Ausgerottet geglaubte Krankheiten kehren zurück Europa droht Polio-Gefahr aus Syrien

Düsseldorf/Amman · Ausgerottet geglaubte Krankheiten kehren in den Nahen Osten zurück. Jetzt werden 20 Millionen Kinder geimpft.

Ausgerottet geglaubte Krankheiten kehren zurück: Europa droht Polio-Gefahr aus Syrien
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Europa könnte eine neue Polio-Epidemie drohen, warnen deutsche Mediziner. Grund dafür ist ein Ausbruch der Kinderlähmung in Syrien. Es besteht die Gefahr, dass der Erreger mit syrischen Flüchtlingen oder Touristen aus dem Nahen Osten nach Europa eingeschleppt wird. In vielen Ländern der EU wird zwar gegen Polio geimpft, der heute verwendete Impfstoff schützt aber nur teilweise.

Wenn man bisher von Syriens biologischen Waffen sprach, meinte man die Erreger, die das Regime in Kasernen lagert. Doch die Entdeckung, dass 13 Personen im Osten des Landes an Polio erkrankten, weckt weltweit Angst vor dem Ausbruch einer neuen Epidemie der verheerenden Nervenkrankheit, die innerhalb von Stunden zu Lähmung und Tod führen kann.

Und das just zu einem Zeitpunkt, an dem die Weltgesundheitsorganisation sich nahe einem endgültigen Sieg über Polio wähnte. Die Krankheit galt als ausgerottet, 14 Jahre lang war kein einziger Fall registriert worden. Angesichts des Flüchtlingsstroms aus Syrien — täglich fliehen rund 4000 Menschen vor dem Krieg — fürchtet man nun auch in Nachbarländern den Ausbruch einer neuen Epidemie.

Unicef, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, hat eine in der Geschichte beispiellose Impfaktion in der Region gestartet: 20 Millionen Kinder in Syrien und Jordanien, im Libanon, in der Türkei und den palästinensischen Gebieten sollen in den nächsten Wochen die sie schützende Schluckimpfung gegen die verheerende Krankheit bekommen.

Im Libanon und in Jordanien leben inzwischen hunderttausende syrische Flüchtlinge, doch nur ein Teil von ihnen ist registriert und hat Zugang zum Gesundheitssystem. Dabei liegt der Ursprung der neuen Welle von Polio-Fällen gar nicht in Syrien. Polio-Viren wurden erstmals im Dezember 2012 in Kairo gefunden.

Das Virus war — so das Resultat genetischer Analysen — aus Pakistan dorthin gelangt. Von dort verbreitet sich die Krankheit nun anscheinend in die gesamte Region: "Laut unseren Informationen wurde der Erreger aus Ägypten nach Syrien eingeschleppt", sagt Itamar Grotto, Direktor für öffentliche Gesundheit in Israels Gesundheitsministerium. Israel verfolgt die Entwicklung intensiv, denn auch dort wurden bereits im Sommer Viren entdeckt, die ebenfalls aus Ägypten kamen.

In Israels Süden sollen fünf Prozent der Beduinenkinder bereits mit dem Virus infiziert sein. Krankheitsfälle wurden jedoch nicht bekannt. Auch im Gazastreifen und im Westjordanland tauchte das Virus bald auf. Israel begann deshalb ein gewaltiges Impfprogramm: Seit 2003 wird dort nur noch mit dem getöteten Virus (IPV-Impfung) geimpft, da die Krankheit im Prinzip ausgerottet war. Doch diese Impfung schützt nur vor Krankheit, nicht vor Ansteckung und Verbreitung des Virus.

In den vergangenen Wochen erhielt fast eine Million israelische Kinder das OPV — eine abgeschwächte Form des Virus, die mehr Risiken birgt, aber auch besseren Schutz bringt. Für die Weltgesundheitsorganisation ist der neue Ausbruch ein Rückschlag. Dank eines umfassenden Programms hatte man dort gehofft, Polio bis 2015 auszurotten. Im Jahr 2012 gab es weltweit nur 223 Fälle — im Vergleich zu mehr als 350 000 noch vor 20 Jahren.

Flucht und Vertreibung, unhygienische Verhältnisse, schlechtes Wasser oder Waseien ein Nährboden für Keime, Bakterien und Viren. Das Polio-Virus wächst im Kot und überträgt sich rapide durch Körperkontakt. Jeder Fall von Kinderlähmung kann 200 Folgefälle verursachen.

Neben Fieber, Hals- und Kopfschmerzen kann es zu bleibenden Lähmungen der Arm- oder Beinmuskulatur, schlimmstenfalls zu Lähmungen der Sprech-, Schluck- oder Atemmuskulatur kommen. Weder die Erkrankung selbst noch das Post-Polio-Syndrom könneb behandelt werden.

(RP)
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