Autoimmunerkrankung Hashimoto – unheilbarer Angriff auf die Schilddrüse

Düsseldorf · Obwohl sie die häufigste Autoimmunerkrankung beim Menschen ist, wissen viele Ärzte verblüffend wenig über die unheilbare Schilddrüsenerkrankung Hashimoto. Betroffene werden oft als psychisch angeschlagen abgestempelt, andere bangen unter der Angst einen Hirntumor zu haben oder Multiple Sklerose. Das verbirgt sich hinter der mysteriösen Krankheit.

Zehn Fakten über die Schilddrüse
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Foto: Shutterstock.com / Andrey_Popov

Der Abend hätte so entspannt sein können. Kurz bevor sich Sabine W. im Wohnzimmer auf die Couch lümmeln will, spürt sie wie sie aus heiterem Himmel ein Schwindelgefühl überkommt. Im nächsten Augenblick erscheint ihr die Welt vollkommen unwirklich, die Lippen beginnen zu kribbeln, dann auch Arme und Beine. Die junge Frau hat das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden. Das Herz wummert wie verrückt in ihrer Brust, mit Not rettet sie sich aufs Sofa und streckt sich aus. Vollkommen verunsichert darüber was da gerade mit ihr passiert, von Schweißausbrüchen geplagt, die Panik in den Adern. Angst, sterben zu müssen.

Zwei solcher Attacken erlebt sie, dann vertraut sie sich einem Mediziner an. Bis sie ihre Diagnose hat, vergehen bange Wochen und die Reise von Arzt zu Arzt. Sabine W. hat in dieser Zeit nicht das Gefühl sie selbst zu sein. Sie lebt in Unbehagen, fühlt sich von einem unguten Gefühl verfolgt, das regelmäßig in Panikattacken mündet. Einmal auf der Autobahn, als sie mit ihren Kindern gemeinsam unterwegs ist. Mit großer Disziplin versucht sie sich zu beherrschen und die Kontrolle zu bewahren.

Eine Krankheit mit vielen Gesichtern

Die Diagnose Hashimoto-Thyreoiditis, die sie nach Monaten Ursachenforschung erhält, lässt ihr verrückter Weise einen Stein vom Herzen fallen. Es ist, als könne sie dem Feind nun wieder wachen Geistes ins Auge schauen. Und das, obwohl es sich um eine unheilbare Krankheit handelt, die häufig schwer zu therapieren ist. Denn die Schilddrüsenerkrankung zeigt sich mit vielen Gesichtern und vielen Schweregraden.

So kann schon der Beginn der so exotisch klingenden Erkrankung höchst verschieden sein. Manchmal kommt er schleichend und unbemerkt, manchmal – wie bei Sabine W. – wie mit einem Paukenschlag. Die meisten Betroffenen allerdings eint eine lange Arztodyssee bis zur erlösenden Diagnose. Schätzungen, die der Arzt Eberhard J. Wormer in seinem Buch "Hashimoto" nennt, gehen von drei bis zehn Prozent Erkrankten in der Bevölkerung aus.

Bevorzugt trifft die unheilbare Krankheit, bei der sich die Schilddrüse nach und nach selbst zerstört, Frauen im Alter zwischen 30 und 60 Jahren. Oft kommt sie familiär gehäuft vor und bricht in Lebensphasen der hormonellen Umstellung aus: Pubertät, Schwangerschaft, Wechseljahre oder chronische Stressbelastungen zählen als Auslöser. Auch Gluten steht unter Generalverdacht, bei Hashimoto-Patienten eine Immunreaktion gegen die Schilddrüse hervorzurufen. Das Klebereiweiß steckt in Getreideprodukten, vor allem in Weizen.

Wie der Körper sich selbst attackiert

Eine Fehlfunktion des Immunsystems führt dazu, dass das körpereigene Schilddrüsengewebe von Immunzellen attackiert und geschädigt wird. Meist verläuft das schubweise. Durch Entzündungen der Schilddrüse bilden sich bindegewebartige Veränderungen. Das schmetterlingsförmige Drüsenorgan im Hals büst mehr und mehr seiner Funktion ein, bis es vollkommen zerstört ist. Wie schnell oder langsam dieser unaufhaltsame Organtod verläuft, ist nicht vorhersehbar und hängt von individuellen Faktoren ebenso wie von einer passenden und zielgerichteten Therapie ab.

Viele, die den Namen der Schilddrüsenkrankheit erstmals hören, denken mehr an eine ausgefallene Tropen- als eine Volkskrankheit. Ihren ungewöhnlichen Namen erhielt sie durch den japanischen Chirurgen und Pathologen Hakaru Hashimoto. Er entdeckte vor über 100 Jahren seltsame Veränderungen an der Schilddrüse. Dem Organ, das maßgeblich den Stoffwechsel im Körper mitsteuert und ihm als Energieregler vorsteht. "Sie ist als Teil eines Hormon-Steuerungssystems mit anderen Reglersystemen vernetzt", sagt Wormer. Aus diesem Grund zeigt sich eine Erkrankung an der Schilddrüse auch derart diffus.

Symptome von Gewichtszunahme bis Herzproblemen

Beschwerden auf der Haut, Haarausfall, Ärger mit dem Magen und Darmtrakt, Herz- und Kreislaufprobleme, Auswirkungen auf das Gehirn und Nervensystem und auch die Psyche, Muskulatur und das Fettgewebe gehören dazu. Schlafstörungen können ebenso wie Dauermüdigkeit auftreten, gedrückte Stimmung genau wie Nervosität, Reizbarkeit, Gewichtszunahme oder Sehstörungen. Wer unter der Volkskrankheit Hashimoto leidet, der leidet auf vielfache Weise.

Der Körper richtet sein Tun gegen sich selbst Das schildert auch RTL-Moderatorin Vanessa Blumhagen in ihrem Buch "Mein Leben mit Hashimoto". Eingeschlafene Gliedmaßen aus heiterem Himmel, Rückenschmerzen , Wassereinlagerungen in den Beinen, Hautprobleme und vieles mehr trieben sie um. Dahinter einen komplexen Zusammenhang zu erkennen ist auch für Allgemeinmediziner wie für Endokrinologen, Radiologen oder Internisten nicht einfach. "Der Schilddrüsenstoffwechsel beziehungsweise die Endokrinologie sind komplizierte Themen. Das macht Arbeit, also lässt man die Finger davon", so spitzt der Mediziner Eberhard J. Wormer zu und spricht damit Geplagten aus dem Herzen, die milde lächelnd mit ihren als psychosomatisch eingestuften Beschwerden abgewiesen werden.

Der eigene Wohlfühlfaktor zählt am meisten

Auf Selbsthilfeseiten, in Blogs und Foren, beschreiben manchmal Mediziner, meist jedoch Betroffene ihre Probleme mit dem ständigen Wechsel zwischen Symptomen der Schilddrüsenüberfunktion- und Unterfunktion. Der meist verteilte Rat dort ist: Sich zum Fachmann für sein eigenes Leiden zu mausern. Denn eine erfolgreiche Therapie hängt weniger von exakt ermittelbaren Laborwerten, als von einem selbst empfundenen Wohlfühlfaktor ab.

Dabei steht die richtige Einstellung auf Schilddrüsenhormonersatz an erster Stelle. Die Schilddrüse operativ zu entfernen macht in den meisten Fällen keinen Sinn. Nur in Situationen, in denen es zu bösartigen Zellveränderungen kommt oder das Organ durch seine Größenzunahme auf die Luft- oder Speiseröhre drückt, greifen Mediziner zwangsweise zum Messer.

Da es bei rund einem Viertel der Patienten neben der Schilddrüsenerkrankung zu weiteren Autoimmunkrankheiten wie kreisrundem Haarausfall, Diabetes, Rheuma oder Morbus Crohn kommt, empfehlen manche Ärzte möglichst engmaschig den Hormonstatus und veränderte Antikörper zu ermitteln.

Selen und Zink zusätzlich können helfen

In den vergangenen Jahren haben Forscher dazu beigetragen, die dunklen Wolken um das Mysterium Hashimoto ein wenig zu lüften. So geht man heute davon aus, dass es vor allem oxidative Prozesse und freie Radikale sind, die Einfluss auf die überschießende Immunreaktion auf die Schilddrüse nehmen. Die Gynäkologin Dr. Leveke Brakebusch und Endokrinologe Prof. Dr. Armin E. Heufelder raten darum auf ihrer Patientenseite dazu, hochdosiert bestimmte Antioxidantien zu sich zu nehmen und so die körpereigene Immunbalance ins Gleichgewicht zu bringen. Wer das tun will, der sollte neben seinem Selenspiegel auch regelmäßig die Zinkwerte kontrollieren lassen.

Durch eine tägliche Einnahme von 20 Milligramm Zink verbessert sich bei vielen Betroffenen das Allgemeinbefinden und zudem die Infektanfälligkeit. Prof. Roland Gärtner vom Klinikum München wies in einer Studie nach, dass auch die Einnahme von 200 Mikrogramm Selen täglich die Beschwerden der unheilbaren Krankheit lindern kann. Viele Betroffenen fühlen sich dann konzentrierter, Allergien gehen zurück, die Seelische und körperliche Belastbarkeit und auch Gelenkbeschwerden und das Allgemeinbefinden. Allerdings, so halten Kritiker entgegen, sprechen nicht alle Patienten auf diese Behandlung an. Außerdem zeigen neuere Studien, dass die zusätzliche Einnahme von Selen das Entstehen von Diabetes Typ-2 fördern kann.

So finden Betroffene ihren Weg

Einig sind sich die Experten hingegen darüber, dass Hashimoto-Patienten auf zwangsjodierte Nahrung sowie extra jodiertes Speisesalz verzichten sollten, weil sie die Erkrankung anheizen. Unproblematisch hingegen sind Lebensmittel, in denen natürlicherweise kleine Mengen Jod enthalten sind. Mediziner Wormer empfiehlt: "Beobachten Sie sich selbst in Bezug auf die Wirkung von Schilddrüsenhormon, das Sie nehmen. Entwickeln Sie eine Intuition für die richtige Dosierung. Hören Sie Ihrem Arzt zu – aber tun sie das, was Sie für richtig halten." So haben immerhin rund 80 Prozent der Betroffenen gute Chancen, ein normales Leben ohne starke Beschwerden zu führen.

(wat)
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