Inzest Ist Sex unter Geschwistern bald erlaubt?

Düsseldorf · Soll eines der letzten großen Tabus gebrochen werden? Soll Geschlechtsverkehr unter Geschwistern künftig nicht mehr bestraft werden? Der Ethikrat ist der Meinung: ja.

Sechs Fakten zu Inzest
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Der Ethikrat, dessen 26 Mitglieder heute in Berlin zusammenkommen, besteht aus Medizinern, Theologen, Politikern und Psychologen. Das Gremium berät Bundesregierung und Bundestag bei grundlegenden ethischen Problemstellungen. Bei neun Gegenstimmen und drei Enthaltungen rät eine Mehrheit von 14 Mitgliedern des Rates, Paragraf 173 des Strafgesetzbuches (StGB), der den "Beischlaf zwischen Verwandten" betrifft, so zu ändern, dass künftig die entsprechende Strafandrohung gegen Geschwister entfällt. Das Bundesjustizministerium von Heiko Maas (SPD) lehnte es ab, die Strafbarkeit des Inzests einzuschränken.

Hintergrund der bahnbrechenden Empfehlung sind zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR). Ihnen war eine Verurteilung von zwei Geschwistern vorausgegangen, die 2005 vom Amtsgericht Leipzig zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen Verstoßes gegen § 173 StGB verurteilt worden waren. Die Verfassungsbeschwerde eines Geschwisterteils wurde 2008 verworfen, weil Karlsruhe den Paragrafen als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärte. Der EGMR bestätigte 2012 die Rechtsauffassung Karlsruhes.

Würde der Gesetzgeber dem Ethikrat folgen, könnten Geschwister künftig straflos Geschlechtsverkehr haben. Bislang ist für Beischlaf zwischen Geschwistern bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe vorgesehen. In der 80-seitigen Stellungnahme des Ethikrates heißt es zur Begründung, ihm seien ausschließlich Fälle bekannt geworden, in denen Halbgeschwister nicht gemeinsam aufgewachsen sind und sich erst als Erwachsene kennengelernt und sexuellen Kontakt gepflegt haben. Geschwister-Inzest komme in der westlichen Welt höchst selten vor. Betroffene schilderten, wie schwierig ihre Situation angesichts der Strafandrohung sei: "Sie fühlen sich in ihren grundlegenden Freiheitsrechten verletzt und zu Heimlichkeit oder Verleugnung ihrer Liebe gezwungen."

Das Strafrecht sei nicht geeignet, ein gesellschaftliches Tabu zu bewahren; auch habe es nicht die Aufgabe, für den Geschlechtsverkehr mündiger Bürger moralische Standards oder Grenzen zu setzen.

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Zu möglichen genetischen Schäden von Kindern, die aus geschwisterlichem Beischlaf hervorgehen, heißt es: Im Falle des einvernehmlichen Inzests unter volljährigen Geschwistern könnten weder die Befürchtung negativer Folgen für die Familie noch die Geburt von Kindern aus solchen Inzestbeziehungen ein strafrechtliches Verbot rechtfertigen. Man ist sich darin darin einig, dass die Vermeidung möglicher Erbkrankheiten bei Kindern aus Inzest-Beziehungen nicht länger als Verbotsargument herangezogen werden sollte. Solche Argumente bedeuteten in der Konsequenz auch ein Beischlafverbot für Paare mit bestimmten, genetisch bedingten Krankheiten.

Ein Kernsatz des Gutachtens lautet: "Das Grundrecht der erwachsenen Geschwister auf sexuelle Selbstbestimmung ist in diesen Fällen stärker zu gewichten als das abstrakte Schutzgut der Familie."

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Die neun Mitglieder des Ethikrates, die eine abweichende Meinung vertreten und für die Beibehaltung der Strafandrohung bei Geschwister-Inzest plädieren, erklärten, sie sähen in der Änderung des Strafrechts ein irritierendes rechtspolitisches Signal. Der Schutz der Integrität unterschiedlicher familiärer Rollen sei eine wichtige Voraussetzung gelingender Persönlichkeits-Entfaltung.

Der Jurist Wolfram Höfling, der für die Minderheit im Ethikrat sprach, warf den Befürwortern einer Liberalisierung vor, das Familienverständnis zu "dekonstruieren". Der Psychologe Michael Wunder wiederum erklärte für die Ethikrat-Mehrheit, dass das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung auch bei einvernehmlichem Inzest bestehe, wenn einer der miteinander verwandten Geschlechtspartner minderjährig sei und ein "lebenspraktischer Familienverband" nicht mehr bestehe.

Zur Aufhebung des strafbewehrten Inzest-Verbots zwischen Eltern und Kindern nahmen die Ethik-Experten nicht Stellung. Wunder räumte ein, dass es bei einer Strafrechtsrevision kein logisches Argument gebe, diese Inzest-Form unter Strafe zu stellen.

Die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, warnte vor einer Gesetzes-Revision: Der Wegfall der Strafandrohung würde dem Schutz einer unbeeinträchtigten Entwicklung von Kindern zuwiderlaufen.

(RP)
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