Ursprung und Therapie Woher kommt der Haarausfall?

Düsseldorf · Der Volksmund kennt den Zusammenhang zwischen Psyche und Haar. So raufen wir uns etwa sinnbildlich die Haare, wenn etwas schief läuft. Bei vielen nimmt dieses Sprichwort jedoch in Form von massivem Haarausfall reale Gestalt an. Wir erklären wie der Haarverlust entsteht, und was Sie tun können.

 Stress versetzt nicht nur den Körper in Alarmbereitschaft, sondern kann auch ein Grund für Haarausfall sein.

Stress versetzt nicht nur den Körper in Alarmbereitschaft, sondern kann auch ein Grund für Haarausfall sein.

Foto: Shutterstock/Image Point Fr

100.000 Haare zieren den Kopf. Kaum kann es einen in Anbetracht solcher Masse stören, wenn davon einige abhanden kommen. Täglich sind es im Durchschnitt 80 bis 100 Stück, die manchmal sichtbar auf flauschigen Pullovern oder dunklen Jackets kleben bleiben oder nach der morgendlichen Kopfwäsche durch den Abfluss ins Nirwana gurgeln. Das ist normal.

Ihr Ende ist in der Regel absehbar: Nach vier Jahren fest verankerter Zeit auf der Kopfhaut fällt ein Haar aus. Zuvor hat es monatlich rund zehn Millimeter an Länge gewonnen und das Haupt nett zurechtgemacht zu freudigen Anlässen oder lustlos akzeptiert zu traurigen Momenten geziert.

Was war zuerst: Psycholast oder Haarausfall?

Es scheinen vor allem die wenig erfreulichen und belastenden Momente zu sein, die mitunter dazu beitragen können, dass sich die Haarpracht plötzlich und massiv dünne macht. Denn neben genetischen Einflüssen, organischen Ursachen wie Schilddrüsenerkrankungen, die Einnahme bestimmter Medikamente wie zum Beispiel dem Blutverdünner Macumar, Mangelernährung oder chronischen Darmerkrankungen sind es vor allem psychische und psychosomatische Gründe, die eine Gefahr für das Haupthaar darstellen. Alopecia areata oder diffusen Haarausfall nennt man den plötzlichen, oft kreisrunden Haarverlust, der nicht nur psychische Ursachen haben kann, sondern umgekehrt auch wiederum zum psychischen Problem erwachsen kann.

Haarausfall, der seine Grundlage in seelischen Störungen hat, kommt nach Informationen der Hardtwaldklinik in Bad Zwesten häufig vor. Alle Zahlen, die versuchen das Phänomen fassbar zu machen, sind jedoch lediglich Schätzwerte. Haarspezialist Prof. Gerhard A. Lutz aus Wesseling geht davon aus, dass ein Drittel der Frauen Haarausfall, beziehungsweise lichteres Haupthaar haben. 75 Prozent der Männer seien von einer Glatzenbildung betroffen, sagt Dermatologe Prof. Volker Steinkraus aus Hamburg. Bei ihnen liegt in der Regel ein hormonell-anlagebedingter Haarverlust vor, der ebenso wie der psychosomatisch bedingte den Betroffenen in der Regel sehr zu schaffen macht.

Psychischer Druck hinter Balkendiagrammen versteckt

Das kommt nicht von ungefähr. Kulturhistorisch galt das Haar als Sitz der Psyche und Lebenskraft galten und als Sinnbild für Macht und körperliche Stärke. Bis heute ist die Haarpracht äußeres Zeichen von Individualität, Sexappeal, Gesundheit und Persönlichkeit. Über sein Haarkleid sendet ein Mensch ebenso Signale wie über sein Outfit. Schon ein Bad-Hair-Day, an dem die Harre lustlos am Kopf zu kleben scheinen oder unbezwingbar allen Frisierversuchen standhalten, kann dazu beitragen, die Stimmung für den ganzen Tag zu vermasseln. Das mag verständlicher machen, warum der krasse Verlust der Haarpracht Betroffene verzweifeln lassen kann und mitunter sogar in schwerste Depressionen führt.

Über Wochen akribisch gemalte, bunte Balkendiagramme oder mehrmals täglich aktualisierte Excel-Tabellen lassen den Leidensdruck der Menschen erahnen, deren Haupthaar nicht mehr so üppig wächst wie es ehedem der Fall war. Ganz genau untersuchen die Betroffenen mitunter jedes ausgefallene Haar, das ihnen zwischen die Finger kommt, um zu ermitteln, ob es mitsamt der Wurzel ausgefallen ist oder ohne. Denn nur solange die Wurzel in der Kopfhaut verbleibt, kann daraus ein neues wachsen. Manchen rührt die Sorge um sein Haar derart an, dass sich daraus ein Teufelskreis erwachsen kann. Wenn sich die eigene Welt nur noch um das zu drehen scheint, was anderen ohne Zutun aus dem Kopf sprießt, kann das Stress erzeugen, der sich auch wieder negativ auf das Wachstum auswirken kann.

Neues Medikament gegen Haarausfall entdeckt

Wenig weiß man allerdings über die Vorgänge hinter einer Alopecia areatar, die dazu führen, dass Menschen die Haare ausgehen. Einig ist sich die Wissenschaft allerdings darüber, dass Dauerdruck das Immunsystem schwächt. In Folg edessen, kann es dazu kommen, dass der Körper eine Autoimmunreaktion, also Abwehrhaltung des Körpers gegen sich selbst auslöst.Sie führt dazu, dass körpereigene T-Zellen die eigenen Haarwurzeln als fremde Eindringlinge erkennen und gegen sie vorgehen. In Folge dessen verlieren die Betroffenen gleich massenhaft ankerlose Haare.

Bei einer Studie der Columbia Universität in New York behandelten die Forscher Versuchsmäusen und auch drei Patienten, die unter diffusem Haarausfall litten ein Medikament mit dem Wirkstoff Ruxolitinib. Es wird bislang bei der Knochenmarkserkrankung Myelofibrose eingesetzt und hemmt bestimmte Enzyme, die bei der Blutbildung im Immunsystem eine tragende Rolle einnehmen. Der Effekt dieser Behandlung zeigte sich nach fünf Monaten. Selbst an Stellen, die vollkommen kahl waren, wuchsen wieder Haare nach. Aufgrund der geringen Probandenzahl lässt sich die Wirkung aber nicht verallgemeinern. Unerwähnt bleiben in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bislang auch mögliche Nebenwirkungen wie Schwindel, Kopfschmerz, erhöhter Blutdruck oder die Verminderung der Blutplättchen.

Psychotherapie als "Haarwuchsmittel"

Bewirkt hingegen emotionaler Stress und seelische Belastungssituationen den Haarverlust, kann eine Psychotherapie der Weg zurück zu vollem Schopf sein. Meist sind es nicht kurze und heftige Belastungssituationen die Auslöser, sondern "oft länger bestehende Probleme", so die Hardtwaldklinik. Die Ärzte beobachten zudem, dass es häufig schüchterne, ängstliche oder depressive Menschen trifft, die unter Minderwertigkeitsgefühlen leiden oder mit dieser körperlichen Reaktion symbolisch und nicht steuerbar auf einen Verlust reagieren.

Gerade für sie ist die körperliche Veränderung schwer zu verarbeiten. Werden Betroffene damit nicht fertig, kann der Ausfall der Haare immer weitere Kreise ziehen und neben der Kopfbehaarung auch Wimpern oder Augenbrauen schwinden lassen. Mit psychoanalytisch orientierten Therapien können Selbstsicherheitsschulungen oder Entspannungstechniken eine sinnvolle Ergänzung darstellen. Beides hilft den Betroffenen die einschneidende Situation besser zu akzeptieren und gehört in einigen dermatologischen Kliniken zum Behandlungsangebot. Für die Patienten kann eine solche Therapie ein Schlüsselmoment sein, denn es ist ihre Chance, aktiv mitzuarbeiten und ein Ventil zu finden.

(wat)
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