Wie viele Haare wir täglich lassen Mehr Frauen als Männer leiden an Haarausfall

Köln/Bonn (RPO). Das morgendliche Kämmen kann zur Belastungsprobe für die Nerven werden und die Haarwäsche zu einer verzweifelten Suche nach dem Haupthaar im Siphon. Dann nämlich, wenn sich Haarausfall breit macht.

So bleibt das Haar gesund
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Foto: Shutterstock/Subbotina Anna

Deutlich mehr Frauen leiden unter dem Phänomen als Männer. Die Ursachen sind vielfältig. Wie viele Haare verliert normalerweise ein Mensch am Tag und woran kann es liegen, dass sich die Haare dünne machen?

Über Wochen akribisch gemalte, bunte Balkendiagramme oder mehrmals täglich aktualisierte Excel-Tabellen lassen den Leidensdruck der Menschen erahnen, deren Haupthaar nicht mehr so üppig wächst wie es mal der Fall war. Prof. Dr. Gerhard Lutz, der als Haarspezialist in Wesseling arbeitet, hat die Verzweifelten täglich im Wartezimmer sitzen. "Oft haben sie einen langen Leidensweg hinter sich", erzählt er.

Selbstbehandlungsversuche mit Tinkturen, Cremes oder Lotionen, die frei verkäuflich in Apotheken, Drogerien oder im schlimmsten Fall bei Quacksalbern zu bekommen sind, haben sie bereits hinter sich, oft sind sie schon bei Hausärzten oder Fachärzten gewesen, doch ohne Erfolg.

Wie viele Haare man täglich lässt

Zahlen über das Phänomen Haarausfall sind nur Schätzwerte. Haarspezialist Prof. Dr. Gerhard A. Lutz geht davon aus, dass ein Drittel der Frauen Haarausfall, beziehungsweise lichteres Haupthaar haben. Normalerweise sprießen aus den Haarzwiebeln rund 80.000 bis 100.000 Haare auf dem Kopf. Über die Anzahl der Haare, die jeden Tag ausfallen dürfen, kursieren unterschiedliche Aussagen.

In medizinischen Lehrbüchern ist häufig davon die Rede, dass ein täglicher Ausfall von bis zu 100 Haaren normal sei. "Neuere, wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die Schwankungsbreite erheblich ist, aber im Normalfall nur bis zu maximal 60 Haare pro Tag ausfallen dürfen, was auch meine persönliche Erfahrung bestätigt", erklärt der Wesselinger Haarspezialist. Aus der Praxis weiß er, dass zu 80 Prozent Frauen die Hilfe beim Arzt suchen.

Die meisten leiden an diffusem Haarausfall

Die meisten — rund 80 Prozent der Betroffenen - leiden unter so genanntem diffusem Haarausfall. Die Ursachen, die sich hinter dieser nicht entzündlichen Form von Haarausfall verbergen, sind vielfältig: Hormone können den Haarschwund bedingen, so zum Beispiel eine Funktionsstörung der Schilddrüse, höhere männliche Hormonproduktion, Hormonschwankungen nach der Geburt eines Kindes.

In manchen Fällen fallen dadurch vermehrt die Haare aus. Aber auch Stoffwechselstörungen können dazu führen, Schadstoffe aus der Umwelt, Eisen-, Vitamin- oder Mineralstoffmangel oder auch die Einnahme mancher Medikamente. Im schlimmsten Fall fallen neben den Kopfhaaren auch Wimpern, Augenbrauen und andere Körperhaare aus.

Anlagebedingter Haarschwund

Manchmal liegt die Neigung zum Haarausfall auch in der Familie: Hinter dem Fachbegriff androgenetische Alopecie verbirgt sich ein solcher anlagebedingter Haarausfall. Humangenetikerin Dr. Silke Redler, die zum Forschungsteam Dermatogenetik an der Universität Bonn gehört, ist den Gründen für Haarausfall von genetischer Seite her auf der Spur.

"Im Alter von 70 Jahren leiden rund 40 Prozent der Frauen unter dem anlagebedingten Haarausfall", sagt sie. Erkennen kann man das nach Informationen der Genetikerin häufig an Geheimratsecken im Stirnbereich, an denen kein Haar mehr wächst. Auch ein immer breiter werdender Scheitel deutet auf dieses Problem hin.

Im Alter aber hat das in der Bevölkerung eine Toleranz. Niemand würde eine ältere Dame auf ihr dünnes Haupthaar ansprechen und ihr empfehlen, den Haarspezialisten aufzusuchen. Denn auch die Haarzwiebel, aus der ein Haar sprießt, unterliegt einem Alterungsprozess.

Die Haardichte nimmt also ganz natürlich ab. Anders sieht das allerdings bei jüngeren Menschen aus, besonders bei Frauen. Gepflegte, lange Haare gelten für viele als Schönheitsideal. Dem entsprechen immer breiter werdende Scheitel und kahle Stellen am Hinterkopf ganz und gar nicht.

Lieber gleich zum Arzt

Hilfe bei Dermatologen und in Haarsprechstunden diverser dermatologischer Kliniken suchen die Patienten, deren Haare in jungen Jahren — manchmal sogar im Kindesalter — Reißaus nehmen. Sie tun nach Informationen der Spezialisten gut daran, möglichst nicht zu warten, sondern sofort zum Haarspezialisten zu gehen.

Sind die Haarwurzeln nämlich erst einmal abgestorben, bringt nichts auf der Welt das volle Haar zurück. Unerheblich ist dabei, unter welcher Form von Haarausfall derjenige leidet. Das können entzündliche Formen wie Ekzeme, Schuppenflechten oder Pilzinfektionen als auch nicht-entzündlichen Ausprägungen sein, zu denen neben dem diffusen Haarausfall auch der anlagebedingte und der kreisrunde Haarausfall zählt.

Die Zahl der Spontanheilungen insgesamt ist nach Auskunft der Mediziner und Wissenschaftler äußerst gering. Beim kreisrunden Haarausfall, bei dem sich auf dem Kopf oft kleine kahle Stellen bilden, die wieder zuwachsen, um sich andernorts neu zu bilden, haben 15 Prozent der Betroffenen Glück und das Leiden verschwindet wieder, wie es gekommen ist — von selbst.

Hinter dieser Form steckt eine Fehlsteuerung des Immunsystems. Das richtet sich statt gegen Erreger von außen gegen körpereigenes Gewebe — in diesem Fall die Haarwurzel. "Ausgeschlossen ist eine Spontanheilung hingegen bei anlagebedingtem Haarausfall und entzündlichen Formen mit Vernarbungstendenz", betont Prof. Lutz.

Heilungserfolge brauchen Geduld

Meist aber ist mit dem Haarverlust ein langer Leidensweg und ebenso langer Heilungsprozess verbunden. Manchmal fließen Tränen, wenn die Diagnose steht. "Manchen Patienten muss ich die Hoffnung auf einen gesunden Haarwuchs für immer nehmen", sagt Prof. Lutz. Er beschäftigt sich seit 27 Jahren fachlich mit dem Thema.

Manchmal kommt den Medizinern bei der Suche nach Behandlungsmöglichkeiten auch der Zufall zur Hilfe. So erkannte man bei Patienten, die mit dem Wirkstoff Minoxidil gegen zu hohen Blutdruck behandelt wurden, dass quasi als Nebeneffekt ein starkes Haarwachstum einsetzte. Heute ist nach Informationen des Bremer Dermatologen Dr. Uwe Schwichtenberg durch Studien belegt, dass es zumindest Männern oft half, anlagebedingten Haarausfall durch fünfprozentige Minoxidil-Lösung zu stoppen.

Angewendet wird zudem bei anlagebedingtem Haarausfall des Mannes der Wirkstoff Finasterid, der sich auf das männliche Geschlechtshormon Testosteron auswirkt. Es wird in Dihydrotestosteron umgewandelt, das wiederum für Haarausfall ursächlich sein kann.

Eine Haartransplantation kann kahle Stellen wieder mit Haar versehen, doch ist es mit dem rein operativen Eingriff nicht getan. Solange die Ursache für den Verlust der Haare nicht gefunden und behoben ist, wird der Patient die nicht transplantierten Haare aller Wahrscheinlichkeit nach weiter verlieren.

Wichtig ist es nach Rat der Experten zudem, eine solche Transplantation von versierten und erfahrenen Medizinern vornehmen zu lassen. In Frage kommt eine Verpflanzung eigener Haare auf der Kopfhaut hauptsächlich bei anlagebedingtem Haarausfall. Haare eines anderen Menschen können nicht verpflanzt werden, denn das Immunsystem würde diese sofort als fremd erkennen, erklärt Dr. Frank G. Neidel, Chirurg und Haartransplanteur aus Düsseldorf.

Wunder dürfen Betroffenen also unabhängig von der Therapieform nicht erwarten. Die gibt es nur in der Werbung. Erste Resultate können die Betroffenen abhängig von der Form des Haarausfalls und dem Therapieweg frühestens nach drei Monaten sehen. In manchen Fällen erst nach einem Jahr. Auf einer glänzenden Glatze werden nie wieder Haare sprießen, so viel ist klar.

(wat)
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