Weniger Pillen, weniger Schmerzen Bewegung ist ein Wundermittel gegen Krebs

Köln · Lange galt Schonung bei Krebs als beste Heilmethode. Sport schien kontraproduktiv für die Schwerkranken zu sein. Doch neue Studien zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist: Schon im Krankenbett kann Bewegung körperlich wie psychisch helfen. Manche Medikamente werden sogar überflüssig. Lesen Sie hier, warum.

Das sollten Krebspatienten beim Sport beachten
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Foto: dapd, Torsten Silz

Krebs ist eine Diagnose, die Angst hervorruft und oft mit Schmerzen verbunden ist. Viele Betroffene fühlen sich desillusioniert, sie möchten sich verkriechen und in Ruhe gelassen werden. Lange Zeit unterstützten Mediziner und Wissenschaftler dieses Verhalten. Sie gingen davon aus, dass Schonung der beste Weg zur Heilung wäre. Zu groß ist gerade in der Krebstherapie die Sorge vor Rückschlägen in der Therapie. Noch in den 90er war man sicher, dass Sport Metastasen sogar auslösen könnte.

Welcher Sport hilft bei welchem Krebs?
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Foto: shutterstock/ jovan vitanovski

Für viele scheint es bis heute kaum vorstellbar, dass Krebspatienten spätestens 48 Stunden nach ihrer OP ein erstes Bewegungstraining absolvieren. Doch inzwischen gehen Sportmediziner mit Schwerstkranken diesen Pfad, weil ihre Forschungsergebnisse ihnen zeigen, dass das der Weg zurück in die Gesundheit sein kann. Vorausgesetzt, man geht behutsam vor und stimmt die Maßnahmen auf die medizinische Krebstherapie ab.

Mit Bewegung weniger Rückfälle

"Unsere Studienergebnisse zeigen, dass Patienten mit einer guten Fitness mehr natürliche Killerzellen haben, um die Krebsabwehr zu verstärken", berichtet Prof. Dr. Wilhelm Bloch, Leiter des Instituts für Sportmedizin der Sporthochschule Köln. Wie ein Wundermittel erscheint in diesem Licht Sport zu wirken. Menschen, die sich viel bewegen, erkranken statistisch gesehen seltener als die Durchschnittsbevölkerung an Dickdarmkrebs oder Brustkrebs. Und selbst erkrankte Menschen profitieren durch mildere Folgeerscheinungen, die die aggressive Therapie mit sich bringt. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass auch Rückfallquoten günstig beeinflussbar sind.

"Inaktivität ist das Schlimmste, was man einem Krebspatienten antun kann, denn sie generiert weitere Symptome", sagt Dr. Freerk Baumann. Er ist Leiter der Arbeitsgemeinschaft "Bewegung Sport und Krebs" an der Deutschen Sporthochschule Köln. "Nach fünf Tagen Bettlägerigkeit hat der Krebskranke 20 bis 30 Prozent seiner Kraft verloren. Erst ein Training von zwölf Wochen würde sie zurückbringen", schildert er.

So bauen bettlägerige Krebspatienten ab

Für Menschen, die durch die Nebenwirkungen einer radikalen Therapie mit Schmerzen kämpfen, die Narben und kosmetische Veränderungen hinnehmen müssen oder unter Lymphödemen leiden, mag eine Bewegungsempfehlung wie eine Tortur klingen. Doch haben kraftlose Patienten einer schweren Krankheit kaum etwas entgegenzusetzen. Ziehen sie sich in Kissen und Federn zurück, nimmt das Herzvolumen nach nur neun Tagen um zehn Prozent ab. Der Körper wird weniger mit Sauerstoff versorgt. Wie sehr, das ist messbar: 21 Prozent weniger davon fließt durch die Adern. Das schwächt das Herz-Kreislauf-System. Auch die Blutproduktion nimmt ab. Das Immunsystem wird schwächer, das Thromboserisiko und der Knochen- und Knorpelabbau steigen an.

Oft sorgt die Behandlung einer Krebserkrankung dafür, dass Muskelzellen nicht mehr genügend Sauerstoff bekommen. Das zeigt sich für die Betroffenen in Blutarmut, Muskelveränderungen und damit verbundenen Fehlhaltungen. Folgen wie eine verringerte Lungenfunktion und körperliche Leistungsfähigkeit drücken auf die Seele. Manchmal so schwer, dass eine Depression daraus erwächst.

Erstarrt in Bewegungslosigkeit auch nach Therapie

Die Liste der Härteprüfungen bei Krebspatienten ist aber noch länger: Die Hälfte von ihnen entwickelt eine spezielle Form der Erschöpfung, das Fatigue-Syndrom. Lange Krankenhausaufenthalte und Komplikationen führen häufig dazu, dass sich Betroffene fast gar nicht mehr bewegen. Dr. Freerk Baumann kennt dazu die ernüchternden Zahlen: "Rund 30 Prozent aller onkologischen Patienten bewegen sich nach einer Krebstherapie weniger als vorher, obwohl es medizinisch dafür keine Indikation gibt."

Sportwissenschaftler sehen darin die Ursache für einen sich weiter verschlechternden Zustand. Schaffen Ärzte, Physiotherapeuten und Sportmediziner, das zu durchbrechen, können viele kleine Wunder geschehen: "Selbst in der Palliativmedizin kann man so Schmerzen mindern und die Mobilität länger erhalten", sagt Baumann.

Medikamente einsparen durch Bewegung

In Köln finden Krebspatienten dafür optimale Voraussetzungen. Durch eine Kooperation zwischen der Uniklinik und der Deutschen Sporthochschule ist dort im Jahr 2012 das Projekt "Onkologische Trainingstherapie" ins Leben gerufen worden. Unmittelbar an die Uniklinik angegliedert können dort Krebspatienten kostenlos und unter individueller Anleitung sportlich aktiv werden. "Sie sollten unter niedriger Belastung trainieren", empfiehlt Baumann. Auf diese Weise lassen sich zum Beispiel Einschränkungen der Beweglichkeit verhindern, Müdigkeit und Gewichtsverlust entgegensteuern, das Fatigue-Syndrom mildern und Depressionen und Ängste mindern. Konkret könne man auf diese Weise zwar keine Krebsmedikamente einsparen, wohl aber zum Beispiel Schmerzmedikamente, die wegen auftretender Nervenschmerzen nach Bestrahlungen oft nötig würden.

Vorsicht sollten lediglich Betroffene walten lassen, die beispielsweise eine Hochdosischemotherapie machen, wie das bei Leukämie-Patienten der Fall ist. "Sie dürfen sich erst 48 Stunden nach der letzten Chemo-Gabe wieder behutsam bewegen", sagt der Spotmediziner. Auch Krebskranke, bei denen die Anzahl der Blutplättchen, also der Thrombozyten, vermindert ist, sollten wegen einer Einblutungsgefahr vorübergehend eine Pause einlegen. Solche Kontraindikationen können die behandelnden Ärzte einschätzen. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, wann Sie keinen Sport machen dürfen, lesen Sie hier weiter.

So findet man Reha-Sport-Einrichtungen für Krebskranke

Wenn auch die Kooperation zwischen onkologischen Stationen und sporttherapeutischen Einrichtungen noch am Anfang steht, so sind in Deutschland mittlerweile jedoch über 1000 Krebssportgruppen aktiv. Ermitteln kann man die über den jeweiligen Landessportbund oder die eigene Krankenkasse. Alle Krebspatienten können über ihre Krankenkassen an einem Reha-Sportprogramm teilnehmen, das vom LandesSportBund oder vom Behindertensportverband zertifiziert wurde.

(wat)
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