnelt, im ganzen Körper zu wachsen beginnt: Endometriose gilt als das Chamäleon der Frauenheilkunde.

Regelschmerzen sind nicht normal und können ein Indiz für Endometriose sein (Symbolbild).

Regelschmerzen sind nicht normal und können ein Indiz für Endometriose sein (Symbolbild).

Foto: Shutterstock/Burak Karademir

Hätte ich früher gewusst, dass ich Endometriose habe, hätte ich mein ganzes Leben anders planen können", sagt Sabine Dorsch (Name von der Redaktion geändert). Gemeinsam mit ihrem Mann hatte sie den Traum, einmal Kinder zu haben. Inzwischen wissen beide, dass es dazu nie kommen wird. Denn sie bekamen die Diagnose Endometriose - zu spät, als dass sich das Blatt noch wenden ließ.

Bei dieser Erkrankung wächst Gewebe, das ähnlich der Gebärmutterschleimhaut ist, an anderen Stellen im Körper. Oft treten diese gutartigen Wucherungen an den Eierstöcken auf, an Darm, Blase, Harnleiter oder Zwerchfell. Genau wie die Gebärmutterschleimhaut unterliegen auch diese Gewebeansammlungen dem weiblichen Zyklus. Sie wachsen und bluten ab.

 So entsteht Endometriose im weiblichen Unterleib.

So entsteht Endometriose im weiblichen Unterleib.

Foto: Zörner

Endometriose zählt zu den häufigsten Unterleibserkrankungen bei Frauen. Dennoch vergehen im Schnitt sechs bis zwölf Jahre bis zur Diagnose, sagt Tanja Fehm, Leiterin des Endometriosezentrums der Uniklinik Düsseldorf. "Sie ist das Chamäleon der Gynäkologie und zeigt sich in vielen Facetten", sagt sie. Wie zum Beispiel die Endometriose in der Gebärmutter-Muskulatur. "Sie wird oft mit Myomen, also gutartigen Muskeltumoren, verwechselt", sagt Ingo von Leffern, Leiter des Endometriosezentrums im Hamburger Albertinen-Krankenhaus.

Auch Sabine Dorsch erlebte eine Odyssee, die für sie und ihren Partner erst nach vielen schmerzhaften Erfahrungen Jahrzehnte später endete. Dabei nahm sie die ersten Symptome der Erkrankung früh wahr. Schon als junges Mädchen litt sie an starken Menstruationsbeschwerden - so wie viele Frauen. Da sie es oftmals nicht anders kennen, nehmen sie die Qualen hin oder erfahren durch ihr Umfeld wenig Verständnis, sagt von Leffern.

Das erlebte auch Sabine Dorsch. Mit 22 Jahren wird die junge Frau trotz anhaltender Beschwerden schwanger. Nach kurzer Zeit fällt auf, dass sich das Ei statt in der Gebärmutter im Eileiter eingenistet hat. In einer Not-OP rettet man ihr Leben. Den betroffenen Eileiter verliert sie.

Während der Menstruation treten Übelkeit und Schwindel auf

"Niemand hinterfragte die Eileiterschwangerschaft", sagt sie, obwohl sie ein Indiz dafür sei, dass etwas nicht stimme. Als nach der Not-Operation die Regelblutung wieder einsetzt, kommen auch die Schmerzen zurück. Starke Blutungen machen Sabine Dorsch zu schaffen. Während der Menstruation leidet sie unter schwerer Übelkeit und Schwindel. Der jungen Frau wird wiederholt schwarz vor Augen. "Ich kann mich erinnern, dass ich mich an Hauswänden anlehnen musste, um von der Arbeit nach Hause zu kommen", sagt sie.

Ingo von Leffern kennt es, dass Betroffene solche Konsequenzen resigniert ertragen. Auch Symptome wie Beschwerden beim Stuhlgang, Schmerzen bei der gynäkologischen Untersuchung oder Krämpfe in Darm oder Blase zählen zu den diffusen Symptomen. Durch monatliche Krankentage könne Endometriose sogar zum Karrierekiller werden. Oftmals herrsche die Auffassung, Regelschmerzen seien normal. "Schmerzen sind nie normal. Erst recht nicht, wenn sie zyklisch auftreten", sagt er. Solche Probleme seien verdächtig und sollten Ärzte an Endometriose denken lassen.

Oft ist Endometriose Ursache für einen unerfüllten Kinderwunsch

Ein Beispiel: Versprengte Schleimhautherde unter der Lunge oder am Zwerchfell können zu Schulterschmerzen führen. Sitzen die Herde im Unterleib, kann das Rückenschmerzen verursachen, die in die Beine ziehen. Sabine Dorsch schildert ihren Ärzten Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. "Man schlug mir vor, es mit Gleitcremes oder anderen Sexstellungen zu versuchen", sagt sie. Fehm kann die Resignation der Frau verstehen. "Häufig werden solche Schmerzen als psychische Erkrankung abgetan."

Heute schaut Sabine Dorsch ungläubig auf die Vielzahl an Symptomen zurück, die sie jahrelang verschiedenen Gynäkologen beschrieb und doch weiter mit sich herumtragen musste. Denn die Reaktion der Ärzte war stets gleich: "Manche Frauen haben einfach eine stärkere Regelblutung."

"In 70 bis 80 Prozent aller Fälle ist eine Endometriose die Ursache für Schmerzen bei der Regel, beim Geschlechtsverkehr und auch für ungewollte Kinderlosigkeit", sagt Fehm. Manche Paare erfahren erst durch die Untersuchung in einem Kinderwunschzentrum von der Endometriose. Bei rund 50 Prozent aller Frauen ist die unerkannte Krankheit die Ursache für den unerfüllten Kinderwunsch, sagt von Leffern.

Der Grund: Die im Körper versprengten Endometriose-Herde lösen Entzündungen aus, die Vernarbungen oder Zysten nach sich ziehen können. Je länger die Erkrankung unerkannt bleibt, desto mehr führt sie zu Verwachsungen und Verklebungen. "Häufig sind die Eileiter betroffen", sagt die Düsseldorfer Endometriose-Expertin. Sie werden undurchlässig und machen eine Schwangerschaft schwierig.

Daneben gibt es weitere Risiken: Eine Darm-Endometriose kann eine Enge am Darm verursachen, die zum Verschluss führt. Die gleiche Problematik kann am Harnleiter einen Stau in der Niere hervorrufen. Entsteht dieser langsam über die Dauer mehrerer Monate, wird die Veränderung oft nicht wahrgenommen. Die Betroffenen laufen Gefahr, eine Niere zu verlieren, sagt von Leffern.

Aus Sorge vor einer weiteren Eileiterschwangerschaft entschließen Sabine Dorsch und ihr Mann sich, kein Risiko einzugehen und sich in einem Kinderwunschzentrum beraten zu lassen. Bei der ersten Untersuchung stellen die Ärzte eine Schwangerschaft fest. Das Paar ist überrascht, aber überglücklich. Doch nach wenigen Wochen muss die Schwangerschaft abgebrochen werden. Der Embryo hat keinen Herzschlag mehr.

Das Wechselbad der Gefühle geht weiter. Eizellen werden entnommen, eine künstliche Befruchtung versucht. Selbst bei dieser Behandlung hat sie Schmerzen. Am Ende ist sie vergeblich. Die befruchtete Eizelle geht ab. Die Gynäkologin rät dem Paar dazu, es weiterhin zu versuchen. Alle Bemühungen sind vergebens. Sabine Dorsch ist inzwischen psychisch schwer mitgenommen und zudem in großer Unruhe über die monatlich starken Blutungen, die sie hat. In ihrer Verzweiflung, medizinisch keine Hilfe zu finden, googelt sie ihre Symptome und stößt selber auf die Erkrankung die sie seit vielen Jahren in sich trägt.

Veränderungen sieht man per Ultraschall oder Bauchspiegelung

Irgendwann drängt sie auf eine Bauchspiegelung (Laparoskopie), ein operatives Verfahren, mit dem sich Endometriose am besten diagnostizieren lässt. "Manchmal kann man Veränderungen auch im Ultraschall sehen oder sogar Ertasten", sagt von Leffern. Doch als zuverlässigste Diagnosemöglichkeit gilt die Bauchspiegelung.

Das Ergebnis: "Man sagte mir, dass die Erkrankung so weit fortgeschritten und die Verklebungen so groß seien, dass man nichts mehr tun könne." Inzwischen ist Sabine Dorsch 34 Jahre alt. Nur durch einen Zufall stößt sie auf ein Endometriosezentrum in der Nähe. Es liegt nur einen Kilometer Luftlinie von dem Krankenhaus entfernt, in dem die Bauchspiegelung stattgefunden hat. Einen Hinweis auf das Spezialzentrum hat sie nie bekommen.

Das wuchernde Gewebe wird überall entfernt, wo man es findet

Dort untersucht man sie. "Zum ersten Mal hat mir dort ein Arzt gesagt, dass er meine Schmerzen verstehen kann. Neben Wucherungen am Eierstock hat sie auch Gewebsansammlungen am Harnleiter, der ihr selbst beim Sitzen Schmerzen bereitet. In einem operativen Eingriff, einer sogenannten Endometriose-Sanierung, entfernt man das wuchernde Gewebe an allen Stellen im Körper, die man gefunden hat.

Dabei werden die Herde weggeschnitten oder verkocht, sagt Fehm. Bleiben jedoch nur mikroskopisch kleine Ansammlungen lebensfähiger Zellen über, ist es möglich, dass die Betroffenen erneut erkranken. In den ersten drei Jahren passiert das laut von Leffern bei einem Drittel der Frauen. Durch die Dauereinnahme einer Antibaby-Pille, das Einsetzen einer Hormonspirale oder die Gabe von Gestagenprodukten versucht man das zu verhindern. Denn diese sorgen dafür, dass die Schleimhaut bei der Monatsblutung nicht abgebaut und abgestoßen wird.

"Besteht eine Endometriose, die keine Beschwerden verursacht, und es besteht kein Kinderwunsch, beobachtet man diese weiter und wartet ab", sagt Fehm. Im Fall sehr starker Beschwerden kann laut den Experten nach Abschluss der Familienplanung auch eine Gebärmutterentfernung sinnvoll sein.

(wat)
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