Häufige Halsschmerzen Wann eine Mandel-OP nötig ist und wann nicht

Schmerzt es im Hals, kann das Zeichen einer Mandelentzündung sein. Mehr als 100.000 Mal im Jahr wird diese Diagnose gestellt. Warum die Ärzte heute oft von einer Mandelentfernung abraten, seltener operieren als gedacht und meist nicht einmal ein Antibiotikum verordnen müssten, lesen Sie hier.

 Alleine durch den Blick in den Hals kann der Arzt nicht ausmachen, ob eine Mandelentzündung durch Bakterien ausgelöst ist.

Alleine durch den Blick in den Hals kann der Arzt nicht ausmachen, ob eine Mandelentzündung durch Bakterien ausgelöst ist.

Foto: Shutterstock/BravissimoS

Es kratzt und brennt furchtbar im Hals, das Schlucken ist eine Qual und dann kommt auch noch Fieber hinzu. Noch vor wenigen Jahren war bei solchen Symptomen für viele Hausärzte und selbst Hals-Nasen-Ohrenärzte die Diagnose "Mandelentzündung" schnell gestellt. Besonders bei Kindern, deren Immunsystem noch nicht voll ausgereift und damit anfälliger für solche Infekte ist als das der Erwachsenen.

Beim fünfjährigen Paul ist das jetzt schon zum dritten Mal innerhalb weniger Monate der Fall. Das Schlucken tut weh, beim Blick in den Hals zeigen sich Eiterstippchen auf den Gaumenmandeln und die Temperatur ist schon auf 39 Grad Celsius geklettert.

In NRW ist Mandel-OP noch 2012 keine Seltenheit

Noch vor wenigen Jahren hätten die Ärzte dazu geraten, die entzündeten Mandeln herauszuoperieren. Wie häufig, zeigt eine groß angelegte Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2013. Für sie verglich man die Zeiträume zwischen 2007 und 2010 kam zu dem Schluss: Die Entfernung der Gaumenmandeln ist die häufigste vollstationäre Operation im Kindes- und Jugendalter unter Vollnarkose. Was jedoch auffiel: mancherorts wird deutlich mehr operiert als anderswo. In Düsseldorf statistische 56,79 Kinder von 10.000, in Berlin hingegen nur 27. Düsseldorf liegt in dieser Studie über dem Bundesdurchschnitt (47,67 Kinder von 10.000) und selbst über dem von NRW (50,18). Noch höher waren beispielsweise die Eingriffszahlen in Duisburg, Wesel, dem Rhein-Kreis Neuss und Mönchengladbach.

Warum Experten von einer Mandel-OP abraten

Heute ist man mit der vollständigen Entfernung zurückhaltender. Das zeigt auch eine weitere Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2015. Auch in NRW sind die Zahlen zwischen 2010 und 2012 leicht rückläufig. Allerdings führen Experten ein Drittel des Fallrückgangs darauf zurück, dass hier zu diesem Zeitpunkt weniger Kinder lebten als im Vergleichszeitraum zuvor.

Dennoch setzt sich langsam — unter Ärzten und sehr viel schwerfälliger unter den Patienten — die Überzeugung durch, dass nicht bei jeder Mandelentzündung gleich operiert werden muss ."Unter zehn Patienten sind immer noch zwei, die eine Mandelentfernung für die bessere Lösung halten", sagt Jochen Windfuhr, Chefarzt der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde im Mönchengladbacher Krankenhaus Maria-Hilf. Doch die birgt neben der Narkosegefahr weitere Risiken. Das gefürchtetste Risiko: Die Nachblutung. "Diese Blutungen können tödlich enden. Auch heute noch können Menschen daran verbluten", gibt der Mönchengladbacher Spezialist zu bedenken. "Aus diesem Grund sind Mandelentfernungen keine Bagatelloperationen, was vielen Menschen so nicht klar ist."

Noch zwei bis drei Wochen später, wenn die Operation längst vergessen ist und der Patient wieder zu Hause ist, kann es nachbluten. Windfuhr selbst erinnert sich an zwei Todesfälle bei Kindern. In einem waren die Eltern abends zum Tanzen gegangen.

Die fast schmerzfreie Alternative

Selbst wenn es nicht zu solch schlimmen Zwischenfällen kommt, gilt die Mandelentfernung als sehr schmerzhaft. Kaum Schmerzen verursacht hingegen die mit dem Laser durchgeführte Teilentfernung oder Verkleinerung der Mandeln, mit medizinischem Fachausdruck auch Tonsillotomie. Veraltete Auffassungen jedoch führten lange dazu, diese zu verteufeln. Lange seien Patienten in dem Glauben groß geworden "Mandeln müssen raus". "Auch die Krankenkassen wollten bis 2008 die Kosten bis zum Jahr 2008 nicht übernehmen. Doch die Studienlage dazu ist erdrückend", sagt der HNO. So ist Kostenübernahme einer ungefährlichen Teilentfernung heute für die Kassen kein Thema mehr.

Wann aber wird sie nötig? In Folge bakterieller oder virusbedingter Infekte schwellen die Mandeln an und bereiten dann vor allem Kindern Schluck- oder gar Atemprobleme. Durch eine Verkleinerung kann man das beheben. Der Vorteil einer Verkleinerung: die kleinen Zäpfchen, die links und rechts als Schutzwall gegen Eindringlinge von außen im Rachen liegen, bleiben grundsätzlich erhalte. Das ist von Bedeutung, weil sie eine wichtige Rolle im Immunsystem wahrnehmen.

Die tiefen Ausbuchtungen und spaltförmigen Einsenkungen sorgen nämlich nicht nur für ein zerklüftetes Aussehen, sondern vergrößern ihre Oberfläche. Dort sammeln sich nach Informationen des Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohrenärzte unter anderem Speisereste und Bakterien, mit denen sich die weißen Blutkörperchen auseinandersetzen. Das schult das Immunsystem und macht das zäpfchenförmige lymphatische Gewebe bis zur Ausreifung des Immunsystems im Alter von etwa sechs Jahren zu einer wichtigen Selbstschutzeinrichtung des Körpers.

Warum bei Mandelentzündungen meist ein Antibiotikum nichts bringt

Manchmal aber versagt sie und schädliche Viren oder Bakterien gewinnen die Oberhand. Was viele jedoch nicht wissen: "70 bis 95 Prozent der akuten Mandelentzündungen sind durch Viren ausgelöst. Dann ein Antibiotikum zu verschreiben nützt nichts", sagt Wundfuhr. Denn Antibiotika sind in der Lage Bakterien abzutöten. Ist eine Mandelentzündung also durch Streptokokken verursacht, sind sie das Mittel der Wahl. Gegen Viren jedoch richten sie nichts aus. Allerdings sei dies nicht alleine durch den Blick des Arztes in den Rachen des Patienten zu erkennen.

"Oft erkennt man einen Virusinfekt schon an anderen Anzeichen. Hustet jemand ausdauernd, ist eine Mandelentzündung unwahrscheinlich", sagt der Mönchengladbacher HNO. Denn Husten sei ein typisches Symptom einer viral bedingten Erkältung. Eine neue Leitlinie zum Thema Mandelentzündung, die Windfuhr im Jahr 2015 mit auf den Weg gebracht hat, gibt Ärzten Hilfestellung bei der Beurteilung und Therapie der Krankheit. Darin werden für Symptome wie Fieber, Husten oder Lymphknotenschwellung Punkte vergeben. "Erst ab einem bestimmten Punktewert wir die Gabe eines Antibiotikums empfohlen", sagt der Experte. Zusätzliche Untersuchungen wie zum Beispiel ein Rachenabstrich sind dadurch nur noch in wenigen Einzelfällen nötig.

Wann eine Mandelentfernung in Frage kommt

Wann eine Mandelentfernung sinnvoll ist entscheidet der HNO unter anderem nach der Zahl der Halsschmerzepisoden in den letzten zwölf Monaten. Kommt es innerhalb dieser Zeit zu weniger als drei Mandelentzündungen, rät die Leitlinie von einer Operation ab. Bei drei bis fünf Episoden wird die Mandelentfernung als mögliche Option betrachtet, wenn sich innerhalb der nächsten sechs Monate weitere Episoden ereignen sollten. Erst ab sechs Mandelentzündungen im vorausgegangenen Jahr scheint die vollständige Mandelentfernung, auch Tonsillektomie genannt, laut Informationen der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie vorteilhaft zu sein.

"In den letzten sechs Jahren hat sich die Zahl der Operationen enorm verringert", sagt Jochen Windfuhr — in Mönchengladbach weiß er das ganz sicher. Um belastbare Zahlen für ganz NRW oder gar ganz Deutschland zu erhalten, wäre eine weitere kostenintensive Studie nach dem Vorbild der Bertelsmann-Studien nötig.

(wat)
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