Sucht nach Sozialen Netzwerken Gefährlicher als Alkohol und Zigaretten

Düsseldorf · Marlboro und Whisky sind nichts gegen Facebook und Co. Wer gleich nach dem Aufstehen erst mal Facebook checkt oder die Welt mit einem ersten Tweet beglückt, auch während der Arbeit gerne mal eben mal den Freunden was postet und die Nacht mit einem gemütlichen Chat beendet, der ist krank. Social Media sind zur Sucht geworden.

Das sind sichere Zeichen für eine Onlinesucht
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Foto: gms

Der mobile Datenaustausch nimmt zu, Followen und Liken gehören zum deutschen Sprachgebrauch und auch der Bewerbungsprozess um heißbegehrte Stellen hat sich durch die Social Networks längst verändert. Viele sind immer online, wenn nicht beruflich, dann privat. Mehr als die Hälfte der Menschen kommunizieren öfter online miteinander als im wirklichen Leben. Mit gravierenden Folgen: Immer mehr Menschen sind internetsüchtig, süchtig nach Sozialen Netzwerken.

Der Verzicht darauf kann suchtartige Entzugserscheinungen hervorrufen, so belegt es eine amerikanisch Studie von Forschern der Universität in Maryland. Zeigen kann sich die Facebook-Sucht sogar körperlich. Betroffene fangen an zu schwitzen, sie zittern, wirken verzweifelt und ängstlich, sind unruhig und extrem nervös, so wie es auch Drogen- und Alkoholsüchtige bei Entzug ihrer Rauschmittel sind.

Körperliche Entzugserscheinungen

Die Süchtigen sind in ihrem Denken und Handeln allein auf ihren Konsum fokussiert und werden leicht aggressiv. Sie vernachlässigen ihre beruflichen und privaten Verpflichtungen, ihre nicht-virtuellen sozialen Kontakte und ihre körperlichen Bedürfnisse wie Schlaf, Essen und auch die Hygiene. Sie können die Zeit, die sie online verbringen, nicht mehr kontrollieren. Sie fristen ihr Leben in einem Käfig, der sie zum twittern zwingt oder zum dauernden Facebook checken.

Die Online-Möglichkeiten sind schon jetzt unüberschaubar: Shoppen, surfen, recherchieren, spielen, mailen, bloggen oder Netzwerke pflegen — das Internet lässt sich immer facettenreicher nutzen. Mancher schafft es nicht mehr, seine Online-Zeit zu begrenzen und gezielt online zu arbeiten. Daraus ergeben sich weitere Probleme wie solche mit der Familie oder Partnern, die sich vernachlässigt fühlen. Manche riskieren ihren Job durch das unkontrollierbare Verlangen oder scheitern im Studium und in der Ausbildung.

Viele gefährden ihr reales Leben

In der Schweiz sperrte der Sozial- und Wirtschaftspsychologe Dominik Orth Facebook-Nutzern vor ihren Augen die Zugänge, um herauszufinden, wie sehr die Online-Nutzung ins reale Leben reicht und es gefährdet. Das Ergebnis: Manche der Probanden verglichen das Gefühl, dass sie bei der Sperrung ihres Zugangs verspürten, als vergleichbar damit, als sei ihre Mutter gestorben. Nach den Ergebnissen einer Studie der Universität Chicago ist das Verlangen nach Social Networks größer als das nach Nikotin oder Alkohol. Die dort untersuchten 205 Probanden würden für das Login viele Dinge des Alltags vernachlässigen. Nur das Bedürfnis nach Schlaf und Sex war nach Angaben der Forscher größer.

Mehr als die Hälfte aller Studenten und rund zwei Drittel der jungen Arbeitnehmer in den USA können sich ein Leben ohne Internet nicht mehr vorstellen. Rund 40 Prozent gaben an, dass ihnen die Social Networks wichtiger sind, als mit Freunden auszugehen. Fast die Hälfte der jungen Leute, die befragt wurden, findet das Internet fast genauso wichtig wie Luft, Nahrung, Wasser und eine Unterkunft. Das ergab der Technologie-Report des Netzwerkplaners Cisco. Und glaubt man den Unternehmen, die solchen Datenverkehr durch ihre Netzwerklösungen möglich machen, dann wird sich die Welt weiter gravierend revolutionieren.

Kann man Online-Sucht behandeln?

Dem aktuellen Cisco-Report lässt sich entnehmen, dass der mobile Datenverkehr weiter drastisch steigen wird. Bis 2016 soll dieser Datenaustausch um das 21-fache steigen. Wir bewegen uns dann in neuen Dimensionen, deren Bezeichnungen uns Gigabyte-Erprobte heute noch unvorstellbar scheinen: 393 Petabyte — ein Petabyte entspricht einer Million Gigabyte — werden dann monatlich durch Datenaustausch hin und her geschoben.

Der Markt ist also vorbereitet, doch sind es die Ärzte und Psychologen angesichts der steigenden Zahl Online-Süchtiger auch? In Mainz scheint das der Fall zu sein. Zwar ist die Therapie der Internet- und Computerspielsucht noch ein sehr junges Behandlungsfeld, doch forscht, berät und behandelt man u.a. in der Klinik für Psychosomatische Medizin der Universität Mainz schon seit 2008 auf dem Gebiet der Verhaltenssüchte. Gerade erst startete dort eine Studie zur Internet- und Spielsucht, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird und bis 2014 laufen wird. Insgesamt gibt es deutschlandweit derzeit nur wenige Einrichtungen, die über spezielle Therapieangebote verfügen.

Ziel der Mainzer Studie ist es, die aktuell bestehende Versorgungslücke in den beteiligten Regionen zu schließen und Betroffenen die notwendige professionelle Hilfe anzubieten. Dabei geht es den Fachleuten nicht um einen völligen, dauerhaften Entzug des Suchtgegenstandes Internet, sondern darum, die Ursachen für die Verhaltenssucht zu behandeln und einen selbstverantwortlichen Umgang mit dem Medium Internet zu erreichen.

Cybermobbing, Depression und Burn-out

Geholfen werden kann in der Mainzer Ambulanz aber all denen nicht, die die Sozialen Netzwerke in anderer Hinsicht krank macht. Viele leiden unter depressiven Verstimmungen, wenn auf eigene Statusmeldungen kein "gefällt mir" oder Kommentare folgen. Andere werden gemobbt, Experten fürchten, dass sich sogar Burn-outs daraus ergeben könnten, dass Menschen den Spagat nicht mehr schaffen, verschiedenen Identitäten in Social Networks gerecht zu werden und gleichzeitig auch den Anforderungen des realen Lebens.

Hilfe, um sich vor den Gefahren zu schützen, findet man u.a. bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Sie setzt bei der Prävention an und hat speziell für Eltern einen Ratgeber zur vernünftigen Nutzung von Computerspielen und Social-Networks herausgegeben. Jugendliche und Erwachsene finden in Fragen rund um die Online-Sucht Hilfe unter www.onlinesucht.de. Hilfe findet man auch in einigen Fachkliniken, die ihre Schwerpunkte in den psychosomatischen oder psychiatrischen Ambulanzen ausgeweitet haben. So zum Beispiel in der Uniklinik in Mainz, dem Institut für medizinische Psychologie der Charité Berlin oder der Drogenambulanz der Uniklinik Hamburg-Eppendorf.

(wat)
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