Den Krebs besiegen Darmspiegelung - nichts für mutige Männer

Mönchengladbach · Ab dem 55. Lebensjahr sollte jeder zur Darmkrebs-Früherkennung gehen. Unser Redakteur hat sich ebenfalls dem Eingriff unterzogen.

Viele Leute machen sich wegen dieses Termins in die Hose. Dabei müssen sie bloß am Vortag des Termins aufpassen, dass ihnen das nicht passiert.

Vorbeugung und Früherkennung sind Grundpfeiler unseres Lebens, wenn wir üble Krankheiten vermeiden wollen. Wir gehen zum Doktor, lassen uns durchchecken, er guckt Blutwerte an, klebt uns Elektroden an, setzt uns fürs Belastungs-EKG aufs Fahrrad, macht einen Ultraschall, er kann sogar ein Röntgenbild anfordern, wenn er sich davon Erkenntnisse verspricht. Aber dass ein Arzt in uns hineinguckt, dass er den Weg von den sichtbaren zu den unsichtbaren Zonen unseres Körpers wählt - das ist unüblich, da muss ein Grund vorliegen. Vielleicht schwingt sogar Dramatik mit, wie bei einem Herzinfarkt. Freilich gucken die Ärzte beim Herzinfarkt gar nicht hinein, vielmehr basteln sie unter Röntgenkontrolle mit Sonden, kleinen Ballons und Teilstücken von Maschendraht an den Herzkranzgefäßen herum - und nur bei sehr ernsten Fällen muss der Brustkorb durch den Chirurgen auch aufgemacht werden. Dann näht er einen oder mehrere Bypässe auf verstopfte Gefäße.

Was passiert bei einer Darmspiegelung?
Foto: Radowski

Hineingucken muss der Arzt aber auch, wenn er wissen will, wie es in den natürlichen Höhlen und Röhren des Körpers aussieht. Dazu benutzt er ein spezielles Instrument, das sogenannte Endoskop. Wie der aus dem Griechischen entlehnte Name sagt, guckt das Endoskop mit einer Kamera ins Innere. Zum Beispiel bei meiner eigenen Darmspiegelung, der ich mich dieser Tage unterzogen habe.

Wenn es wahr ist, dass man genau zwei Krebsarten sehr sicher und völlig unaufwändig vermeiden kann - nämlich Hautkrebs und Darmkrebs -, dann wundert man sich, dass es diese Fälle überhaupt gibt. Die Früherkennung von Hautkrebs ist ein Vorgang, den man selbst unterstützen kann, indem man etwa Muttermale regelmäßig beobachtet oder von vertrauten Menschen inspizieren lässt. Besser ist, wenn das die Profis machen. Ohnedies besteht die Empfehlung, dass Menschen ab dem 35. Lebensjahr die Haut und alle Leberflecken im gesetzlichen Hautkrebs-Screening alle zwei Jahre von einem Dermatologen anschauen lassen. Ich habe das vor einigen Jahren machen lassen; meine Hautärztin fand ein suspektes Muttermal, das sie herausschnitt. Das war gut so, denn das sogenannte dermatohistologische Labor (Spezialinstitut für Hautgewebe) fand verdächtige Zellen, aus denen sich vermutlich ein malignes Melanom entwickelt hätte, der schwarze Hautkrebs.

Und im Darm sollte auch alles in Ordnung sein, hoffte ich. Aber dann durchzuckte mich eine Befürchtung: Im Jahr 2009 hatte ich schon einmal eine Darmspiegelung vornehmen lassen, bei Theodor Heuer, der ist Chefarzt für Gastroenterologie in Kamp-Lintfort und ein erfahrener Arzt, der schon alles gesehen hat (man möchte sich ja nicht von jedem in seinen Popo gucken lassen). Doch irgendwo hatte ich gelesen, dass man sich, sofern Polypen gefunden werden, nach fünf Jahren ein zweites Mal untersuchen lassen muss. Zur Kontrolle. Puuh, jetzt ist 2016, und die Frist von fünf Jahren ist herum. Ich brauche also eine neue. Und zwar bald.

Das Gerede über eine angeblich unangenehme Prozedur und über Darmspiegelungs-Massenaktionen wie "1000 mutige Männer" kann ich nicht mehr hören. Wenn es einen Eingriff gibt, von dem man nichts, aber auch gar nichts mitbekommt, dann ist es die Darmspiegelung. Nun gut, der Tag vorher ist nicht so erbaulich, denn man muss abführen. Abführen ist ein Verb, das an finstere Kindertage, an Durchfälle, an unschöne Momente und Kontrollverlust erinnert. Andererseits weiß man, was am Tag danach kommt - und das ist harmlos. Um alles bombensicher und explosiv aus dem Körper zu befördern, nimmt man Moviprep, ein in Wasser zu lösendes Pulver, das nicht bei www.chefkoch.de geführt wird, doch weit weniger eklig ist als angenommen. Außerdem fühlt man sich nach etwa 45 imperativ erzwungenen Toilettengängen wunderbar gereinigt, erleichtert, von allem irdischen Ballast befreit. So, denke ich, könnte ich in den Ashram eines indischen Gurus gehen und würde sofort aufgenommen.

Wann eine Magenspiegelung Sinn macht
Infos

Wann eine Magenspiegelung Sinn macht

Infos
Foto: Shutterstock/Ana Blazic

An diesem Tag, meinem "day before tomorrow", ist es mir untersagt, schwere Kost zu mir zu nehmen. Von barmherziger Hand bekomme ich eine überaus nahrhafte Hühnerbrühe bereitet, von der ich vor unbändigem Hunger gefühlte drei Liter löffele. Das ist erlaubt und sogar gewünscht, denn man soll ja trinken, sonst verliert der Körper zu viel Flüssigkeit. Und Huhn in Brühe ist himmlisch.

Nachdem ich den Tag also liegend in weichen Polstern und sitzend über weißem Porzellan verbracht habe, ist die Nacht vor dem Eingriff traumlos. Am Morgen begebe ich mich - diesmal aus Gründen des Komforts und der räumlichen Nähe - ins Franziskus-Krankenhaus nach Mönchengladbach, wo ich in Oberarzt Ingo Greiffendorf einen ebenso zugewandten wie verschwiegenen und vor allem exzellenten Experten bekomme. Im Wartezimmer sitzen neben mir mehrere hungrige Menschen, sie alle werden von ihm koloskopiert. Greiffendorf wird viel sehen an diesem Tag, die Gesichter interessieren ihn allerdings nur mäßig, er redet zwar mit jedem Patienten, vor allem aber schaut er sich ihre Darmwände an. Dort sucht er unter anderem nach Polypen. Dabei handelt es sich um meist gestielte Ausstülpungen der Darmschleimhaut, die wachsen und sich bösartig verwandeln können - zu Darmkrebs. Deshalb sollte man sie bei einer Darmspiegelung sicherheitshalber entfernen lassen.

Nun bin ich dran. Ich darf in ein kleines Zimmer, dort schlüpfe ich in ein dünnes Hemdchen mit offener Rückseite, krabbele in ein Bett und werde in das Untersuchungszimmer gerollt. Dort bekomme ich mit einem kleinen Pieks einen Zugang für Medikamente in die Vene gelegt, und als Greiffendorf hereinkommt, nickt er nur kurz und freundlich - und ehe ich es registriere, hat er mir schon Midazolam und Propofol gespritzt, weswegen ich sofort wegdämmere.

Als ich erwache, möchte ich natürlich wissen, wann es endlich losgeht. Aber ich liege schon länger hier und habe nichts mitbekommen. Das ist herrlich an diesem Medikamentencocktail: Er bewirkt einen Gedächtnisverlust für den kompletten Eingriff. Sie haben fortwährend meine Herz-Kreislauf-Werte überwacht? Greiffendorf hat in aller Ruhe meinen Darm inspiziert und durch den Arbeitskanal des Endoskops mit einer Minizange einen schüchternen Drei-Millimeter-Polypen abgetragen? Nichts gemerkt. Den schickt er in ein Labor, da wird aber nichts herauskommen, sagt er: "Sieht total harmlos aus."

Die anderen Pappenheimer aus dem Wartezimmer liegen auch bereits hier. Gelegentlich kommt eine andere Schwester, schaut nach mir, protokolliert meinen Blutdruck und geht zum nächsten Bett. Autofahren darf ich nicht, ich spaziere gemütlich nach Hause und freue mich auf ein fürstliches Frühstück. Ein guter Tag. Darmkrebs bekomme ich schon mal nicht. In mein Smartphone habe ich mir für August 2021 notiert: Darmspiegelung.

Dann werden mich wieder alle bemitleiden. Ich aber werde ihnen zurufen: Ihr Memmen, das Entfernen von Zahnstein ist fieser!

(w.g.)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort