Die wichtigsten Antworten Warum Krebs oft unerwartet zurückkehrt

Düsseldorf · Tumoren streuen oft früh schlafende Satelliten aus, die später als Metastase aktiv werden. Die Medizin hat aber Antwortmöglichkeiten.

Bekommt ein Mensch eine Krebsdiagnose, ändert sich sein Leben schlagartig - und nicht immer nur zum unaufhörlichen Alptraum. Es gibt nicht wenige Menschen, die unter einem onkologisch schwerwiegenden Befund ihr Leben radikal ändern, mit neuer Kraft den Krebs bekämpfen - und hinterher auf mehreren Ebenen sogar als Sieger hervorgehen.

Deshalb ist es in Krebskarrieren ein besonders schmerzlicher Moment, wenn nach heftigem und körperlich zehrendem Ringen, nach Chemotherapie, Operation, Bestrahlung oder Stammzelltherapie, nach Schwächephasen und glücklich erzielter Tumorfreiheit ein Kontrollbefund im CT unverkennbar signalisiert: Der Krebs ist an derselben Stelle oder an einer anderen wiedergekehrt - als das gefürchtete Rezidiv. Haben die Ärzte die Chemo falsch dosiert? Haben sie ungenau bestrahlt? Zu wenig herausgeschnitten? Hieß es nicht, der Krebs habe die Kapsel noch nicht durchdrungen? Wie kann es dann sein, dass er anderswo eine Aussaat deponiert hat, die nun offenbar hochgeht?

Metastasen sind nicht leicht zu erkennen

Unser Verständnis von Metastasen hat sich in jüngster Zeit gewaltig verändert. Früher dachte man, ein Krebs wachse schnell oder langsam vor sich hin, und irgendwann beginne er Krebszellen abzusiedeln; je früher man also einen Tumor entdecke und mit allen Waffen behandle, desto wahrscheinlicher sei eine Heilung. Das ist so falsch nicht; andererseits bilden sich Metastasen doch häufig nach einem anderen Schema. "Schon deutlich früher hat mancher Tumor Satelliten gebildet", sagt Professor Norbert Gattermann vom Düsseldorfer Universitätstumorzentrum. "Diese Satelliten sind vorerst außer Funktion, sie schlafen nur - bis sie aktiv werden." Der Tumor kann also klein sein und doch früh streuen. Das sieht kein CT, weil diese Saat nur aus kleinen Tumorhäufchen oder Einzelzellen im Gewebe oder im Knochenmark besteht. "Diese Tumorzellen können tatsächlich über viele Jahre ruhen", weiß Gattermann, "bei Brustkrebs ist das Phänomen bekannt."

Bei Licht betrachtet, ist das Prinzip dahinter gar nicht neu. "Bei einigen Patienten findet man Metastasen im Körper, weil sie Schmerzen etwa im Skelett haben - aber den Tumor, von dem aus sie auf Reise gegangen sind, findet man nicht", sagt Gattermanns Kollege Professor Rainer Haas, Direktor der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Klinische Immunologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Solche Fälle nennt man das "Cup-Syndrom" - die Abkürzung "Cup" bedeutet: "Cancer of unknown primary" - Krebs von unbekannter Herkunft. Haas: "Das ist so ein typischer Fall, dass sich ein Tumor in seinem eigenen Umfeld nicht behaupten konnte, aber seine Abkömmlinge umso potenter sind. Die Vorstellung, dass ein Tumor ein gewisses Volumen braucht, um zum Streukrebs zu werden, ist falsch."

Wie kann das passieren, dass sich die Medizin über viele Jahre offenbar geirrt hat? Nun, ein Irrtum ist es nicht unbedingt, vielmehr musste eine Theorie des ohnehin schwer zu ergründenden Krankheitsprozesses korrigiert werden. Sie lautet nun neu: Schon früh kann ein noch kleiner Tumor bereits Tumorzellen aussenden. Diese Zellen können sich an anderen Organen niederlassen, dort aber vorerst in Ruhe verweilen und später anscheinend aus dem Nichts zur Metastase wachsen.

Wie ist die Tumorzelle überhaupt an diesen Ort gekommen? Nun, für sein Wachstum braucht ein Tumor Nährstoffe, Sauerstoff, Glukose. Um die Zufuhr zu sichern, bildet der Körper in und um den Tumor herum neue Gefäße. Das nennt man Neoangiogenese. "Und durch diese neugebildeten Gefäße hat die Tumorzelle Zugang zum System - und zum Kreislauf", sagt Haas. Sie wandert aus und fällt in einen Dornröschenschlaf - und ist dort auch unzugänglich etwa für Chemotherapien. Eine Zelle, die sich nicht teilt, kann somit nicht in ihrer schwächsten Phase tödlich erwischt werden. Ohnedies müssen sich auch verstreute Metastasenzellen ebenfalls des Immunsystems erwehren - und wenn zwischen Zellvermehrung (Proliferation) und Zelltod (Apoptose) Balance herrscht, bleibt jene Auswanderung folgenlos. Bei gewissen Tumortypen kommt es indes regelmäßig zu Metastasen. Die Schläferzellen sind sozusagen ausgeruht, durchbrechen die Wand des Blutgefäßes, nisten sich in Organen oder im Skelett ein - und wachsen.

Manche Tumorzellen sind resistent gegen Chemotherapie

Nun ist die Frage, warum eine Chemotherapie diese frei flottierenden Ableger oder auch überhaupt einige Tumorzellen nur schlecht erwischt. Das hat mit der "primären Resistenz" zu tun. Gattermann: "Es gibt auch bei Tumorzellen einige, die durch Mutationen unempfindlich für eine Chemotherapie geworden sind. Das ist wie bei resistenten Bakterien, die auch durch Mutationen gegenüber Medikamenten nur robuster werden." Fatale Folge: "Der Tumor kehrt nur scheinbar wieder, in Wirklichkeit waren die Tumorzellen immer schon da und wurden nie vernichtet." Resistenzen entstehen aber - das nennt man die "sekundäre Resistenz" - auch durch eine Chemotherapie: Unter deren giftigem Beschuss bildet sich ein Konkurrenzkampf der Tumorzellen, den nur die stärksten überleben - auch sie mit dem neuen Panzer einer Mutation.

Das mag deprimierend klingen, und in der Tat sind Brustkrebs-Patientinnen recht oft von Schläferzellen betroffen, die erst Jahre oder Jahrzehnte später ihre neue Tätigkeit auszuüben beginnen - und auch dann erst durch bildgebende Verfahren nachweisbar sind. Oder die Metastasen melden sich von selbst, weil sie Schmerzen bereiten.

Die Tatsache, dass manche Krebserkrankung als Systemerkrankung zu begreifen ist, scheint den Kampf aussichtslos zu machen. Aber das ist er nicht. Die Medizin entwickelt ihrerseits Waffen, um den biologischen Trickreichtum der Tumorzellen in Schach zu halten. Zum einen ist Metastasen-Chirurgie zu einem neuen Fach geworden. Gattermann: "Früher hieß es: Ein Tumor hat gestreut, da hat der Operateur nichts mehr zu suchen. Heute ist das anders. Auch eine einzelne Hirn-Metastase sollte, wenn es geht, operiert werden, weil der Patient davon wirklich profitiert. Die kriegt man wegen der Blut-Hirn-Schranke mit einer Chemotherapie nicht weg."

In der Tat hat das Rezidiv nicht mehr diesen dramatischen, bitteren Beigeschmack wie noch vor zehn, 15 Jahren. Sogenannte Zweitlinien-Verfahren, zumal mit molekular zielgerichteten Therapien, sind keine Verzweiflungstaten mehr, sondern ein wirklicher Neustart für die Behandlung. Manches Rezidiv können sie auch ganz verhindern. Jedenfalls entwickelt sich in der Zeit, die nach der Entdeckung eines Rezidivs weiterbehandelt wird, auch die Medizin weiter - und "insofern spielt die Zeit", sagt Haas, "dann ganz deutlich auch wieder für unsere Patienten."

(RP)
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