Vorsicht bei Alltagsverletzungen Lebensgefahr durch falsche Wundversorgung

Bad Oeynhausen/Berlin · Schürf-, Schnitt- und Brandwunden – an sich Bagatellverletzungen – mutieren zu schlecht heilenden, eitrigen Wunden, werden sie falsch versorgt. Schon kleinste Blessuren können in einer Blutvergiftung enden. Rund 60.000 Menschen in Deutschland sterben jedes Jahr daran.

Wunden richtig versorgen
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Foto: tesa SE

 Schürf-, Schnitt- und Brandwunden — an sich Bagatellverletzungen — mutieren zu schlecht heilenden, eitrigen Wunden, werden sie falsch versorgt. Schon kleinste Blessuren können in einer Blutvergiftung enden. Rund 60.000 Menschen in Deutschland sterben jedes Jahr daran.

 Ein unbedachter Schnitt mit dem Küchenmesser, ein heißer Grill, ein aufgekratzter Insektenstich oder ein Ausrutscher auf dem Ascheplatz — solche Autsch-Erlebnisse kennt jeder. Wird die Wunde nicht sofort richtig versorgt kann das später zu einem eitrigen Dauerbegleiter führen. In Unbedachtheit oder durch Unterschätzung der Lage können sich gesunde Menschen in eine Situation befördern, in der sie schwulstige Narben in Kauf nehmen, Gelenkentzündungen oder sogar Amputationen riskieren - im schlimmsten Fall sogar mit ihrem Leben spielen. Was genau passiert ist, ist für die Ärzte oft nicht mehr rekonstruierbar. Allzuoft blicken sie auf schwere Entzündungen, offene Wunden oder sogar abgestorbenes Gewebe, und müssen versuchen zu retten, was zu retten ist. "Ich erinnere mich an eine Patientin, die kam erst in die Praxis, als ihr verletzter Finger so schwer infiziert war, dass er amputiert werden musste", sagt Dr. Anke Richte, Internistin und Hausärztin in Bad Oeynhausen. Das Problem ist, dass viele mit ihren Bagatellverletzungen leichtfertig umgehen, und den Arztbesuch viel zu lange aufschieben.

 Wo Blessuren besonderen Schaden anrichten

 Es sind vor allem Verletzungen an Fingern, Händen, Füßen oder in der Nähe von Gelenken, die sensibler als alle anderen Verletzungen behandelt werden sollten. Denn dort ist das Risiko, dass sich ein glatter Schnitt oder eine Schürfwunde zu einer gefährlichen Wundinfektion herauswächst, am größten. Nicht weg-, sondern hinsehen ist zum Beispiel bei blutenden Schrammen am Finger- oder Kniegelenk angesagt. Eine Fehlentscheidung kann hier dramatische Tragweite bekommen. "Alle offenen Wunden in der Nähe eines Gelenks können zur Gelenkentzündung führen", erklärt Internistin Richter. Was das heißt, wissen Menschen mit Arthritis — einer chronischen Form der Gelenkentzündung. Typische Symptome eine Infektion sind quälende Schmerzen bei der kleinsten Bewegung ohne einen erkennbaren Grund und signalrote Haut. Im schlimmsten Fall haben sie die Zerstörung des Gelenks zur Folge.

 Kaum vorstellbar scheint, dass so etwas mit einer Bagatellverletzung begonnen haben soll. Eigentlich gesunde Menschen können Opfer nicht heilender, nässender, eiternder Verletzungen werden. Denn geraten Keime, Bakterien, Viren oder Pilze in eine harmlos aussehende Fleischwunde, infiziert sich das Gewebe innerhalb kürzester Zeit. Erste Entzündungsanzeichen sind nässende Stellen. "Der Körper versucht auf diese Weise die Fremdstoffe, die in der Wunde hängen, zu entfernen", erklärt Dr. Anke Richter. Besser hätte solche Fremdkörper wie Steinchen, Granulat oder Splitter zuvor ein Arzt entfernt. An solche Verwundungen sollte man sich selbst nicht heranwagen, rät die Medizinerin. Denn der Patient selbst kann oft nicht sehen, wie tief eine Verletzung wirklich ist, ob sich darunter noch ein Bruch verbirgt oder tiefer gehende Muskeln betroffen sind. Wer beherzt nach dem Sturz auf dem Sandweg selbst kleine Steinchen mit dem Finger aus der klaffenden Wunde wischt, infiziert sich an Ort und Stelle gleich selbst. Das ist weit weg von einer guten Säuberung der Verletzung.

 Gefahr Superinfektion

 Als sei die Schürfwunde an sich nicht schmerzhaft genug, greift ein anderer gleich zur Jodflasche und leert sie kräftig darüber aus. Doch das allein verhindert eine Infektion nicht. Bleiben kleine Steinchen, Splitter, Scherben oder andere Verschmutzungen darin, wird das innerhalb weniger Tage schmerzhaftspürbar: Die Blessur beginnt zu nässen, die Wundränder entzünden sich und schmerzen immer stärker. Wer nicht spätestens jetzt reagiert, der riskiert eine Entzündung, die folgenschwer sein kann.

 Röten sich die Wundkanten und der Bereich rundherum und beginnt ein nicht enden wollendes Dauerklopfen, so sind das ganz sicher die ersten Entzündungsanzeichen. "Kommt Fieber hinzu, wird die Infektion systemisch", erklärt Dr. Richter. Spätestens jetzt wäre es dringend notwendig, ein Antibiotikum zu bekommen, sonst droht der "Worst Case": eine Blutvergiftung. 150.000 Menschen in Deutschland erleben diesen Fall jedes Jahr. 60.000 überleben ihn nicht. Das zeigt, dass die Infektionsgefahr unterschätzt wird. "Die Keime überschwemmen dann den ganzen Körper, Organ für Organ", so Richter. Äußerlich zeigt sich das in allgemeinem Unwohlsein, Fieber und schneller Atmung. Wird jetzt nicht schnellstens gehandelt, kann die Vergiftung zu einem septischen Schock führen. Der Blutdruck fällt dann plötzlich stark ab und der Puls wird rasend schnell. Ohne Medikamente ist der Betroffene verloren.

 Bisse niemals selbst versorgen

 Am seidenen Faden, hing auf diese Art und Weise auch das Leben einer Patientin, die die Bad Oeynhausener Internistin behandelte: Sie war von ihrer Katze in den Unterarm gebissen worden, hatte geistesgegenwärtig reagiert und war zehn Minuten nach dem Vorfall zur Behandlung in der Praxis. "Der Tierbiss war nicht einmal tief, die Patienten zudem tetanusgeimpft", erinnert sich die Ärztin. Obwohl sie gleich handelte und Antibiotika verordnete, kam die Frau drei Tage später mit einer Blutvergiftung ins Krankenhaus. Das verdeutlicht die Gefahr, die von dieser Verletzungsart ausgeht.

 Tier- wie auch Menschenbisse — wie sie häufiger unter Kindern vorkommen — sollten nie selbst versorgt werden. Hier ist der Arzt gefragt, der dann ein Antibiotikum verschreiben wird. "Der Verlauf nach menschlichen Bissen hängt zum Beispiel stark vom Zahnstatus dessen ab, von dem die Attacke ausging", sagt Richter. Sehr unterschätzt wird vor allem unter den Erwachsenen der Tetanusschutz. Kinder sind durch die engmaschigen Früherkennungsuntersuchungen zu 95 Prozent durchgeimpft, so das Robert-Koch-Institut (RKI). "Bei den Erwachsenen, die uns in den Notfallpraxen begegnen, sieht das allerdings anders aus", berichtet die Ärztin aus ihrer Arbeitspraxis. Eine Erhebung des RKI zeigt eben das auch: Nur 40 Prozent der 70-Jährigen haben einen aktuellen Impfstatus.

 Tetanusimpfung kann Lebensretter sein

 Was erst Tage nach einer geringfügigen Verletzung mit Kopf- und Halsschmerzen, Schluckbeschwerden und Schwindel beginnt, kann einen Wundstarrkrampf ankündigen. Diese ebenfalls häufig tödlich endende Infektionskrankheit wird durch das Gift der Tetanusbakterien hervorgerufen. Sie kommen im Erdreich oder auch Straßenstaub vor und können schon durch kleine Wunden zum Beispiel bei der Gartenarbeit in den Körper eindringen und dort zu starken Gesichts- oder Körperkrämpfen führen. Dieser Gefahr geht man leicht durch eine Impfung aus dem Weg.

 Auch für diejenigen, die so vorgesorgt haben, empfiehlt die Medizinerin mit jeder Platzwunde, verunreinigten Schrammen, tiefen Wunden und auch Brandblasen, einen Arzt aufzusuchen. Nur dort können solche Bagatellverletzungen so behandelt werden, dass sie folgenlos abheilen.

(wat)
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