Medizin Wie sich die Krebstherapien für Mann und Frau unterscheiden

Homburg/Saar · Welche Überlebenschancen Krebspatienten haben, hängt nicht nur von der Schwere ihrer Krankheit und der Art der Behandlung ab, sondern auch von ihrem Geschlecht. Die Möglichkeiten der "personalisierten Medizin" eröffnen in der Behandlung vieler Karzinome neue Chancen für die Patienten.

Maßgeschneiderte Therapien gegen Krebs
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Statistisch haben Männer bei Lungen-, Dickdarm- und Nierenkrebs sowie bei Melanomen eine geringere Lebenserwartung als Frauen. Von 100 an Krebs erkrankten Patienten sterben innerhalb von fünf Jahren 55 Männer, aber nur 42 Frauen. So lauten die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Solche Unterschiede, so Professor Michael Pfreundschuh, werden von den meisten Menschen bisher als unabänderlich hingenommen. Doch das sei falsch.

Michael Pfreundschuh ist Leiter der Inneren Medizin I am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg und ein weltweit anerkannter Experte für bösartige Tumoren im Lymphgewebe (Maligne Lymphome). Mit seiner Arbeitsgruppe "Hochmaligne Lymphome" hat er vor einem Jahr erstmals nachgewiesen, dass die Heilungschancen erhöht werden können, wenn Frauen und Männer unterschiedlich behandelt werden. Dies sei ein bedeutender Schritt in Richtung einer personalisierten Medizin, einer maßgeschneiderten Therapie, die bereits vielerorts im Einsatz ist, auch künftig in der modernen Krebsbehandlung eine immer größere Rolle spielen werde und deutlich bessere Heilungschancen verspreche als viele herkömmliche Behandlungen.

Die Homburger Studiengruppe arbeitet seit 1993 am José-Carreras-Centrum für Immun- und Gentherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes. Es wurde 2004 vom Tenor José Carreras gestiftet, der 1987 an Lymphatischer Leukämie erkrankt war und diesen Krebs überwand. Mittlerweile untersuchen die saarländischen Mediziner die Krebstherapie mit Antikörpern. Dies sind Eiweiße, die natürliche Killerzellen des Immunsystems aktivieren, die dann ihrerseits Tumorzellen abtöten. Die Antikörpertherapie wird meist in Kombination mit einer Chemotherapie verabreicht. Im Gegensatz zu dieser Chemotherapie hat die Antikörpertherapie allerdings sehr viel weniger Nebenwirkungen, so weiß der Homburger Medizinprofessor.

Vor zwei Jahren habe seine Forschergruppe festgestellt, dass Antikörper im Organismus älterer Männer viel schneller abgebaut werden als bei älteren Frauen - das heißt, die Wirkung der Killerzellen hält bei Frauen länger an, die Therapie ist deutlich wirksamer. Daher haben Frauen im Vergleich zu Männern eine bessere Heilungschance bei der Behandlung mit Antikörpern. Warum ist das so? Als Auslöser dieses Effekts hat die Homburger Forschungsgruppe den langsameren Stoffwechsel bei Frauen identifiziert.

Aus diesem Grund begannen die Homburger Mediziner in einer klinischen Studie zu untersuchen, ob eine Erhöhung der Antikörper-Dosis bei Männern diesen Nachteil ausgleichen kann. An deren Ende stehe nun zweifelsfrei fest: Die höhere Dosierung des Antikörpers Rituximab führt bei älteren Männern eindeutig zu besseren Ergebnissen. Rituximab ist der Name eines biotechnologisch hergestellten Antikörpers, der als Arzneistoff in der Krebsimmuntherapie vorwiegend bei der Behandlung von malignen Lymphomen, das sind bösartige Veränderungen der Lymphknoten, eingesetzt wird und als Vorreiter der gezielten Krebstherapie gilt.

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Bei einer erhöhten Dosierung von Rituximab bei Männern liegen die Überlebensraten laut der Homburger Untersuchung auf derselben Stufe wie bei Frauen: 75 von 100 Patienten beiderlei Geschlechts hätten so gut auf die Therapie angesprochen, dass sie geheilt werden konnten, so der Homburger Mediziner. Nach der konventionellen Behandlungsmethode wären es 75 Frauen und 68 Männer gewesen. "Diese Erkenntnis geht über die Onkologie weit hinaus", erklärt Pfreundschuh, "im Grunde so weit, dass der Gesetzgeber dafür sorgen sollte, dass Männer und Frauen bei Studien künftig getrennt betrachtet werden sollten."

In Deutschland werden an Unikliniken inzwischen Männer gemäß den Erkenntnissen der Homburger Untersuchung mit einer höheren Antikörper-Dosis behandelt. Sie können von spezialisierten Pharmaunternehmen gezielt auf die Erkennung oder Bekämpfung eines speziellen Krebs-Merkmals hin produziert werden, das heißt, die Antikörper-Therapie ist für alle Krebsarten anwendbar - aber individuell verschieden.

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Der erfolgreiche Weg der Krebsbehandlung, so der Mediziner Pfreundschuh, führe über diese Art der personalisierten Medizin. Leider gebe es jedoch nicht genügend medizinische Studien, um diesen Ansatz auf eine breitere Basis stellen zu können. Wenn Kinder an Krebs erkrankt sind, stimmen deren Eltern in über 90 Prozent der Fälle der Teilnahme an einer klinischen Studie zu. Bei Erwachsenen ist das Verhältnis umgekehrt. Nur etwa fünf Prozent der Patienten wollen an einer medizinischen Studie teilnehmen. Entsprechend höher sind bei Kindern die Heilungschancen. Da sei für Erwachsene noch sehr viel Raum nach oben.

(RP)
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